Warum Trolle sich jetzt bei Leserkommentaren austoben

Im Bereich Social Media wird die Abwehr von Desinformationskampagnen immer besser. Doch Online-Propagandisten finden Ausweichmöglichkeiten, so eine neue Studie.

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(Bild: Grianghraf / Unsplash)

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Die Whistleblowerin Frances Haugen, ihre Enthüllungen im amerikanischen Fernsehen, ihre Aussage vorm US-Parlament und dann auch noch der stundenlange Ausfall: Für Facebook läuft es gerade nicht gut. Dabei wird gerne vergessen, dass der Konzern trotz aller berechtigter Kritik durchaus Fortschritte im Kampf gegen Desinformation, Fake News und Trolle gemacht hat.

Abermillionen problematische Postings werden mittlerweile regelmäßig gelöscht, es gibt erste, tatsächlich funktionierende KI-Filter gegen Hass, man geht gegen Propaganda vor oder sperrt ganze Gruppen und Seitennetzwerke gleich komplett. Das mag noch längst nicht genug sein und wird Facebook wohl kaum vor staatlicher Regulierung retten, die in vielen Ländern droht. Doch es ist ausreichend, dass erste Online-Propagandisten und Trolle sich neue Spielwiesen zu suchen scheinen.

Davon geht zumindest eine Forschergruppe aus, die an der Cardiff University neue Daten vorgestellt hat. Diese zeigen, dass die Gruppen, die Propaganda für den Kreml machen, zunehmend auf Medienseiten wechseln, um die Menschen zu erreichen. Besonders beliebt seien große Marken wie "Daily Express" und "Daily Mail" in Großbritannien, "Fox News" und "Washington Post" in den USA oder "Spiegel.de" und "Welt.de" in Deutschland, so die Gruppe vom Crime and Security Research Institute der Hochschule, die Daten anhand von rund 250 einzelnen Artikeln gesammelt hat.

In insgesamt 32 prominenten Medien in 16 Ländern sollen Leser nun über die Kommentarspalte manipuliert worden sein. Es handele sich um eine "Einflusskampagne", glaubt Institutsprofessor Martin Innes, der das Open Source Communications Analytics Research (OSCAR) an der Hochschule leitet.

Gefährlich sei vor allem, dass viele Medien-Websites keine oder kaum Sicherheitsmaßnahmen aufgestellt hätten, die solche Aktivitäten unterbinden. "Trolle können leicht zwischen Persönlichkeiten und Identitäten wechseln, etwas, was die Technik ihnen erlaubt." So wurden über 500 Namenswechsel und fast 70 Ortswechsel der offenbar gleichen Kommentatoren festgestellt. Teilweise wird auch massiv mit Up-Votes gearbeitet, um Pro-Kreml-Inhalte nach oben zu spülen. Während Facebook, YouTube oder Twitter zunehmend scharfe Werkzeuge gegen solche Methoden implementiert haben, steht Medien oft nur ein kleines Moderationsteam zur Verfügung, die von relativ simpler Software unterstützt werden.

Festgestellt wurde auch eine gewisse Koordinierung zwischen Medien und manipulierten Kommentar-Postings. So greifen Kreml-nahe Publikationen auch in Ländern wie Bulgarien den Forschern zufolge Kommentare in großen westlichen Medien auf und berichten dann, Leser des "Spiegel" oder der "Daily Mail" dächten auf eine bestimmte Art – dabei sind die Beiträge manipuliert.

(bsc)