Verriss des Monats: Die Dessous-Digitalisierung

Eine kleine Vernetzungsgeschichte der Unterhose – plus der letzte Schrei auf diesem Gebiet.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Peter Glaser

Die Kunst des gepflegten Verreißens zweifelhafter Produkte ist ein wenig aus der Mode gekommen. An dieser Stelle präsentiert unser Kolumnist Peter Glaser einmal im Monat deshalb eine Rezension der etwas anderen Art: den Verriss des Monats. Vorschläge für besonders zu würdigende Produkte werden gerne per Mail entgegengenommen.

Angefangen mit dem Unfug hat die Unterhosenfirma Joe Boxer. 1995, als HotWired – das Online-Angebot der Zeitschrift Wired – erfolgreich die erste Online-Werbung auf seiner Website präsentierte und die Hotelkette Hyatt Internet-Buchern erstmals Sondertarife bei Übernachtungen einräumte, pries der kalifornische Unterhosenhersteller Joe Boxer als erster Wäschefabrikant die Vorzüge seiner Produkte auf seiner Homepage an. Auf riesigen Reklametafeln am Straßenrand und auf den Unterhosenverpackungen prangte die Internet-Adresse des Unternehmens. Am New Yorker Times Square gab es ein Billboard, auf dem E-Mails zu lesen waren, die Leute an die Joe Boxer-Website schickten. Bob Norris aus South Carolina, der sich in einem Chatroom auf America Online in Catherine Smylie verknallt hatte, machte seiner Angebeteten auf dem Billboard einen Heiratsantrag und brachte es damit zu einer CNN-Meldung – und einer von Joe Boxer bezahlten Hochzeit.

Die Firmenphilosophie war 1985 entstanden, als der Secret Service 1000 Paar mit 100-Dollar-Noten bedruckter Unterhosen beschlagnahmte, weil der Aufdruck gegen ein Gesetz zur Geldfälschung verstieß. Als klar war, dass er dafür nicht ins Gefängnis mußte, ergriff Firmenchef Nick Graham sofort die Chance und verwandelte die Beschlagnahmung in eine werbewirksame Nachricht.

Dem wollte die Markenagentur Glad Eye aus dem neuseeländischen Auckland offenbar nicht nachstehen und präsentierte jüngst, mit ziemlichem Sprachungeschick, Vibrundies benannte Unterhosen, die "durch unser spezielles Undies-Batteriepack vibrieren oder dich über dein Smartphone alarmieren." Die vibrierende Unterhose scannt Twitter nach dem Vorkommen der Markennamen, die man, also, im Auge behalten möchte "und vermitteln dir ein spezielles Gefühl." Immer und überall, wo man keine Gelegenheit habe, auf sein Smartphone zu schauen, "in Meetings, unterwegs, in der Kirche oder während Beratungen gibt es eine bessere Möglichkeit, dem Summen und Brummen seiner sozialen Aktivitäten nachzuspüren."

Werbung und Marketing arbeiten seit jeher an einer immer neuen Erotisierung der Dingwelt. Mehr und mehr von dem, was wir als Welt wahrnehmen sollen, liegt hinter Glas – Auslagen, Bildschirme, Displays. Wir gehen durch die glaskühlen Vitrinenfluchten der Städte und lassen uns anfluten von den raffinierten Rufen der Waren, dem Spiel der Lichter, den wie schwerelos hingesetzten Arrangements. Wir alle gehören noch nicht Dir, murmeln die Marken, oh wie gern wir es doch würden. Wie wunderbar, in wehrlosen Dingen zu wühlen.

Ruft man die Vibrundies-Website auf, wird allerdings eine Art visuelles Bremsgeräusch der werblichen Verführung sichtbar. Vor einem schmutzigrosa Hintergrund hat ein käsiger Typ im Slip seinen Fuß auf ein kistengroßes Vibrundies-Icon gestellt, als habe er die batteriebetriebenen Dessous gerade bei einer Großwildjagd erlegt. Die Grafikergesichtsfrisur gibt dem dringenden Verdacht Raum, es könne sich nicht um ein professionelles Model, sondern aus Kostengründen um einen Mitarbeiter der Agentur handeln, der eigentlich einer anderen Profession angehört.

Vibrundies wurden geschaffen, "um dich intimer mit deiner Marke zu verbinden", heißt es da. Bewerkstelligt wird das mit einem zusätzlich angenähten Täschchen, in dem die Vibrationseinheit untergebracht wird. Dazu gibt es eine kleine Fernbedienung, um das Schnurren ein- und auszuschalten. Schaltzentrale des Ganzen ist eine App (nur für iPhone and iPad), die sich via Bluetooth mit den Unterhosen verbindet. Der Nutzer gibt einen Markennamen ein und geht vermittels der App auf Twitter, "sodass er, wann immer die Marke genannt wird, eine nette, kleine Vibration spürt."

In der App lässt sich die Intensität der Vibrationen regeln und ein "Bitte nicht stören"-Modus für eher ernsthafte Momente wie Essen bei den Eltern, Bewerbungsgespräche oder Beisetzungen aktivieren. Wer braucht noch einen Partner, wenn er stattdessen seine Vibrundies anziehen und die tiefgehende Zuneigung zu seiner Lieblingsmarke zeigen kann? ()