Vom Laufsteg in die Gesellschaft

Wie sehr beeinflussen Modenschauen den Stil auf der Straße? Forscher haben ein System für maschinelles Sehen entwickelt, das erstmals belastbare Daten zur Beantwortung dieser Frage liefert.

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  • TR Online

Wie sehr beeinflussen Modenschauen den Stil auf der Straße? Forscher haben ein System für maschinelles Sehen entwickelt, das erstmals belastbare Daten zur Beantwortung dieser Frage liefert.

In dem Film "Der Teufel trägt Prada" aus dem Jahr 2006 schätzt die berühmte Moderedakteurin Miranda Priestly Menschen auf einen Blick ein, indem sie ihre Kleidung, den Designer und das Entstehungsjahr analysiert. Die Inspiration für diese Figur kam bekanntermaßen von Anna Wintour, langjährige Vogue-Chefredakteurin und selbst eine Stilikone.

Doch wenn ein Mensch mit einem kurzem Blick Modestile erkennen und zeitlich einordnen kann, warum dann nicht auch eine Maschine? KuanTing Chen von der National Taiwan University in Taipeh und einige Kollegen haben jetzt gezeigt, dass dies tatsächlich möglich ist: Mit maschinellem Sehen lassen sich Modestile und Veränderungen von Saison zu Saison klassifizieren. Konkret nutzten die Forscher ihre Technik für maschinelles Sehen, um zu zeigen, wie sich Trends vom Laufsteg später bei Mode auf der Straße wiederfinden.

Zunächst trainierten Chen und Kollegen ihren "Machine Vision"-Algorithmus darauf, auf Bildern die Körperhaltung von Personen zu erkennen und dann den Körper in neun Regionen zu unterteilen – oberer und unterer Teil von Armen und Beinen sowie den Torso. Als Nächstes erfolgte eine Analyse von Farbe, Textur, Haut und dergleichen in jeder der Regionen. Auf dieser Grundlage entstand eine Liste, die einen Vektor der visuellen Merkmale für den gesamten Körper darstellt.

Zum Vergleich von Modestilen blieb dann nur noch die relativ einfache mathematische Aufgabe, diese Vektoren mit ihren 72 Dimensionen einander gegenüberzustellen.

Als Nächstes stellten die Forscher zwei Datenbanken mit Fotos zusammen. Die erste enthält 8.000 Bilder von Models bei der New York Fashion Week für Frühjahr/Sommer in den Jahren 2014 und 2015. In der zweiten Datenbank befinden sich etwa 1.000 Fotos von Straßen-Chic, aufgenommen in der Frühjahr-/Sommersaison derselben zwei Jahre.

Die Fashion Week in New York ist ein bedeutendes Ereignis. Zu den ungefähr 300 Laufsteg-Vorführungen kommen bis zu 100.000 Zuschauer. Damit stellt sich die interessante Frage, wie die Trends dieser Modewochen in der nächsten Saison die Mode auf der Straße beeinflussen.

Um das herauszufinden, setzten Chen und Kollegen ihren Algorithmus für maschinelles Sehen ein. Die Ergebnisse davon sind interessant. Wie der Algorithmus ermittelte, ist eine kleine Zahl von klassischen Stilen jedes Jahr anzutreffen. "Bei den Farben am Oberkörper zeigen sich sowohl 2014 als auch 2015 große Anteile von weiß, grau und schwarz", heißt es in dem Fachaufsatz der Forscher.

Von großem Interesse ist auch, wie sich die Mode verändert – und auch hier liefert der Algorithmus Informationen. Wie sich zeigte, waren 2015 Knopfleisten und Tank-Tops sowie Streifen verbreiteter, bei den Farben waren Blau, Cyan und Rot am Oberkörper überdurchschnittlich beliebt.

Interessanterweise spiegelten sich diese Veränderungen auf dem Laufsteg auch in den Straßenmode-Fotos wider. "Wir können sagen, dass viele Leute dazu neigen, den Stil von den Modenschauen nachzuahmen", schreiben Chen und Kollegen.

Auch Unterschiede zwischen den Datensammlungen zu Shows und Straße zeigten sich. So gab es bei der Straßenmode 2014 einen Trend zu längeren Ärmeln und Beinkleidern. Chen und Kollegen spekulieren, dass dies die Folge des besonders kalten Sommers in diesem Jahr war: Die Leute hätten vermutlich schlicht deshalb zu längerer und damit wärmerer Kleidung gegriffen.

Die Arbeit zeigt, welche Fortschritte maschinelles Sehen in relativ kurzer Zeit gemacht hat. Zumindest zum Teil ist dies auf verbesserte Algorithmen zur Erkennung der Körperhaltung zurückzuführen, mit denen sich Gliedmaßen und andere Körperteile relativ schnell erfassen lassen.

Ebenfalls zeigt die Arbeit, wie sich kulturelle Einflüsse wie eben Moden rasch in der Gesellschaft verbreiten. "Klar scheint, dass Modetrends von Modeshows tatsächlich eine Referenz für die Kunden sind und erheblichen Einfluss auf ihren Alltag ausüben", so der Aufsatz.

Vielen Modefans wird das bekannt vorkommen. Neu jedoch ist, dass sich dieser Effekt jetzt quantifizieren lässt. Möglicherweise liefert dies interessante Informationen für Modemarken, Designer und auch Verbraucher.

Damit dürfte sich hier eine Möglichkeit gefunden haben, maschinelles Sehen profitabel einzusetzen. Miranda Priestly wäre beeindruckt gewesen.

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