Smartphones sind nichts fĂĽr Chirurgen
Was macht die zunehmende Nutzung berührungsempfindlicher Bildschirme mit unserer Fingerfertigkeit? Mediziner warnen vor einer verminderten Dexterität.
Die Generation 40+ erinnert sich noch daran: Früher spielte man als Kind, wenn man nicht vor dem Fernseher hing, mit echten, anpassbaren Gegenständen, mit Puppen, Lego, Playmobil, Bauklötzen oder Holzspielzeug. Selbst am Rechner musste man sich mit den Fingern noch richtig anstrengen: Es galt Mäuse zu bewegen, in schwere Tasten zu hauen oder am Joystick herumzuwerkeln.
Wischen auf Glasplatten
All diese Unterhaltungsmittel für den Nachwuchs gibt es zwar heute immer noch, doch die damit verbrachte Zeit schrumpft ständig. Stattdessen wischen und tatschen heute schon Kleinkinder auf Glasplatten herum, auf Smartphones und Tablets, die keinerlei physisches Feedback für die Finger vermitteln. Doch welche Auswirkungen hat das auf unsere Geschicklichkeit mit den Händen, die Dexterität? Offenbar keine guten, wenn Berichte aus dem Lehrfach Chirurgie stimmen.
Die machten bereits Ende vergangenen Jahres die Runde: So schrieb der Bildungskorrespondent des britischen Senders "BBC", ihm habe Roger Kneebone, Professor of Surgical Education am Imperial College in London, erzählt, der Arztnachwuchs habe heutzutage "Probleme mit allem Praktischen".
Es sei ein wichtiges und zunehmend dringlicheres Problem, so Kneebone. Zwar haben dessen Studenten gute akademische Noten, Schneiden mit Skalpell oder die Verwendung einer Knochensäge beherrschen diese aber nicht. Früher habe man davon ausgehen können, dass Studenten bestimmte Dinge von sich aus beherrschten, etwa Schneiden oder Basteln. "Das ist nicht länger der Fall." Kneebone hat eine Vermutung, warum das so ist: Vieles im Leben der jungen Leute sei mittlerweile auf das Wischen auf zweidimensionale, flache Bildschirme beschränkt. Wunden zu verarzten und zu vernähen wird da offenbar schwierig.
Hoffen auf Chirurgieroboter
Sollte diese Entwicklung nicht aufgehalten werden, könnte die Chirurgie in einigen Jahren auf Roboter umsteigen müssen. Das Problem: Es gibt zwar längst Automaten für bestimmte Eingriffe, für komplexe Operationen sind sie aber nur teilweise geeignet – besonders wenn es darum geht, auf Probleme zu reagieren, muss der Mensch ran. Es ist noch viel Forschung notwendig, bevor es einen echten Roboterchirurgen geben wird.
Bis dahin sollten Eltern ihrem Nachwuchs alle Chancen offen halten und möglichst versuchen, ihn physisch zu beschäftigen. Da hilft schon, wenn beim Kochen in der Küche geholfen wird oder man die lieben Kleinen an Halloween einen Kürbis ausschneiden lässt. Bildungseinrichtungen wie Kindergärten und Schulen sollten ebenfalls verstärkt auf Fingerfertigkeiten achten, bevor es zu spät ist.
Bis dahin bleibt die Generation Y bis Z am Operationstisch aufgeschmissen, wie Kneebone glaubt. Seine Studenten vertrauen ihren Fingerfertigkeiten immer weniger, wie er im Herbst sagte. Vielleicht hilft ja auch die Einführung des Erlernens von Musikinstrumenten als Pflichtfach. Wer Geige oder Piano lernt, kann seine Griffel normalerweise ebenfalls kompetent bewegen. Eine App kann ein echtes Musikgerät dabei nicht ersetzen.
(bsc)