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Showdown in Washington

Eric Hellweg

Ende März beginnt vor dem obersten Gerichtshof der USA ein Verfahren, dessen Ausgang für die Unterhaltungselektronik-Industrie weitreichende Folgen hat.

Am 29. März ist es soweit: Dann treffen Unterhaltungs- und Technologieindustrie vor dem obersten US-Gericht, dem Supreme Court in Washington D.C. aufeinander, um den Fall MGM gegen Grokster auszufechten -- einen Prozess mit weitreichenden Folgen. Es geht um nichts Geringeres als die Zukunft der Peer-to-Peer-Technologie, letztlich aber auch um die Zukunft von Unterhaltungselektronik, Software-Design und Kundenrechten in den Vereinigten Staaten.

Im April 2003 entschied ein Bundesrichter, dass der Morpheus-Entwickler Streamcast Networks und Grokster, die Firma hinter dem gleichnamigen P2P-Dienst, nicht für das haften, was ihre Nutzer in den von ihnen geschaffenen Peer-to-Peer-Netzen so treiben. Das Berufungsgericht des neunten Bezirks von Kalifornien hielt die Entscheidung des niedrigeren Gerichtes im August 2004 aufrecht, was nun zum Showdown vor dem obersten Gerichtshof führt.

Vertreter der Film- und Musikindustrie wollen mit Unterstützung zahlreicher Verbündeter (von der nationalen Football-Liga bis zur Vereinigung der amerikanischen Kirchenmusik-Verleger) beweisen, dass die Firmen, die Tauschnetz-Software anbieten, auch für die Aktivitäten in ihren Netzen verantwortlich sind und rechtlich haftbar gemacht werden können.

Das Ziel der Unterhaltungsindustrie ist einfach: Man will die 1984 getroffene Supreme-Court-Entscheidung im Sony-Betamax-Videorecorder-Verfahren rückgängig machen, laut der die Hersteller nicht für die Missetaten einzelner Nutzer haftbar gemacht werden können -- jedenfalls solange es genügend legale, kommerzielle Anwendungsformen einer Technik gibt.

Ironischerweise wurde die damalige Entscheidung auch deshalb getroffen, weil es damals Gruppierungen wie Sportligen und einige Film- und Fernsehproduzenten gab, die nichts dagegen hatten, dass ihre Sendungen aufgezeichnet wurden. Auch deshalb sollten die Technologiefirmen nicht gezwungen werden, den Forderungen der klagenden Urheber nachzukommen.

Das Argument, es gebe genügend legale, kommerzielle Anwendungsformen, hat sich jedoch als juristische Bananenschale erwiesen. Es gibt keine Zahlen darüber, wie sehr P2P-Netze legal genutzt werden. Der Hauptanteil des Datenverkehrs in P2P-Netzen dürfte schätzungsweise illegaler Natur sein. Was es allerdings gibt, sind Belege dafür, dass es immer mehr Software und Firmen gibt, die den dezentralen P2P-Ansatz bei der Dateiübertragung nutzen.

Die Technologiefirmen und die ihnen beistehenden Organisationen von der American Civil Liberties Union (links) bis hin zur American Conservative Union (rechts) sehen in den Anstrengungen der Unterhaltungsindustrie einen Versuch, anderen Industrien das Produktdesign und die Geschäftsmodelle zu diktieren -- und zwar nur, um die eigenen Umsätze zu erhalten.

Aus rechtlicher Sicht hätten sie gerne, dass die Sony-Betamax-Entscheidung für das digitale Zeitalter erneut bestätigt wird. Peer-to-Peer an sich sei nicht das Problem, denn die Technologie kenne viele legitime Nutzungsformen, werden sie argumentieren. Genau deshalb sei die Software-Industrie auch nicht dafür verantwortlich, in ihren Netzen Polizei zu spielen.

