Tierwelt: Unerwünschte Aktenvernichter

Das Papierfischchen, wissenschaftlich Ctenolepisma longicaudata genannt, wandert in unsere Behausungen ein. Die Urzeittierchen fressen Papier.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 5 Kommentare lesen
Tierwelt: Unerwünschte Aktenvernichter

Sieht harmlos aus, kann aber große Schäden anrichten: Ctenolepisma longicaudata.

(Bild: "Gray silverfish" / Pudding4brains / PD)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Nein, dass das Internet an der Verbreitung des Papierfischchens die Hauptschuld trage, so weit will Mike Brooks dann doch nicht gehen. Der Entomologe beim Wissens- und Beratungszentrum Schädlingsbekämpfung in Wageningen in der niederländischen Provinz Gelderland räumt aber ein, dass der stark zunehmende E-Commerce-Verkehr mit den vielen Paketen, die tagtäglich durch die Lande brausen und in unsere Wohnungen geliefert werden, Ctenolepisma longicaudata sicherlich nicht geschadet hat.

Mehr Infos

Fischchen dürften die meisten Menschen schon einmal gesehen haben – vor allem im Badezimmer, der Heimat des Silberfischchens. Die urzeitlichen Tiere – es soll sie schon vor 300 Millionen Jahren gegeben haben – sehen aus wie silbrige Minifische und sind im Schnitt um die 10 bis 13 Millimeter groß. Sie verstecken sich den Tag über meist und futtern in Ruhe Hautschuppen, Stärke und Zucker – und tun eigentlich nichts, wenn man sie nicht eklig findet. Ein klassischer Lästling also. Ist das Badezimmer von Silberfischchen befallen, sollte man für eine bessere Durchlüftung und Entfeuchtung sorgen, damit sollte das Problem gelöst sein, denn die Tiere mögen es leicht tropisch.

Beim Papierfischchen sieht das jedoch ganz anders aus. Die Schwesterart des Silberfischchens wird sehr gerne mit diesem verwechselt, fällt jedoch leider genau in die Kategorie des klassischen Schädlings. Und das kommt daher, dass das Papierfischchen, wie der Name schon sagt, das Papier liebt. Brooks, der europaweit zu den wichtigsten Experten für die Art gehört, erläutert, dass die kleinen Insekten neben der Zellulose auch Kleber in Buchrücken fressen, gibt es nichts anderes, dann sogar etwas Leder. Hinzu kommt, dass es die Tiere genau so mögen, wie der Mensch auch: Trocken, um die 20 bis 24 Grad warm, gerne gut isoliert und ruhig. "Das Papierfischchen mag das, was wir auch mögen – und das ist das Problem", sagt Brooks.

Ursprünglich kommen die Insekten wohl aus südlichen Gefilden. Laut Brooks findet man sie im Borkenbereich von Bäumen in Südeuropa und noch weiter südlich, wo die Evolution ihnen wohl beigebracht hat, die eigentlich nährstoffarme Zellulose zu futtern. Allerdings wandern sie in den letzten 20, 25 Jahren – womöglich schon länger – verstärkt nach Nordeuropa ein. Bei uns können sie nur im Haus überleben, nicht jedoch im Freien – Temperaturen unter 15 Grad mögen sie nicht, hier stockt sogar ihre Entwicklung.

Das Papierfischchen ist ein genügsames Wesen. Es reicht ihm, über Monate an kleinen Stücken Papier zu nagen und es kann auch mal ganz ohne Nahrung auskommen. Zudem lebt es für ein Insekt erstaunlich lang: Acht Jahre können es werden. "Warum das so ist, wissen wir nicht", sagt Brooks, "womöglich liegt es an der langsamen Umwandlung der Nährstoffe".

Papierfischchen und ihre Eier sind bereits erstaunlich weit verbreitet. Laut Brooks gibt es in den Niederlanden quasi keine Neubausiedlung mehr, in der er die Tiere nicht finden könnte. Sie sind nicht in jedem Haus, aber fast. Der Grund: Sie werden mit all den schönen neuen Produkten, die wir uns in unsere Behausung holen, mitgebracht: In den Kartonagen. Lassen wir diese längerfristig herumstehen, erobern die Tiere ihre Umgebung. Da sie vor allem ihre Ruhe wollen, ziehen sie sich in dunkle Ecken, Ritzen und Winkel zurück, nur zum Fressen und zur Vermehrung kommen sie heraus. Brooks kennt auch Horrorgeschichten, in denen sie in allen Zwischenräumen der Isolierung sitzen.

Bekämpfbar sind die Papierfischchen nur schwer. Brooks zufolge gibt es in den Niederlanden mittlerweile den Trend, dass man sie als gegeben hinnimmt. Angst müssen allerdings Menschen haben, die im Besitz wertvoller Papiere sind. So können die Papierfischchen Manuskripte und alte Bücher anknappern und Löcher hinterlassen. In manchen Papieren findet sich später nur noch die Druckerschwärze, wenn die Papierfischchen nur lange genug Zeit hatten.

Brooks gibt daher den Tipp, dass man wertvolle Papiere und Erinnerungsstücke besser in luftdichte Kisten verpackt, die am besten eine glatte Oberfläche haben. Die Papierfischchen brauchen für ihre Akrobatik nämlich raue Wände. Ein von der Wand weggestelltes Stahlregal kann auch hilfreich sein.

Wie stark die Verbreitung der Papierfischchen in Deutschland ist, weiß bislang niemand. Brooks hat im vergangenen Jahr eine kleine Erhebung gestartet und im Rahmen eines Artikels in der Wochenzeitung "Die Zeit" Leser aus der Bundesrepublik gebeten, ihm Proben zu schicken. Es kamen welche aus nahezu jedem deutschen Bundesland, sagt er. Es gebe aber das grundsätzliche Problem, dass bislang zu wenig in der Schädlingsbekämpfung europaweit zusammengearbeitet werde. Da von Papierfischchen keine Gesundheitsgefahr ausgeht, liegt ihre Bekämpfung zumeist in privater Hand. Unter Museen gibt es aber längst einen regen Austausch, wie man die Gefahr zumindest teilweise bannen kann.

Eine sinnvolle Bekämpfung ist nur schwer möglich. Da sich die Papierfischchen leicht in unzugängliche Bereiche zurückziehen können, hilft zunächst nur eine punktuelle Bekämpfung mit herkömmlichen Schädlingsbekämpfungsmitteln. Ob man sie dann komplett los ist, bleibt die Frage. "Eine Möglichkeit wäre natürlich, die Temperatur im ganzen Haus zu senken. Aber dann macht uns das Leben im Haus keinen Spaß mehr", sagt Brooks.

Der Insektenkundler selbst hatte in seinem Heim übrigens auch schon mal Besuch von den Papierfressern. Beim Umzug sorgte er für eine Quarantänezone für Kartons. Ihm wichtige Bücher legte er zudem für 14 Tage ins Gefrierfach: Dann seien sowohl Papierfischchen als auch ihre Eier garantiert tot.

(bsc)