Troll-Jäger

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Vor solchen Ausspähungen sind die Bundesbürger durch das Datenschutzgesetz geschützt – das gilt auch für Extremisten. Zudem wahrt das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung auch die Anonymität im Netz. Der Bundesgerichtshof hat dieses Recht im Internet vergangenes Jahr mit einem Urteil gestärkt.

Folglich sind Trolljäger wie in Schweden bei uns nicht legal denkbar. Doch auch hier werden anonyme Neonazis enttarnt. Im November 2014 beispielsweise begann in Rostock ein Prozess gegen die mutmaßlichen Betreiber des größten Neonazi-Forums, Thiazi.net. Die auf Servern in den USA laufende Plattform hatte über 30.000 Mitglieder. Allein die Verlesung der Anklageschrift dauerte mehrere Tage.

Unter den Angeklagten befindet sich eine Erzieherin aus Brandenburg mit CDU-Karriere. Auch der Pflegeleiter einer psychiatrischen Station gehört dazu. Er schrieb mehrere Fachbücher und unterrichtete nebenbei nicht nur an einem Berufskolleg, sondern auch bei der Polizei. Die Angeklagten führten ein Doppelleben und ließen im Alltag ihre Gesinnung nicht erkennen.

Enttarnt wurden sie und andere 2010, weil Aktivisten ihr Forum gehackt hatten, unabhängig von den Ermittlungen der Polizei. Die bekannt gewordenen Informationen ergaben umfassende Lebensläufe von Neonazis, einschließlich Details wie Einkommensverhältnisse: "Er lebt von staatlicher Unterstützung, seinen Abgeordneten-Bezügen und dem Verkauf von Zinnfiguren und Militaria-Devotionalien über seinen eBay-
Account", heißt es im Szene-Blog Indymedia Linksunten.

Während die Urheber solcher "Outings" selbst unerkannt bleiben wollen, engagieren sich andere Initiativen offen und legal gegen Rechtsextremismus im Netz. Felix Hansen und Frank Metzger zum Beispiel arbeiten für das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum in Berlin, kurz Apabiz. In einer alten Kreuzberger Fabriketage, hinter einer gepanzerten Stahltür, hat der Verein eine umfangreiche Sammlung von Propagandamaterial und historischer Literatur zusammengetragen. Es sieht aus wie in einer Bibliothek, in den Gängen zwischen den Regalen stapeln sich alte Zeitungen und angestaubte Bücher.

Bereits seit 25 Jahren sammelt Apabiz alles zu rechtsextremen Milieus nach 1945 – mittlerweile gehören dazu auch etliche Facebook- und Webseiten. An einem langen Tisch aus Massivholz sitzen Metzger und Hansen und erzählen von ihrer Arbeit. "Wir recherchieren, wie verschiedene rechte Gruppen miteinander verbunden sind und wer dort aktiv ist", sagt Metzger. Man beschränke sich aus rechtlichen Gründen auf offene Profile. Persönliche Daten ins Netz zu stellen, sei rechtlich nicht haltbar. Doch was an Daten da ist, wird genutzt. So analysierte das Apabiz beispielsweise eine Liste von 11.000 Kunden rechtsradikaler Online-Händler, die Hacker zwischen 2005 und 2011 beschafft hatten.

Die Extremisten tummeln sich aber längst nicht mehr nur auf einschlägigen Webseiten, sondern nutzen auch die sozialen Medien – und das ziemlich strategisch, wie bereits ein Beispiel aus dem Jahr 2012 zeigt: Schwarz gekleidet und mit weißen Masken vor dem Gesicht, verhüllt mit Kapuzen und Fackeln in der Hand zogen Neonazis durch Bautzen und filmten sich selbst.

Die Menschenmassen im musikunterlegten Video täuschen: Nicht einmal 200 sollen es gewesen sein. Der inszenierte Fackelumzug fand mitten in der Nacht statt und dauerte weniger als 20 Minuten. Als die von besorgten Bürgern alarmierte Polizei eintraf, war der Spuk schon vorbei. "Die haben das nur gemacht, um ein Video fürs Netz zu produzieren", sagt Johannes Baldauf, der für die Amadeu Antonio Stiftung arbeitet und mit einem Team die Netzaktivitäten von Neonazis beobachtet.

Das Team von Baldauf setzt bei seiner Arbeit neben der manuellen Recherche auch auf Fanpage-Karma, ein Tool, das eigentlich für Marketingzwecke in sozialen Netzwerken entwickelt wurde. Natürlich könne man mit falschen Pseudonymen in geschlossene Benutzergruppen hineingehen, sagt Baldauf. Aus rechtlichen Gründen beschränke man sich jedoch auf öffentlich zugängliche Informationen.

Außerdem seien Personen zweitrangig, weil deren Aktionen schnell von anderen kopiert würden. "Uns interessieren primär Phänomene und Entwicklungen sowie die angewandten Strategien", erklärt Baldauf. Denn die Szene verändert sich ständig. Die neue Rechte gibt sich betont harmlos, nutze populäre Themen wie Kinderschutz, Tierschutz oder Umweltschutz und verwendet tunlichst keine NS-Symbole. "Sie lernen von der linken Szene sowie von Occupy oder Anonymous", sagt Baldauf. "Man will nicht mehr die Szene ansprechen, sondern Menschen aus der Mitte der Gesellschaft."

Aktuelle Ereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft nutze die Szene genauso für ihre Propaganda wie Werbekampagnen, darunter etwa den Song "Supergeil" der Supermarktkette Edeka oder Plakate des Vereins "Gesicht zeigen!". Motive solcher Kampagnen würden gezielt aufgegriffen und für eigene Zwecke verfremdet.

Die Taktik scheint zunehmend Erfolg zu haben, wie die Pegida-Bewegung deutlich gemacht hat. Um deren Sympathisanten zu durchleuchten, hat eine Gruppe aus Dresden deren Facebook-Profile analysiert und im Web aufbereitet. "Pegida ist oder war primär auch ein Facebook- und Medienphänomen", erklärten die anonymen Macher der Seite gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. Über 50.000 Nutzerprofile haben sie bisher ausgewertet: Alter, Bildung, Arbeitgeber und vor allem, was den Sympathisanten sonst noch gefällt, stellen sie auf www.Pegida-mag-dich.de dar.

Der Facebook-Anhänger von Pegida ist demnach zwischen 30 und 39 Jahre alt und männlich. Die meisten geben an, selbstständig zu sein. Etliche scheinen bei der Bundeswehr zu arbeiten. Die Angaben zum Bildungsgrad zeigen die TU Dresden und die Universität Leipzig auf den vorderen Plätzen. Viele nennen als Ausbildungsstätte allerdings auch "die Baumschule". Die Aussagekraft der Auswertung ist also mit Vorsicht zu betrachten. Dennoch zeigt sie: Der Kampf um die Bürgerrechte tobt längst nicht mehr nur in geheimen Foren auf ausländischen Servern. Er findet auf Webseiten statt, die fast jeder besucht – und damit in der Mitte der Gesellschaft. (wst)