Vor 50 Jahren: Die Hobbyisten machen sich auf den Weg zur PC-Revolution
Ende 1974 machte die Titelstory einer Zeitschrift Bastlern Appetit auf einen eigenen Computer. Es sollte dauern, bis sie den wirklich benutzen konnten.

Ein Altair 8800 als Exponat im Technischen Museum Wien
(Bild: Dr. Bernd Gross Lizenz: CC BY-SA 4.0)
Vor genau 50 Jahren, am 29. November 1974, ebenfalls einem Freitag, ging die Januar-Ausgabe der weit verbreiteten US-amerikanischen Zeitschrift "Popular Electronics" an die Druckerei. Sie sollte Mitte Dezember bei den Abonnenten sein und spätestens zwischen den Jahren am Kiosk ausliegen. Die Hobby-Bastler und Radio-Enthusiasten studierten dann gerne die Bauanleitungen und machten Pläne für das kommende Jahr. Als Sensation wurde auf dem Titel ein revolutionäres Bastel-Projekt angekündigt, der Bau eines Mini-Computers namens "Popular Electronics/MITS Altair 8800". Gezeigt wurde ein Fake, denn der eigentliche Bausatz ging auf dem Weg von MITS zur Redaktion verloren. Auch die Beschreibung des Bausatzes war ein Fake. Als Autoren waren Ed Roberts und Bill Yates angegeben, Chef und Chefingenieur der Firma MITS, doch der Text, der Radioamateuren die Funktionsweise eines Computers erklärte, stammte vom Marketing-Manager Ed Bunnell.
MITS, ausgeschrieben "Micro Instrumentation and Telemetry Systems", hatte ihr "Welthauptquartier" in Albuquerque. Von dort aus belieferte der inzwischen verstorbene Ed Roberts mit einer Handvoll Mitarbeitern enthusiastische Bastler mit Bausätzen für Taschenrechner, bis Firmen wie Texas Instruments begannen, selbst preisgünstige, fertig montierte Taschenrechner zu vertreiben. Auf der Suche nach Alternativen stieß Roberts bei der Konkurrenz von Popular Electronics auf einen Hinweis: In der Ausgabe für den Juli 1974 hatte Radio-Electronics schon den Mark-8 des Studenten Jonathan A. Titus vorgestellt, einen Bausatz für einen 8-bit-Computer mit dem Prozessor Intel 8008. Allerdings waren die per Post verschickten Teile nicht komplett und Interessenten mussten weitere Komponenten für ein Gehäuse hinzukaufen. Das wollte Roberts bei seinem Angebot ändern. Er konstruierte um den Chip Intel 8080, den er für sehr günstige 75 Dollar erhielt, einen schubladengroßen Computer mit einem Arbeitsspeicher von 256 Byte und einem Preis von 397 Dollar als Bausatz beziehungsweise 498 Dollar fertig montiert.
Die Erfindung des Heimcomputers
Ob Roberts mit seinem Bastel-Kit die Redaktion von Popular Electronics kontaktierte oder diese ihn, weil sie ein Projekt für die wichtige Januar-Ausgabe brauchte, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Jedenfalls kam man überein, den Computerbausatz als "Popular Electrronics/MITS Altair 8800" auf der Titelseite des Heftes anzukündigen und im Leitartikel zu besprechen. In der denkwürdigen Januar-Ausgabe (PDF) jubelte Chefredakteur Arthur Salsberg im Editorial "Der Heimcomputer ist da!" und schrieb im Blatt: "Anders als ein Taschenrechner – und wir stellen einen wissenschaftlichen Taschenrechner für weniger als 90 Dollar in dieser Ausgabe vor – können Computer logische Entscheidungen für ein Buchhaltungssystem, ein Navigationssystem, einen Time-Share-Computer, ein Einbruch-Meldesystem oder tausend andere Anwendungen treffen. Der Altair 8800 ist so mächtig, dass er viele Programme gleichzeitig bearbeiten kann." Dieser bombastischen Einführung folgte ein Text von Ghostwriter David Bunnell, der den Lesern (PDF, S. 33-38) die Funktionsweise des Systems erklärte. Als Autoren wurden jedoch Ed Roberts und Bill Yates genannt.
Benannt nach einem Stern
Was Chefingenieur Yates mit vier bestückten Platinen konstruiert und CEO Roberts im Einkauf günstig besorgt hatte, wurde bei MITS schlicht PE-8 getauft, Popular Electronics 8-Bit. Das war dem betreuenden PE-Redakteur Leslie Salomon zu farblos. Er wollte einen richtigen Namen wie Micral-N, diesem französischen 8-Bit-Mikrocomputer, den er in der Zeitschrift vorgestellt hatte. Seine Tochter Lauren schlug vor, den Namen des Computers vom Raumschiff Enterprise zu nehmen – doch der hatte keinen Namen. Da bei der TV-Serie die Enterprise in der Episode Amok Time (Weltraumfieber) gerade zum Planeten Altair 6 flog, bekam der Bausatz den Namen Altair. Eine andere Variante zur Namensgebung gibt es hier.
