Verriss des Monats: Das High Heel-Chamäleon

Ein Damenschuh mit Display eröffnet merkwürdige Einblicke in die Zukunft der Mode.

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Von
  • Peter Glaser

Ein Damenschuh mit Display eröffnet merkwürdige Einblicke in die Zukunft der Mode.

Die Kunst des gepflegten Verreißens zweifelhafter Produkte ist ein wenig aus der Mode gekommen. An dieser Stelle präsentiert unser Kolumnist Peter Glaser einmal im Monat deshalb eine Rezension der etwas anderen Art: den Verriss des Monats. Vorschläge für besonders zu würdigende Produkte werden gerne per Mail entgegengenommen.

Die Mode, obwohl sie ja im Grunde eine Daueravantgarde sein möchte, ist interessanterweise technologisch ziemlich zurückgeblieben. Das mag auch damit zu tun haben, dass sich gewissermaßen Feuer und Wasser begegnen, wenn elektrisch leitfähige Textilien der Herausforderung entgegensehen, regelmäßig in die heiße Waschpulverlauge einer Waschmaschine eintauchen zu müssen, also nicht einfach nur Hardware, sondern Härtestware gefragt ist. Auch Display-Technologie direkt am Körper ist eine harte Nuss.

Wearable-Pioniere wie Steve Mann wissen, was Klobigkeit bedeutet. Als Mann Ende der Siebzigerjahre mit tragbarer Computertechnik zu experimentieren begann, war seine Ausrüstung genau so schwer wie er selbst und er wagte sich damit nur nachts auf die Straße. Heute trägt Mann beheizbare Unterwäsche, die auf die Außentemperatur reagiert und eine von ihm selbst erfundene "Vibraweste", die einem das Gefühl gibt, entfernte Dinge direkt am eigenen Körper zu spüren.

1997 organisierte Alexander Pentland am MIT die erste "Wearable Computing"-Modenschau. Technikfreaks und brillante junge Designer versuchten mit radikalem Chic die Unförmigkeit der Gerätschaft zu überspielen. Als sich der Physiker Neil Gershenfeld damals vorstellte, dass anstelle des Aufdrucks auf einem T-Shirt bewegte Bilder darauf zu sehen sein könnten, schien das noch eine fantastische Vision. Im Mai 2000 präsentierte der MIT-Absolvent Stephen Fitch anlässlich einer Konferenz zum Thema interaktive Werbung in Los Angeles eine digitale Lederjacke, in deren Rücken er einen 6-Zoll-Flachbildschirm untergebracht hatte, dazu das damals extraschlanke Innenleben eines Pentium III-PC, eine Gigabyte-Festplatte und einen drahtlosen Breitband-Internetanschluss. Auf der Jacke flimmerten Werbespots und Musikvideos. Im Sommer lief er mit der Jacke, auf der seinerseits ein Trailer von Ridley Scots Neo-Sandalenfilm "Gladiator" lief, in New York herum herum, ständig eine Traube Leute hinter sich – anhand der Körperwärme erfasste ein eingebauter Infrarot-Detektor, wie viele Menschen den Bildschirm aus der Nähe betrachteten.

Die Display-Technik hat inzwischen Fortschritte gemacht, wenn auch in Maßen. So hat man am Institut für Interactive Design in Göteborg ein fernknuddelbares Kopfkissen geschaffen, das man umarmen kann und dessen Bewegungsmuster in ein gleichartiges Kissen am anderen Ende der Leitung übertragen und dort durch elektrolumineszenten Draht in der Textilhülle in weich glühende Muster verwandelt werden. Während Steve Mann von Test-Ausflügen noch vom schieren Gewicht seiner frühen Wearables manchmal mit blutenden Füßen nach Hause kam, kündigte das indische Startup Ducere Technologies letztes Jahr einen Smartshoe an ("Indiens Antwort auf Google Glass"), der einen durch sanfte Vibrationen an unterschiedlichen Stellen im Schuh an jedes gewünschte Ziel navigieren soll. Und es muss auch nicht gleich ein Hausschuh mit eingebautem Lautsprecher sein.

Der "Volvorii Timeless"-Stöckelschuh – oder High Heel, wie der Fachmann sagt –, will die Oberflächenflexibilität von Bekleidung nun auf ein neues Niveau heben. Ersonnen von dem litauischen Startup iShuu, zeigt sich der Hightech-High-Heel als eine Art weiblicher Gegenspieler zu den innovativ gepimpten Schuhsohlen, wie man sie aus Agentenfilmen kennt. Ein streifenförmiges Fenster aus E-Paper, das an den Seiten entlang und über die Kappe des Schuhs führt, soll Einblicke nicht nur in die Zukunft der Fußbekleidung geben.

Die Sohle ist ein wenig dick geraten (Plateauschuhe sind gerade nicht modern), was damit zu tun hat, dass man in ihr Akkus und Steuerelektronik unterbringen musste. Farbe gibt's auch nicht, der digitale Schuh befindet sich, passend zu den Agentenfilmen, noch im Zeitalter des Schwarzweißfernsehers. Man kann sich nun über eine Smartphone-App auf dem Display vollflächig Schwarz oder Weiss oder ein Muster anzeigen lassen, das Aussehen des Schuhs also per Fernbedienung umschalten. Eine Crowdfunding-Kampagne zur Finanzierung einer Serienproduktion für den Geh-Gag kam im April nur etwas schleppend in Gang, statt der angezielten 50.000 Dollar wollten es nur etwa 40.000 Dollar werden, die aber trotzdem in die Schuhproduktion flossen. Während die Modelle für Frühinvestoren etwas billiger waren, soll der Volvorii Timeless am Ende rund 220 Euro kosten.

Auch wenn das Ganze derzeit noch ähnlich steinzeitlich anmutet wie die 3D-geprinteten Abendkleider in Gestalt von Plastikklappergerüsten, regt es immerhin ein wenig die Fantasie an. "Intelligente" Bekleidung könnte Wege aus dem Modedilemma weisen ("Was soll ich anziehen?"). Ansätze dazu gibt es bereits. Kleider mit integrierten Funkchips können sich daran erinnern, was man an welchem Tag und zu welcher Zeit getragen hat. Eine App kann dann Empfehlungen für Unentschlossene geben – die Informatikerinnen Sea Ling und Maria Indrawan von der Monash University in Melbourne haben eine solche Software geschrieben. Nach einer Lernphase erteilt sie maßgeschneiderte Bekleidungsratschläge, passend zu Tages- und Jahreszeit.

Das Problem der launischen Moden wird sich in dem Augenblick erübrigen, in dem man nicht nur seine Schuhe umschalten, sondern sich insgesamt mit Lichtgeschwindigkeit umziehen kann. Dies werden möglicherweise einmal strukturell und farblich umschaltbare Gewebe ermöglichen, die auf entgröberten Formen der Idee des E-Paper-Schuhs beruhen. Faszinierend auch die Vorstellung, Kleidung und Schuhe könnten kameragespeist und rechnergestützt jeweils das auf der Körperoberfläche zeigen, was sich genau hinter dem Träger respektive der Trägerin befindet. Man würde so auf Chamäleon-Art quasi unsichtbar. Wenn die Schuhe in Zukunft mal richtig gut aussehen würden, wäre das aber auch wieder schade. ()