Scrabble des Lebens

Auf die Entschlüsselung des Humangenoms vor 20 Jahren folgte Ernüchterung. Doch neue Sequenziermethoden kommen den einstigen Zielen wieder näher.

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Scrabble des Lebens

(Bild: Photo by Alexander Popov on Unsplash)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Beatrix Stoepel

"Heute lernen wir die Sprache, in der Gott das Leben geschaffen hat." Mit diesen Worten erklärt US-Präsident Bill Clinton am 26. Juni 2000 die beiden Genetiker Francis Collins, damals Chef des staatlich geförderten Humangenomprojekts (HGP), und Craig Venter zum Sieger im Wettlauf um die Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Ein Meilenstein in der Forschung – und der Diplomatie. Um beide gemeinsam im Weißen Haus vor die Presse zu bekommen, war harte Überzeugungsarbeit nötig. Nur zwei Jahre zuvor hatte Venter die HGP-Forscher noch mit den Worten brüskiert: "Den Menschen mache ich, Sie nehmen sich besser die Maus vor."

Dem als aufbrausend bekannten Venter, der anfangs zu dem 1990 gegründeten HGP-Team aus über 1.000 Forschern zählte, ging alles viel zu langsam. Tatsächlich war die Sequenzierung des Erbguts in den 1990ern eine sehr langwierige Arbeit. Zunächst isolierten die Forscher aus den Chromosomen lange, sich an den Enden überlappende DNA-Fragmente und zerlegten sie in immer kleinere Abschnitte. Anschließend bestimmten sie mittels Sequenziermaschinen die Folgen der vier Basen, aus denen die DNA besteht. Die ordneten sie in der richtigen Reihenfolge an, bis sie schließlich die Karte eines ganzen Chromosoms erhielten – Gen für Gen.

Venter wich 1992 von diesem Pfad ab. In einem privat gegründeten Biotechinstitut zerschoss er das Erbgut mit speziellen Enzymen, ließ die Fragmente in Bakterien vervielfältigen und von den Sequenziermaschinen auswerten. Das ging deutlich schneller. Wo sich die Buchstabenfolgen im Buch des Lebens befanden, konnte er über mathematische Programme herausfinden.

Am Anfang noch spottete die Community über diese "chaotische Schrotschussmethode". Mittlerweile jedoch ist sie Standard, denn der Erfolg gab Venter recht. Am 6. April 2000 ruft einer seiner Informatiker begeistert: "Wir haben sie!" – und präsentiert bei den Klängen von Wagners Walkürenritt die erste längere zusammenhängende menschliche DNA-Sequenz. Nun war klar: Collins und sein Team werden das Rennen verlieren – und die sie finanzierende US-Regierung ihr Gesicht. Präsident Clinton schafft mithilfe eines Freundes der beiden Kontrahenten das scheinbar Unmögliche: Seite an Seite traten die Genetiker vor die Presse. Vollmundig sprach Clinton von einer "neuen Ära der genetischen Medizin". Die Entzifferung des Genoms werde neue Wege eröffnen, Krankheiten vorzubeugen, zu diagnostizieren und zu heilen.

Bis ins Detail entziffert war bei der Verkündung nur ein Viertel des Genoms. Als letztes wird Chromosom 1, mit 247 Millionen Basenpaaren das größte, im Mai 2006 vollständig sequenziert. Dann war das Projekt endgültig abgeschlossen. Doch statt einer neuen Medizin-Ära folgte Ernüchterung. Die Wissenschaftler standen vor dem entschlüsselten Genom wie der Ochs vorm Berg. Was tun mit dem Erbgut? Forscher fanden zwar Ursachen für einige wenige Erbkrankheiten. Aber bei den großen Volksleiden, etwa Diabetes oder Herzleiden, wurde das Bild umso diffuser, desto genauer die Genetiker hinschauten.

Seit einigen Jahren deutet sich nun eine Kehrtwende an. Ein Grund ist, dass sich Genome jetzt deutlich schneller und billiger sequenzieren lassen. Damit sind massenweise Tests möglich, und sie liefern die Grundlage für eine neue Hoffnung: sogenannte genomweite Assoziationsstudien (GWAS). Genetiker suchen nach winzigen Unterschieden im Erbgut von Gesunden und Erkrankten, sogenannten Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNP). Jeder SNP hat für sich nur einen geringen Einfluss, zusammengenommen aber können sie das Krankheitsrisiko deutlich steigern. Die Anhänger der Methode wollen so Risikopatienten frühzeitig herausfiltern und vorsorgend behandeln. Das Ziel, das sich Craig Venter einst gesteckt hat, scheint wieder näher gerückt: Jeder Mensch solle sein persönliches Genom kennen.

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(bsc)