Sonnenfeuer auf Erden

Ein Kilo Wasserstoff verschmolzen zu Helium liefert so viel Energie, als würde man 11.000 Tonnen Steinkohle verheizen oder vier Kilogramm Uran spalten. Ließe sich die nukleare Fusion in Kraftwerken bändigen, wäre der Energiehunger der Menschheit gestillt.

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Von
  • Frank Grotelüschen
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Das wird einmal unser Kontrollraum. Von hier aus werden wir die Maschine steuern." Thomas Klinger hat sich einen der fabrikneuen Bürosessel geschnappt. Um ihn herum warten runde Tische und die in Plastik verpackten Stühle auf ihre Bestimmung; ansonsten ist der Saal noch ziemlich leer. "Aber wenn die Anlage erst mal läuft, ist es wie Houston Control", frohlockt Klinger. "Überall Bildschirme, an allen Ecken brummt und summt es. Dann ist hier richtig was los."

2010 wollen Klinger und seine Kollegen vom Max-Planck- Institut für Plasmaphysik (IPP) mit ihrer Maschine im vorpommerschen Greifswald durchstarten. Das Experiment heißt "Wendelstein 7-X" und soll helfen, eine jahrzehntealte Vision in die Tat umzusetzen: die kontrollierte Verschmelzung von Atomkernen, um im großen Maßstab Strom zu erzeugen. Die Kernfusion ist jene Energiequelle, die Sterne leuchten und Sonnen scheinen lässt. Voraussetzung sind die Extrembedingungen, die im Sterninneren herrschen: 15 Millionen Grad Hitze, der Druck erreicht Werte bis zu 300 Milliarden Atmosphären. In diesem Höllenfeuer kommen sich die Atomkerne so nahe, dass sie die elektrische Abstoßung zwischen ihnen überwinden und zu größeren Kernen verschmelzen.

Dabei wird reichlich Energie frei: Ein Kilo Wasserstoff verschmolzen zu Helium liefert so viel Energie, als würde man 11 000 Tonnen Steinkohle verheizen oder vier Kilogramm Uran spalten. Ließe sich die nukleare Fusion in Kraftwerken bändigen, wäre der Energiehunger der Menschheit bis auf weiteres gestillt. "Die Brennstoffe sind praktisch unerschöpflich und de facto kostenlos", schwärmt IPP-Direktor Klinger. "Mit dem Inhalt von drei Flaschen Mineralwasser und zwei Feldsteinen ließe sich eine vierköpfige Familie ein Jahr lang mit Energie versorgen." Aus dem Wasser zentrifugieren die Experten Deuterium, also schweren Wasserstoff. Die Feldsteine enthalten Lithium, den Ausgangsstoff für Tritium (überschweren Wasserstoff). Unter geeigneten Bedingungen verschmelzen Deuterium und Tritium zu Helium sowie zu schnellen Neutronen.

In ungezügelter Form beherrscht die Menschheit die Kernfusion seit dem 1. November 1952. Damals explodierte auf der Marshall-Insel Elugelab die erste Wasserstoffbombe, gezündet von den US-Militärs. "Mike" war gut 60 Tonnen schwer, versenkte die Insel im Meer und riss einen 800 Meter tiefen und drei Kilometer großen Krater ins Riff. Schon während der Entwicklung der H-Bombe machten sich Physiker wie Edward Teller und Enrico Fermi Gedanken, ob sich der Prozess nicht auch zähmen und zur Stromerzeugung nutzen ließe.