Vor 50 Jahren: Das Netz der Netze wird der Fachwelt vorgestellt

Im Mai 1974 schlug die erste Definition des Transmission Control Protocol wie eine Bombe ein. Das feierte das IEEE kürzlich als erste Keimzelle des Internets.

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(Bild: asharkyu/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Das Internet hat bekanntlich viele Geburtstage. Am 19. Mai war so einer, jedenfalls für das Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE). Im Mai 1974 erschien nämlich in der Verbandszeitschrift "IEEE Transactions on Communication" der Aufsatz "A Protocol For Packet Network Intercommunication" von Vinton Cerf und Robert Kahn. Der Fachwelt wurde erstmals die Idee eines Transmission Control Protocol (TCP) vorgestellt, das sich eignet, um aus mehreren paketvermittelnden Netzen ein Netzwerk der Netzwerke aufzubauen. Es sollte das Network Core Protocol des Arpanet ablösen.

Zum 50. Geburtstag gibt es gleich mehrere Veranstaltungen, denn neben dem speziellen IEEE-Geburtstag würdigte das IEEE auch den Xerox Alto Computer, das Ethernet und den Laserdrucker. Den Abschluss bildete eine Veranstaltung im Computer History Museum. Zum Auftakt wurden drei IEEE-Milestone-Plaketten am PARC-Forum des Stanford Research Institute angebracht. Sie sollen an die herausragenden Erfindungen erinnern, die am damals von Xerox unterhaltenen Palo Alto Research Center (PARC) gemacht wurden.

Eine Plakette erinnert an den Xerox Alto als Urvater der Personal Computer, mit dem der Mythos vom großen Benutzeroberflächenraub verbunden ist. Eine weitere Plakette feiert den ebenfalls an PARC entwickelten Laserdrucker mit dem nerdigen Namen EARS (Ethernet-Alto Research Character Generator Scanning Laser Output Terminal) und eine dritte Plakette das am PARC entwickelte Ethernet beziehungsweise den IEEE-Standard 802.3. Ethernet-Erfinder Bob Metcalfe erhielt im Jahre 2023 den Turing Award und war bei dieser im Stream abrufbaren Hybrid-Veranstaltung zusammen mit Vint Cerf vor Ort.

Der extrem rührige und gut vernetzte Metcalfe war auch derjenige, der nach den Erinnerungen von Vint Cerf Ende 1973 nach einer Computerkonferenz im britischen Brighton Cerf den Herausgebern der IEEE vorstellte. Metcalfe zeigte den Teilnehmenden, wie das Arpanet funktioniert und erklärte sein Ethernet mitsamt den Wurzeln im ALOHAnet, das Norman Abramson entwickelt hatte. Cerf gab einen ersten Einblick in die Überlegungen von Robert Kahn und ihm. Diese sollten schließlich zu TCP führen und an den Erläuterungen Cerfs ist auch gut zu erkennen, wie und warum das veraltete NCP-Protokoll des Arpanets abgelöst wurde.

Nach der Konferenz arbeitete er zusammen mit seinem Partner Robert Kahn fieberhaft an dem für die IEEE vorgesehenen Artikel (PDF), der in der Fachwelt wie eine Bombe einschlug. Aus diesem Grund feierte das IEE zusammen mit Cerf und Kahn am vergangenen Wochenende die Veröffentlichung des Artikels.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war TCP weit davon entfernt, ein fertig definiertes Protokoll zu sein. Der an der Unversität von Kalifornien lehrende Informatiker Cerf überließ es seinen Studenten, die Details des Protokolls auszuarbeiten. "Ich musste für zwei Wochen weg und beauftragte nach der groben Skizze Yogen Dalal und Carl Sunshine, die Details zu beschreiben", erzählte Cerf die Entstehung im Buch "Soul of the Internet". Dementsprechend finden sich auch die Namen der beiden Promovierenden im RFC-Dokument 675, mit dem TCP im Dezember 1974 im Arpanet angekündigt wurde.

