Uber verwehrt der Familie eines ermordeten Fahrers Hilfe, weil er "offline" war

Die Forderungen der Familie des getöteten Uber-Fahrers Ahmad Yusufi lehnt die Firma mit der Begründung ab, Yusufi sei zum Todeszeitpunkt "offline" gewesen.

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Uber

Das Start-up Uber aus San Francisco ist weltweit in mehr als 600 Städten vertreten.

(Bild: dpa, Seth Wenig/AP)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Tate Ryan-Mosley
Inhaltsverzeichnis

Am 28. November gegen 5 Uhr morgens wurde der Uber-Fahrer Ahmad Fawad Yusufi von einem Fremden, der seine Brieftasche stehlen wollte, in seinem Auto erschossen. Der 31-jährige afghanische Einwanderer war von seinem Wohnort Sacramento nach San Francisco gekommen, um für Uber zu fahren, und hatte zwischen zwei Schichten auf dem Parkplatz eines Spielplatzes übernachtet.

Seit dieser schrecklichen Nacht fordert Yusufis Familie – sein Bruder, seine Frau und seine drei Kinder – Unterstützung von Uber. In einem Brief an das Unternehmen, der am 16. Dezember von der Gewerkschaft Gig Workers Rising veröffentlicht wurde, hat Yusufis Bruder Ilyas – selbst Fahrer von Uber – drei Forderungen formuliert: Zugang zu Yusufis Uber-Konto, 4 Millionen Dollar Soforthilfe für die Familie und eine bessere Bezahlung für alle Uber-Fahrer.

Uber hatte auf den Mord, wie der lokale Nachrichtensender ABC10 am 5. Dezember berichtete, mit der Äußerung reagiert, Yusufi sei zum Zeitpunkt der Schießerei "offenbar offline" gewesen. Das Unternehmen weigerte sich, seiner Familie oder der Presse irgendwelche Protokolle über seine Kontoaktivitäten zur Verfügung zu stellen.

In dem Brief fragte Ilyas, ob die Tatsache, dass Yusufi in der App offline war, bedeuten würde, dass er nicht für Uber arbeite. Er sprach damit einen wesentlichen Nachteil von sogenanntem Gig Working an – einem Arbeitskonzept, bei dem den Beschäftigten kleine, zeitlich befristete Aufträge ("Gigs",) über bestimmte Online-Plattformen übermittelt werden. "Mein Bruder Ahmad wurde getötet, während er für Ihr Unternehmen fuhr. Sie haben gelogen, als Sie der Presse sagten, er habe zum Zeitpunkt seines Todes nicht für Uber gearbeitet. Er war in San Francisco, um für Uber zu arbeiten. (... ) Er hatte lediglich eine Pause eingelegt, nachdem er in der betreffenden Nacht für Uber gearbeitet hatte."

Yusufi besaß ein Sondervisum für die Vereinigten Staaten, weil er als Übersetzer für das US-Militär gearbeitet hatte, und war vor drei Jahren aus Sicherheitsgründen von Afghanistan nach Kalifornien gezogen. Er sei ein wichtiger Versorger für die Familie gewesen, sagt Ilyas. Obwohl Yusufis Frau versucht, mit Hilfen wie von GoFundMe (einem US-Unternehmen, das Spendengelder über eine Internetplattform nach dem Crowdfunding-Prinzip vermittelt) über die Runden zu kommen, ist Yusufis Familie nicht ausreichend finanziell versorgt.

Gewaltverbrechen gegen Gig Worker sind in den USA keine Seltenheit. Eine kürzlich vom Wall Street Journal durchgeführte Untersuchung zeigt auf, dass in Minneapolis 11 Prozent der Überfälle auf Autofahrer Uber-Fahrer betreffen. Dabei hatte sich das Unternehmen geweigert, Statistiken zu veröffentlichen. "The Markup", eine amerikanische Non-Profit-Organisation, die Auswirkungen von Technologie auf die Gesellschaft aufzeigt, hatte im Juli 124 Überfälle auf Uber-Fahrer aus den anderthalb Jahren davor gezählt.

