Uh-oh – Messenger-Pionier ICQ wird Ende Juni abgeschaltet

Der um die Jahrtausendwende unverzichtbare Messenger ICQ funktioniert bald nicht mehr. Ein Rückblick auf die Kultur des Messaging.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 283 Kommentare lesen

ICQ 1998: Links die Kontaktliste, daneben die damals üblichen aufeinander gestapelten Untermenüs. Hier dienen sie den Einstellungen für jeden Kontakt.

(Bild: c't)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Nico Ernst
Inhaltsverzeichnis

"Kennst du noch deine ICQ-Nummer?" – unter jahrzehntelangen Nutzern des Internets ist diese Frage eine Art Lackmustest. Ende der 1990er-Jahre und Anfang der 2000er-Jahre gehörte die ICQ-Nummer auf der Visitenkarte für Vollzeit-Onliner zum guten Ton. Weniger gut, weil nervig war die Standard-Benachrichtigung mit dem Cartoon-artigen "Uh-Oh", die jeder frühe ICQ-Nutzer noch im Ohr hat.

Am 26. Juni 2024 wird der Dienst nun endgültig abgeschaltet, wie der heutige Betreiber auf der immer noch existierenden Webseite icq.com mitteilt. 2010 hatte das russische Investmentunternehmen DST, das auch mail.ru und den Facebook-Klon VKontakte betreibt, ICQ von AOL gekauft. Inzwischen heißt dieses Unternehmen nur noch "VK". "ICQ New" sollte dem Messenger im Jahr 2020 neues Leben einhauchen.

Der einstige Onlineriese AOL hatte den Messenger 1998 von der israelischen Firma Mirabilis übernommen, das ICQ erst zwei Jahre zuvor gestartet hatte. Wie AOL im Jahr 2001 angab, hatte ICQ damals schon über 100 Millionen Nutzer. Im Jahr 2009 sollen es über 470 Millionen gewesen sein, was auch den Höhepunkt des Instant-Messagings auf dem PC darstellen dürfte, weil sich Smartphones zu dieser Zeit langsam durchsetzten.

ICQ war Ende der 1990er-Jahre so revolutionär und beliebt, weil es so einfach war und schlicht funktionierte. Der Name steht für "I seek you", also: Ich suche dich. Und anhand der ICQ-Nummer, die wie eine Telefonnummer genutzt wurde, konnte man Nutzer auch einfach finden. Heutige Smartphone-Messenger sind in der Regel auch an die Telefonnummer des Geräts gebunden. ICQ führte, weil es für PCs keine eindeutige Identifikation gab, einfach seine eigene Nummer ein, die "User Identification Number" (UIN).

Das war's: Mit seiner ICQ-Nummer konnte man sich auch auf einem fremden Gerät anmelden, den zum Beispiel in Internet-Cafés meist installierten Messenger verwenden und einfach los chatten. Das lief alles servergestützt, eigene Infrastruktur war nicht nötig. Auch Dateien konnten übertragen werden, später waren auch Sprach- und Videoanrufe möglich. Ebenso konnte man Gruppen erstellen, eine Funktion, die später durch WhatsApp für viele Menschen unverzichtbar wurde. Das Verzeichnis von ICQ ließ sich ebenfalls nach Nutzernamen und, sofern hinterlegt, Mailadressen durchsuchen, nur: Das war nicht zwingend nötig. Nur die UIN eingeben reichte auch für Anonymität. Auf dem eigenen PC konnte man den Nummern dann Nutzernamen zuordnen, die aber nicht veröffentlicht wurden.

Weil diese zeitversetzte und auch in Gruppen organisierte Kommunikation abseits von – oft noch kostenpflichtigen – SMS so gut funktionierte, war ICQ auf den Windows-PCs der Zeit häufig ein Autostart-Programm. Menschen vernetzten sich so, insbesondere die noch junge Szene der Online-Gamer. Für die war um die Jahrtausendwende zwar der Internet Relay Chat (IRC) das eigentliche Nervensystem, aber ICQ das Mittel der Wahl für direkte 1:1-Kommunikation. Erst, wenn jemand nicht per ICQ erreichbar war – also offenbar nicht am PC saß – griff man zum Telefon.

Im Gegensatz zu heutigen Messengern war ICQ seit der Übernahme durch AOL zudem auf eine bestimmte Offenheit ausgelegt, dafür sorgte das Protokoll "Open System for CommunicAtion in Realtime" (OSCAR). AOL hatte das halbwegs gut dokumentiert, aber erst viel später wirklich offengelegt. Die APIs waren aber so transparent, dass man eigene Clients für ICQ und andere Messenger entwickeln konnte, populäre Tools waren unter anderem Miranda, Pidgin und Trillian.

Weil Instant Messaging Ende der 1990er für viele neu war, gab es in den Anfangszeiten von ICQ aber auch die Probleme, die heute noch existieren: Account-Diebstahl, Phishing und Spam sind nur einige der unschönen Nebeneffekte. Anfragen von unbekannten Accounts blockierte man lieber nach den ersten schlechten Erfahrungen, und auf einer LAN-Party sicherte man den Rechner lieber auch besonders, um Veränderungen an der lokal gespeicherten Kontaktliste zu verhindern. Und auch die Sicherheit der Anwendung selbst war nicht immer ideal, noch 2011 war es möglich, ICQ über seine automatische Updatefunktion Malware unterzuschieben.

Finanziert hat sich ICQ, wie auch bei vielen mobilen Messengern heute, schon früh durch Werbung. Der Desktop-Client bot eigene Kanäle, wie für Reisen und Shopping an. Zeitweise war ICQ AOLs wirtschaftlich erfolgreichstes Produkt. Warum VK ihn jetzt einstellt, gibt das Unternehmen nicht an, es empfiehlt den Umstieg auf den VK Messenger.

Bleibt nur noch zu klären, woher der Uh-Oh-Sound wirklich kommt. Das ist nicht so einfach, wie man glauben mag, denn das Tongedächtnis kann trügen. Viele assoziieren das Sample mit der Amiga-Version des Spiels "Lemmings" (1991), das stimmt aber nicht ganz. Bevor man – was manchmal nötig ist – die putzigen Figuren sprengt, sagen sie "Oh no". Das ist beispielsweise an dieser Stelle eines YouTube-Videos mit einem Longplay des Spiels zu hören. Auch die im selben Jahr erschienene Erweiterung des Spiels hieß "Oh no! More Lemmings", und eben nicht "Uh-Oh".

Wohl davon inspiriert findet sich ein ähnlicher Sound im ebenfalls wuseligen Spiel "Worms" (1995), da sagen die Figuren dann "Uh-Oh". Das klingt ähnlich wie der ICQ-Sound von 1996, aber passt auch nicht ganz. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Entwickler den gleichen Sound unabhängig voneinander auf einer der damals populären Sample-CDs gefunden haben könnten, die vorwiegend für Musikproduktion vorgesehen waren. Dasselbe Sample könnte dann für Worms und ICQ leicht verfremdet worden sein.

(nie)