Salomon erzählte diese hübsche Anekdote auf der ersten (und einzigen) World Altair Computer Convention (PDF) im Frühjahr 1976, die David Bunnell organisierte. Sie fand großen Anklang, denn das Interesse am Altair 8800 war enorm. Bis Mai 1975 hatten 2500 Interessenten den Bausatz bestellt, der auf sich warten ließ. Im August war die Zahl gar auf 5000 Bestellungen gestiegen. Der Erfolg war so groß, dass Heathkit, der größte US-amerikanische Hersteller von elektronischen Bausätzen, mit dem H8 einen eigenen Bausatz mit dem Intel 8080 auflegte und diesem sogar ein Tastenfeld an der Frontseite sowie ein Betriebssystem namens HDOS spendierte (geschrieben von Gordon Letwin, dem späteren Chefentwickler von OS/2). Doch das passierte einfach zu spät. Viele Besteller besuchten jedenfalls die Computer Convention von Altair, um zu hören, ob der Bausatz überhaupt geliefert werde. In seinen Erinnerungen schreibt Bunnell, dass die erleichterten Seufzer hörbar waren, als versichert wurde, dass alle Bestellungen nach und nach abgearbeitet würden.
BASIC von einem langhaarigen Studenten
In seiner Autobiografie namens "Possiplex" beschreibt Ted Nelson den Besuch dieser Convention. In seinem Tagebuch hielt er fest, dass er sich mit Leslie Salomon sowie Ed Roberts unterhielt und sich mit einem "langhaarigen Harvard-Studenten" über die unzureichende High-Level-Software unterhielt, die es für den Altair 8800 gab. Der Langhaarige verneinte das und wies auf sein Altair BASIC hin, das für den Rechner verfügbar war. Der Name des bisher unbekannten Programmierers: Bill Gates. Wie Tausende andere Elektronik-Fans hatte Gates die Vorstellung des Altairs 8800 in der Popular Electronics verschlungen und sofort danach mit seinem Freund Paul Allen telefoniert. "Erregt lasen wir von dem ersten echten Personal Computer, und obwohl wir noch keine genaue Vorstellung davon hatten, wozu er zu gebrauchen wäre, war uns doch schon bald klar, dass er uns und die Welt des Computings verändern würde", schrieb Gates später in dem Buch "Der Weg nach vorn".
Allen und Gates schickten am 2. Januar 1975 einen Brief an MITS, in dem sie erklärten, ein BASIC fix und fertig entwickelt zu haben, das auf MCS-8080 Mikros lauffähig ist. "Wir sind daran interessiert, diese Software über Sie an Hobbyisten zu verkaufen. Sie kann auf Kassette oder Floppy Disks an Nutzer Ihres ALTAIR Microcomputer geliefert werden. Wir denken, von Ihnen 50 Dollar pro Kopie zu bekommen, während Sie die Kopie für 75 bis 100 Dollar verkaufen können." Dieser Brief wurde mit dem Briefkopf der Firma Traf-O-Data verschickt und von "Paul G. Allen, President" unterzeichnet. Traf-O-Data war die erste Firma von Allen und Gates, sie wurde gegründet, um Software zur Verkehrsüberwachung zu schreiben. Nach einigen Telefonaten mit Ed Roberts flog Allen nach Albuquerque und wurde schließlich zum 3. März 1975 als "Director of Software" bei MITS angestellt, während Gates in Boston an der Harvard-Universität an einer BASIC-Variante für den Intel 8080 arbeitete. Sie gab es schließlich in zwei Versionen, die für 150 bzw. 200 US-Dollar bei MITS geordert werden konnte. Um dieses BASIC auch für Altair-Clones anbieten zu können, gründeten Gates und Allen die Firma "Micro-Soft". Als "General-Partner, Micro-Soft" schrieb Bill Gates im Februar 1976 einen offenen Brief an die Hobbyisten (PDF), der auf der Altair Convention für Furore sorgte. Der Rest ist bekannt.
Die Belle Époque der IT
David Bunnell, der Verfasser des Popular Electronics-Artikels über den Altair 8800 und Organisator der World Altair Computer Convention, schrieb später über die PC-Revolution: "Für diejenigen von uns, die in dieser Branche seit den frühen Tagen der Personal Computer-Revolution Mitte der siebziger Jahre dabei sind, war es eine ganz wundervolle Zeit gewesen, eine "Belle Époque" der IT mit geradezu unglaublichen Innovationen. Wir waren Zeugen von erstaunlichen technologischen Durchbrüchen, wir zapften Kraftfelder an, an deren Existenz wir nicht im Traum gedacht hatten, wir erlebten Situationen von nahezu metaphysisch fühlbaren Wundern, als wir die ungeheure Macht des Informationszeitalters spürten, das uns in das 21. Jahrhundert katapultierte." Mit seinem Text, der zum Jahresende 1987 erschien, forderte er die Leser auf, die mit dem Altair 8800 startende Geschichte allgemein verfügbarer Computer mit den Möglichkeiten der damals entstehenden Möglichkeiten der Online-Kommunikation fortzusetzen. Mit dem nunmehr kommunizierenden, "partizipativen PC" sollte nichts weniger als die Demokratie gerettet werden. 2012 gestattete er heise online, diesen Aufruf als Weihnachtsedition zu übersetzen.
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