Verriss des Monats: Der Gesichtstoaster

Die Selfie-Manie wird intergalaktisch. Auf dem Weg zum kosmischen Erlebnis kann man sich jetzt auch thematisch passend ernähren – indem man sein Antlitz auf Toast braten lässt.

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Von
  • Peter Glaser

Die Selfie-Manie wird intergalaktisch. Auf dem Weg zum kosmischen Erlebnis kann man sich jetzt auch thematisch passend ernähren – indem man sein Antlitz auf Toast braten lässt.

Die Kunst des gepflegten Verreißens zweifelhafter Produkte ist ein wenig aus der Mode gekommen. An dieser Stelle präsentiert unser Kolumnist Peter Glaser einmal im Monat deshalb eine Rezension der etwas anderen Art: den Verriss des Monats. Vorschläge für besonders zu würdigende Produkte werden gerne per Mail entgegengenommen.

Nachdem der Curiosity-Rover der NASA – der inzwischen 1,9 Millionen Twitter-Follower eingesammelt hat – im August 2012 erfolgreich auf dem Mars gelandet war, machte er als erstes ein Selfie. Das beweist, dass diese kollektivnarzisstische Manie inzwischen sowohl Maschinen erfasst als auch sich im interplanetaren Maßstab vollzieht. Während die Sonde als Selfismus-Pionier ihre Runden auf dem öden, steinigen Mars zieht, schreitet die Verselbstung des Planeten Erde und seiner Bewohner unaufhaltsam voran.

Russen etwa – in ihrer grenzenlosen Improvisationsfreude, die sie aus Traditionsbewusstsein aus den Zeiten der kommunistischen Mangelwirtschaft herübergerettet haben in die kapitalistische Mangelwirtschaft – haben einen superschlichten Selfie-Stick ersonnen, der allerdings mit einem erhöhten Fallrisiko verbunden ist. (Noch schlichter die naturbelassene Version eines solchen Sticks, wie sie hier zu sehen ist.)

Um ein Überborden der Selferei zu verhindern, haben gleichfalls russische Entwickler letzten Herbst eine Anti-Selfie-App programmiert, die, wie die Hindustan Times berichtete, via Gesichtserkennung die eigene Fassade erkennen kann, um sie dann auf verschiedene visuelle Weisen zu verhunzen.

Wem ein Selfie-Stick zu provisorisch ist, der kann sich inzwischen authentischer des von Aric Snee und Justin Crowe erfundenen Selfie-Arms bedienen, der sympathische Händchenhaltefotos erzeugt. Aber Selfies können auch gefährlich werden. In Amerika haben solche Fotos zwei Tablet-Diebe verpfiffen: Nachdem die beiden jungen Männer Geld und Geräte aus einem Auto geklaut hatten, fotografierten sie sich begeistert mit den Banknoten.

Allerdings wanderten die Bilder unbemerkt und umgehend in die iCloud des Beraubten – der veröffentlichte sie auf der beliebten Social-News-Site Reddit, wo jemand die Täter schliesslich identifizieren konnte (sie kamen im texanischen Houston in Untersuchungshaft). Im Übrigen ist die Neigung zur Selbstabbildung ist so alt wie die Menschheit. Schon auf Höhlenwänden finden sich die Umrisse von Händen, auf die Farbe geblasen wurde.

Und seit Jahrtausenden vollendete Kulturgüter wie der Krug oder das Brot werden wohl auch die Erfinder des letzten Schreis auf dem Gebiet hirnverbrannten Selfietums dazu bewogen haben, ihren Selfie-Toaster zu produzieren.

Für 70 Dollar erhält man einen noch nicht selfiefähigen Toaster und einen Gutschein über die Anfertigung einer Schablone, die nach einem "guten Foto" des Nutzers hergestellt wird – mit anderen Worten, einer grob kontrastierten Abbildung, da Toastbrot nicht gerade der ideale Untergrund für hochauflösende Bilder ist. "Einige sagen, dass das ein Zeichen für das nahende Ende sei, oder dafür, dass der Selfie-Wahn nun komplett ausgebrochen ist", kann man fast ein wenig selbstkritisch auf der Firmenwebsite lesen. "Aber wir glauben, dass das der Weg allen Toastes ist, und ein ziemlich einzigartiges Geschenk."

So kann man natürlich auch umschreiben, dass es sich bei dem Gerät eigentlich gar nicht um einen Toaster handelt, sondern um eine Brotschwärzungsmaschine. Sogar auf der Website des Herstellers sieht man das großflächig verbrannte Weissbrot, in dessen verkohlten Regionen man mit viel Fantasie ein Gesicht erkennen kann.

Die Diskussion darüber, wie man beispielsweise die Entstehung des krebserregenden Acrylamids vermeidet, das sich bei hohen Temperaturen – beim Frittieren oder abgeschwächt auch beim Toasten – aus Zucker- und Eiweißbausteinen bildet, scheint an Burntimpressions.com spurlos vorbeigezogen zu sein. Vielleicht aber ist der Gesichtstoaster auch einfach eines jener Geschenke, die man nur ein einziges Mal benutzt, um den Schenkenden zufriedenzustellen. Aber sogar wenn es sich um amerikanisches Toastbrot handeln sollte, das man durch eine solche Selfie-Schablone zu ruinieren beabsichtigt, gilt: Mit Essen spielt man nicht. ()