Atomuhren gehen an den Kern

Die heutigen hochpräzisen Atomuhren sind Wissenschaftlern noch nicht genau genug. Sie wollen künftig Resonanzfrequenzen von Atomkernen zur Zeitmessung nutzen – und sind diesem Ziel jetzt näher gekommen.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Sascha Mattke
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Was ist eine Sekunde? Die Frage lässt sich sehr unterschiedlich genau und kompliziert beantworten – von „einmal kurz die Augen zumachen“ über „ein 86.400-stel der Zeit, in der sich die Erde einmal um sich selbst drehtt“ bis zu „das 9.192.631.770-Fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustands von Atomen des Nuklids 133Cs entsprechenden Strahlung“.

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Letzteres ist die heute gültige Definition, vereinbart bei der 13. Generalkonferenz für Maß und Gewicht im Jahr 1967 in Paris. Seit dieser Zeit haben im wissenschaftlichen Bereich Atomuhren das Sagen – in mehreren Ländern stehen hochpräzise Apparaturen, die sich untereinander abstimmen, um eine offizielle Weltzeit zu ermitteln. Eine der nationalen Zeit-Referenzen ist die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig. Und deren Forscher sind zusammen mit Kollegen an anderen Instituten einer noch weitaus genaueren Zeitmessung jetzt einen Schritt näher gekommen.

Genau gehende Uhren brauchen den richtigen Taktgeber. Das konnte in früheren Zeiten ein Pendel sein oder eine Feder, die sich stückweise abrollt. Heutige Armbanduhren enthalten einen Quarzoszillator, also eine Schaltung, die mit Hilfe der festen Resonanzfrequenz eines Quarzkristalls ein elektrisches Signal mit bekannter Frequenz ausgibt. Bei den heute gebräuchlichen Kristallen liegt diese Frequenz bei 32.768 Hertz. 32.768 Schwingungen entsprechen also ziemlich genau 1 Sekunde. Hochpräzise moderne Quarzuhren kommen pro Jahr auf eine Abweichung von etwa 25 Sekunden gegenüber der perfekten Zeitmessung.

Das könnte man für ausreichend halten, doch für wissenschaftliche und technische Anwendungen ist eine noch viel exaktere Zeitmessung erforderlich. Aus diesem Grund wurden ab den 1940er Jahren Atomuhren entwickelt. Auch hier wird mit einer verlässlichen Schwingfrequenz gearbeitet: Man macht sich die Tatsache zunutze, dass Atome beim Übergang zwischen zwei Energiezuständen elektromagnetische Wellen einer bestimmten Frequenz absorbieren und wieder abgeben können. Mit Hilfe dieser Referenz-Frequenz wird bei heutigen Atomuhren die Schwingung eines Quarzoszillators extrem stabil gehalten.

Bis heute arbeiten die Entwickler von ultragenauen Uhren wie in der Anfangszeit meist mit Cäsium. Mit verschiedenen Tricks konnten sie die Abweichung von der Idealzeit immer weiter drücken – hochmoderne Cäsium-Atomuhren gehen in vielen Millionen Jahren nur noch eine Sekunde nach oder vor.

Doch auch das lässt bei einigen Forschungsgebieten noch Wünsche offen. Mit noch genaueren Uhren wollen Forscher in Bereiche vorstoßen, in denen sich zum Beispiel überprüfen lässt, ob Naturkonstanten tatsächlich Konstanten sind. Und auch GPS-Navigation wird präziser, wenn sich Zeit genauer messen lässt. Deshalb haben PTB-Forscher schon vor 15 Jahren vorgeschlagen, statt der Übergangsfrequenz in der Elektronenhülle die Frequenz im Atomkern zu nutzen. Protonen und Neutronen sind dort um viele Größenordnungen fester gebunden, sodass sie weniger empfindlich auf äußere Einflüsse reagieren.

Allerdings liegen die Frequenzen der Kern-Übergänge weit über denen für die Hüllen-Übergänge. Bei den meisten Elementen sind sie zu hoch, um zuverlässig damit arbeiten zu können. Die einzige bekannte Ausnahme bildet das Thorium-Isotop 229, dessen Kern sich mit wenig Energie in einen recht stabilen Anregungszustand bringen lässt. Zudem liegt die Frequenz für diesen Übergang zum Isomer Thorium-229m im Bereich von UV-Licht und kann mit der Lasertechnik heutiger Atomuhren erfasst werden.

Das große Problem dabei ist, dass noch niemand weiß, wie hoch genau diese Frequenz ist. „Wie für die Uhr erwünscht, ist die Resonanz des Übergangs extrem scharf und kann nur beobachtet werden, wenn die Frequenz des Laserlichts exakt zur Energiedifferenz der beiden Zustände passt. Das Problem gleicht damit der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen“, erklärt Ekkehard Peik, der sich an der PTB mit den neuen Kernuhren beschäftigt.

Bis vor zwei Jahren war noch nicht einmal direkt belegt, dass es das 229m-Isomer überhaupt gibt, doch im Frühjahr 2016 gelang es Forschern mehrerer deutscher Universitäten, es als Ionenstrahl zu isolieren und damit nachzuweisen. Parallel dazu wird daran geforscht, die genaue Übergangfrequenz herauszufinden.

Und auch bei dieser Arbeit haben die PTB-Forscher jetzt einen Fortschritt erzielt, wie sie zusammen mit Kollegen aus München, Mainz und Darmstadt in der Fachzeitschrift Nature berichten: Die korrekte Frequenz kennen sie immer noch nicht, doch sie haben mit Lasersystemen erstmals grundlegende Eigenschaften wie Größe und Form der Ladungsverteilung des Kerns von Thorium-229 im angeregten Zustand gemessen.

Außerdem konnten die Forscher in einem komplizierten Versuchsaufbau die Übergangsfrequenzen in der Elektronenhülle präzise messen. Diese Frequenzen werden von den Kerneigenschaften direkt beeinflusst, sodass sich aus ihnen Informationen über Eigenschaften des Kerns ableiten lassen. Die spektroskopisch leichter messbare Struktur der Elektronenhülle könne jetzt genutzt werden, um eine Laseranregung des Kerns nachzuweisen, erklärt die PTB.

Die exakte Resonanzfrequenz für den Kern von Thorium-229 ist also noch immer nicht bekannt. Aber immerhin wisse man jetzt deutlich mehr darüber, „wie die versteckte Nadel eigentlich aussieht“, schreibt die PTB. Die Realisierung einer optischen Kernuhr sei damit einen guten Schritt näher gerückt.

(sma)