Doch aus heutiger Sicht muss die Liste um Gérard Le Lann und Hubert Zimmermann erweitert werden. Die beiden Franzosen waren 1974 Sommergäste an der Universität von Kalifornien. Daheim arbeiteten sie am Projekt Cyclades, das ihr Professor Louis Pouzin ins Leben gerufen hatte. Die Spuren dieser Zusammenarbeit finden sich in den Fußnoten zu RFC 675. Pouzin war zuvor Teilnehmer einer französischen Delegation gewesen, der das Arpanet vorgestellt wurde und entwickelte mit Cyclades und den Cigales genannten "Datagrams" die französische Variante eines paketvermittelnden Datennetzes. Im April 1974 besuchten Vint Cerf und Bob Kahn das Institut von Pouzin in Frankreich. Zurück in Kalifornien begann die detaillierte Arbeit an TCP.

Das aller-allererste Internet-Datenpaket schickte ein zur mobilen Sendestation umgerüsteter Lieferwagen (Brotlaster) 1977 auf eine Rundreise über mehrere Länder und Kontinente, Satellitenstrecken eingeschlossen.

(Bild: Stanford Research Institute)

"Ich habe eine sehr lebendige Erinnerung daran, wie Bob Metcalfe, Le Lann und ich auf dem Boden meines Hauses in Palo Alto riesige Diagramme malten, wie das System arbeiten sollte." Sie finden sich als ASCII-Kunstwerk im erwähnten RFC 675, dem ersten Dokument, in dem von einem Internet die Rede ist.

Dieses Request-Dokument war erst der Anfang der technischen Entwicklung des Internet Transmission Control Protocol. "Im Frühjahr 1976 begannen wir, das Protokoll in zwei Hälften aufzuteilen. Ich wechselte von der Universität zu ARPA und arbeitete dort unter der Leitung von Bob Kahn," erinnerte sich Cerf später an die Entstehung von TCP/IP, die mit ihren vielen "Requests for Comment" im RFC 9293 dokumentiert ist. Zu diesem Teil der weitschweifigen Internetgeschichte gehörten auch Tests, wie jener des "Brotlasters", der 1976 das erste TCP-Paket auf eine transkontinentale Internetrundreise schickte. Die große Umstellung erfolgte nach vielen Testläufen erst im Januar 1983.

Vint Cerf und Bob Kahn waren auch bei der Online-Gedenkfeier zum 50. Jahrestag des IEEE-Artikels über TCP dabei. Mit von der Partie war auch die Informatikerin Judy Estrin, die TCP als Doktorandin unter Cerf auf Herz und Nieren getestet hat. Ihr Vater Jerry Estrin war der Professor, der Vint Cerf als Assistent an die Universität von Kalifornien holte und seine Dissertation betreute. Jerry Estrins Ehefrau, die Informatikerin Thelma Estrin war die erste Vizepräsidentin der IEEE.

Die Feier ging am Montag mit einem Stream aus dem Computer History Museum weiter, allerdings unter etwas anderen Vorzeichen. Es wurde diskutiert, wie nach dem TCP-Vorschlag von Cerf und Kahn das IEEE 802-Standardisierungs-Komitee (PDF) entstand und was es mit den Plaketten für den Xerox Alto, das Ethernet und den Laserdrucker auf sich hat.

Außerdem wurde eine weitere Milestone-Plakette vergeben. Sie ging an Googles Page Rank, den Algorithmus, der zur Gründung von Google in den Jahren 1996 bis 1998 führte. Entsprechend der nichtstofflichen Natur des Algorithmus gibt es nur eine virtuelle Gedenk-Plakette. Sie könnte der 80-jährige Vint Cerf annehmen, der nunmehr als "Chief Internet Evangelist" seit 2001 bei Google angestellt ist. Dort arbeitet er an dem interplanetarischen Internet als nächster Entwicklungsstufe von TCP.

(dz)