Verriss des Monats: Kafka auf Facebook

Hasserfüllte Äußerungen im Netz erfordern Grenzsicherung auf dem Gebiet der Meinungsfreiheit. Facebook möchte sich dem gern entziehen.

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Von
  • Peter Glaser

Hasserfüllte Äußerungen im Netz erfordern Grenzsicherung auf dem Gebiet der Meinungsfreiheit. Facebook möchte sich dem gern entziehen.

Die Kunst des gepflegten Verreißens zweifelhafter Produkte ist ein wenig aus der Mode gekommen. An dieser Stelle präsentiert unser Kolumnist Peter Glaser einmal im Monat deshalb eine Rezension der etwas anderen Art: den Verriss des Monats. Vorschläge für besonders zu würdigende Produkte werden gerne per Mail entgegengenommen.

"Wer Dinge falsch benennt, trägt zum Unheil in der Welt bei", schrieb der Philosoph Albert Camus noch ohne soziale Netze zu kennen. Seit Mitte Oktober ermittelt nun die Hamburger Staatsanwaltschaft gegen drei Facebook-Manager, die als Geschäftsführer der Facebook Germany GmbH eingetragen sind und denen von dem Würzburger Rechtsanwalt Chan-jo Chun Volksverhetzung vorgeworfen wird. Der Jurist hatte 60 Fälle von Hasskommentaren zur Flüchtlingsfrage dokumentiert, in denen trotz Aufforderung durch andere Nutzer auch strafrechtlich relevante Mitteilungen von Facebook nicht gelöscht wurden.

Unter Artikeln über Flüchtlinge finden sich in den Online-Ausgaben deutschsprachiger Zeitungen zunehmend gesperrte Kommentarfelder. "Aufgrund wiederholter Verstöße gegen unsere Forumregeln wurde die Kommentarfunktion zu diesem Artikel deaktiviert", heißt es etwa in der österreichischen "Presse", und auch Spiegel Online weist die "lieben Leserinnen und Leser" darauf hin, dass sie unter manchem Text nun kein Forum mehr finden: "Leider erreichen uns zum Thema Flüchtlinge so viele unangemessene, beleidigende oder justiziable Forumsbeiträge, dass eine gewissenhafte Moderation ... kaum mehr möglich ist."

Bei Facebook versucht man es mit der bisher erfolgreichen Methode, die Nutzer die Arbeit selbst machen zu lassen – vom Schreiben von Hilfetexten bis zur "Meldung" beanstandenswerter Beiträge. Wer aber über das Anklicken von ein paar Multiple-Choice-Feldern hinaus schon mal versucht hat, einen Facebook-Mitarbeiter zu erreichen, um sein Anliegen vorzubringen, wird das Gefühl kennen, sich in einen Kafka-Roman verlaufen zu haben. Irgendetwas spricht in Form verquaster und unverbindlicher Textbausteine zu einem, ein richtiger Mensch aber ist in diesem Datennebel nicht auszumachen.

Der Grund dafür lässt sich einfach ausrechnen. Am 24. August hatte Facebook-Chef Mark Zuckerberg stolz bekanntgegeben, dass zum ersten Mal innerhalb von 24 Stunden über eine Milliarde Menschen das Netzwerk genutzt hätten. Um mit einer Milliarde Mitgliedern einen Tag lang jeweils auch nur eine Sekunde lang in Kontakt zu treten, wären 34.722 Facebook-Mitarbeiter nötig, anders gesagt: drei Facebook-Mitarbeiter, die in Achtstundenschichten Tag und Nacht ununterbrochen durcharbeiten, würden dafür 31,7 Jahre brauchen (im Juni 2015 hatte Facebook 10.955 Mitarbeiter).

Eine solche Menschenmenge ist nur noch mit Computerhilfe beherrschbar – Facebook ist ein algorithmisch kontrollierter Kindergarten für Erwachsene. Das sogenannte Soziale Netz ist das Gegenteil dessen, was es zu sein vorgibt: Es ist die größte Teilnehmerabwimmelanlage der Welt. Software, mit der sich zwar die Werbebeballerbarkeit der Nutzer verfeinern lässt, die aber nicht mit Menschen umgehen kann und es auch gar nicht will.

Bei einem ihrer seltenen Auftritte vor Journalisten in der europäischen Niederlassung in Dublin wand sich die Facebook-Führungsriege jüngst um jede konkrete Antwort auf Fragen zu den Mitarbeitern, die sich angeblich um die Qualität der Nutzerbeiträge kümmern, oder warum man hasstriefende Äußerungen lieber mit Gegenrede bekämpfen anstatt sie, wie sogar Kanzlerin Merkel anmahnte, zu löschen – in einer globalisierten Welt prallen nun unterschiedliche Meinungskulturen aufeinander.

Wobei ein US-Unternehmen wie Facebook immer versuchen wird, die Welt mit der amerikanischen Auffassung von Free Speech zu beglücken, die auch Hetze und Hassrede einschließt – eine fragwürdige Art von Toleranz, die sich in Deutschland schon aus historischen Gründen verbietet.

"Nichts ist so einfach als Leute aufzuhetzen", sagte der angesehene österreichische Journalist Hugo Portisch kürzlich. "Da muss man eine Barriere aufbauen. Indem man eben die Wahrheit und nichts als die Wahrheit verbreitet: Die Flüchtlinge sind keine bösen Menschen." ()