Uber hat erst kürzlich mehrere neue Sicherheitsfunktionen eingeführt, etwa einen schnellen Zugriff auf den Notruf 911 sowie die Möglichkeit, GPS-Koordinaten an die Polizei zu übermitteln und Tonaufnahmen zu machen. Dennoch üben Uber-Fahrer einen der gefährlichsten Jobs in den USA aus. Einige Fahrer und Gewerkschaften, wie die Independent Drivers Guild, haben dem Unternehmen vorgeworfen, nicht genug für die Sicherheit seiner Mitarbeiter zu tun. Etliche Fahrer haben die Sache nun selbst in die Hand genommen, tragen Pfefferspray, installieren Sicherheitskameras oder tragen sogar Waffen.

Yusufi ist einer von vielen afghanischen Flüchtlingen, die in Sacramento leben und für Uber in San Francisco fahren, weil dort die Nachfrage nach Fahrten größer ist. Etwa 56 Prozent aller Gig Worker in San Francisco sind Einwanderer. Zwischen den Fahrten im Auto zu schlafen, ist eine gängige Praxis für Fahrer, die sich keine Hotelzimmer leisten können.

Aus Sicherheitsgründen erlaubt Uber den Fahrern, nur 12 Stunden in der App aktiv zu sein, bevor sie eine sechsstündige Pause einlegen müssen. Während der Pausen, des Mittagsschlafs oder der Mahlzeiten schalten die Fahrer ihre App aus.

In seinem Schreiben erklärt Yusufis Bruder Ilyas, dass die niedrigen Löhne der Uber-Fahrer "zu so prekären Arbeitsbedingungen führen, dass Hunderte von afghanischen Fahrern jede Woche von Sacramento nach San Francisco fahren und in ihren Autos in unsicheren Umgebungen schlafen – nur um jede Woche genug zur Versorgung ihrer Familien zu verdienen."

Uber hat noch nicht auf Ilyas´Brief reagiert, obwohl das Unternehmen in Kontakt mit der Familie steht. Ein Uber-Sprecher sagte gegenüber MIT Technology Review: "Wir sind traurig über diesen sinnlosen Akt der Gewalt, der Herrn Yusufi das Leben gekostet hat. Unsere Herzen sind in dieser schwierigen Zeit bei seiner Familie."

Yusufis Familie versucht verzweifelt, mehr über die Umstände von Yusufis Tod zu erfahren. Von der Polizei in San Francisco erhielt sie keine Antworten auf ihre Fragen. Ilyas wollte deshalb auf das Uber-Konto von Yusufi zuzugreifen, und sagt, dass es deaktiviert worden ist. Als er Uber dazu kontaktierte, wurde ihm geantwortet, dass dies gegen die Unternehmensrichtlinien verstoße. MIT Technology Review gegenüber sagte ein Uber-Sprecher, dass Yusufi von Mitternacht bis 5 Uhr morgens am 28. November, also etwa zu der Zeit, als die Polizei auf die Situation reagierte, nicht in der App aktiv war, wohl aber am 27. November. Uber lehnte es allerdings ab, die genauen Zeiten bekannt zu geben – ebenso wie die Anfrage von MIT Technology Review, Unterlagen zu Yusufis Fahrtenbüchern zur Verfügung zu stellen. Uber berief sich dabei auf den Datenschutz.

Yusufis Fall trifft den Kern einer umstrittenen Debatte darüber, ob Gig Worker als Angestellte eines Unternehmens gelten. Die kalifornische Gesetzgebung hat sich in den letzten Jahren in diesem Punkt noch nicht eindeutig festgelegt. Im Jahr 2020 gaben Uber, Lyft, DoorDash und Instacart etwa 200 Millionen Dollar aus, um für eine Maßnahme zu werben, die Gig Worker von Leistungen wie bezahlten Pausen ausschließen würde. Dieses Gesetz, Proposition 22, wurde im Jahr 2020 verabschiedet, aber von einem Richter als verfassungswidrig eingestuft. Während des Berufungsverfahrens sind Gig Worker weiterhin ungeschützt.

Für seine Familie ist es unerheblich, ob Yusufi zum Zeitpunkt der Schießerei die Uber-App aktiv genutzt hat. Aus ihrer Sicht, sagt Ilyas, war er in San Francisco, um für Uber zu fahren. "Wir sind Flüchtlinge in diesem Land und werden nicht gut informiert", sagt er. "Uns Fremden gibt niemand Rückendeckung. Sie können machen, was sie wollen."

(jle)