Die Technologieindustrie steht Grokster und Streamcast auch aus einem weiteren Grund bei: Von der Monitoring-Pflicht der P2P-Firmen ist es nur ein kleiner Schritt hin zur Zwangsüberwachung von Telefonnetzen auf illegale Aktivitäten.

Wenn Morpheus und Grokster gezwungen werden, ihre Netze zu überwachen, gibt es wenige Gründe, dies nicht auch in anderen Bereichen zur Pflicht zu machen. Nur die vollständige technische Veränderung der Infrastruktur würde die Unterhaltungsindustrie dann vielleicht noch milde stimmen.

Wenn der oberste Gerichtshof die Sony-Betamax-Entscheidung zurücknimmt, müsste jedes Technologieprodukt und jeder Datendienst, der mit urheberrechtlich geschütztem Material zu tun hat, standardmäßig mit einem Kopierschutzmechanismus ausgerüstet werden.

Das wäre die Umkehrung der benutzerfreundlichen Mediennutzung, die in den letzten 21 Jahren in den USA galt. Außerdem würde ein junger, aufstrebender Markt erstickt, argumentieren die Gegner der Unterhaltungsindustrie.

Ohne eine entsprechende gerichtliche Entscheidung zum Thema Kopierschutz konnte sich das kundenfreundliche "Fair Use"-Prinzip bislang durchsetzen. Im Januar berichtete die Washington Post, dass der amerikanische DVD-Markt 2004 inzwischen bei 15,8 Milliarden Dollar angekommen ist -- über 30 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Umsätze an den Kinokassen sind dagegen inzwischen wesentlich kleiner -- es waren nur 9 Milliarden.

Die Unterhaltungsindustrie will dennoch eine Veränderung. Trotz des rasanten Wachstums im DVD- und VHS-Markt argumentiert sie, dass digitale Aufnahmen, die über Computer verteilt werden, eine neue Dimension von Piraterie ermöglichten und damit jeden Home-Video-ähnlichen Markt von vornherein unmöglich machen. Deshalb will man die Technologieindustrie dazu zwingen, sicherzustellen, dass mit ihren Produkten keine Piraterie möglich ist.

"Es gibt bereits einen breiten Konsens darüber, dass die Sony-Betamax-Entscheidung Diebstahl, wie er bei Grokster vorkommt, nicht schützt", meinte dazu Mitch Bainwol, Chairman und CEO des US-Plattenindustrieverbandes RIAA, in einem Statement. Andererseits existiert allerdings auch ein breiter Konsens darüber, dass die Sony-Betamax-Entscheidung die Entwicklung von neuen und bisherige Märkte verändernden Technologien schützen sollte.

"Die Urheberrechtsprinzipien der Sony-Betamax-Entscheidung haben sowohl innovativen Firmen, Urhebern als auch der Öffentlichkeit in den letzten 20 Jahren geholfen", sagt Fred von Lohmann, Chefjurist für geistiges Eigentum bei der Netzbürgerrechtsorganisation EFF. "Wir bei der EFF erwarten, dass der Supreme Court die Anwendung des Betamax-Falls auch im 21. Jahrhunderts bestätigt."

Ein Mitglied der einflussreichen Technikindustrie-Lobbygruppierung TechNet, der Chipriese Intel, schlug sich unterdessen auf die Seite seiner Industrie. In einem Unterstützerschreiben, das den gerichtlichen Akten beigelegt wird, verleiht Intel seinen Bedenken gegenüber Hollywoods Sicht der Dinge Ausdruck.

"Intel ist sich vollständig bewusst, wie wichtig der Urheberschutz ist. Er dient der Kreativität", so die Firma. Würden die Unternehmen aber dafür haftbar gemacht, was in ihren Netzen passiert, würde Innovation ausgebremst und die Entwicklung neuer Produkte gestoppt -- und zwar auch solche, die den Kunden einen besseren Zugriff auf legale Inhalte ermöglichen.

Von Eric Hellweg; Übersetzung: Ben Schwan. (wst [1])


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