Warum ein Edit-Button Twitters Problem nicht lösen wird

Seit langem fordern Twitter-Nutzer, Tweets nachträglich korrigieren zu können. Nun kommt das Feature wohl, doch unschönes Verhalten wird das kaum beenden.

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Schriftzug "twiter", in den on der Mite gerade ein weiteres t eingefügt wird

(Bild: Ms Tech)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Rhiannon Williams
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Der Wunsch steht bei Twitter-Nutzerinnen und -Nutzern seit vielen Jahren ganz oben: mit einer Editier-Funktion einmal abgesetzte Tweets korrigieren zu können. Bislang muss jeder, der eine Veränderung wünscht, jede Botschaft löschen und neu schreiben.

Nun endlich führt Twitter eine solche Schaltfläche zum Bearbeiten ein, mit der Tweets bis zu 30 Minuten nach dem Absenden geändert werden können. Aber die Funktion dieses Edit-Buttons wird wahrscheinlich keines der größten Probleme des Unternehmens lösen – in einigen Fällen könnte sie sie sogar verschlimmern.

Die Funktion wird zunächst zu Testzwecken auf Twitter-Mitarbeiter beschränkt sein, bevor sie später in diesem Monat für Abonnenten des 5-Dollar-Monatsabonnements "Twitter Blue" eingeführt wird. Da Twitter Blue auch als Testumgebung für neue Funktionen des Unternehmens dient, ist es denkbar, dass die Bearbeitungsschaltfläche später allen Nutzern verfügbar gemacht wird.

Twitter hat sich jahrelang dagegen gesträubt, die Möglichkeit zum Bearbeiten von Tweets einzuführen. Auch Elon Musk, der potenzielle Twitter-Käufer, wollte sie haben. Der ehemalige Geschäftsführer Jack Dorsey fürchtete in der Vergangenheit jedoch, dass dies "die Stimmung" aus Twitters Anfangszeit als Dienst, der einst auf SMS aufbaute, zerstören würde.

Experten haben wiederholt darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit, Tweets zu bearbeiten, es böswilligen Akteuren ermöglichen könnte, "Geschichte umzuschreiben" und sogar mehr Fehlinformation zu verbreiten – selbst wenn ein vollständiger Verlauf der Tweet-Änderungen verfügbar ist.

So könnten beispielsweise scheinbar harmlose Tweets, die sich viral verbreiten, leicht so bearbeitet werden, dass sie später Desinformationen oder Hassreden enthalten – und selbst wenn die früheren Versionen des Tweets sichtbar sind, bedeutet das nicht unbedingt, dass die Leute sie sich ansehen. Eine Schaltfläche zum Bearbeiten könnte theoretisch auch Nutzerinnen und Nutzer, deren Tweets große Aufmerksamkeit erzeugen, zu noch wichtigeren Zielen für Hacker machen. Bösartige Akteurinnen und Akteure wissen dann, dass die Tweets garantiert ein großes Publikum erreichen.

Nutzende werden – so ist es geplant – durch ein Icon, einen Zeitstempel und eine Kennzeichnung darauf aufmerksam gemacht, dass Tweets bearbeitet wurden. Laut Twitter soll damit deutlich gemacht werden, dass die ursprüngliche Nachricht innerhalb einer halben Stunde nach dem Absenden geändert wurde. Tweets können innerhalb dieses Zeitrahmens offenbar "einige Male" bearbeitet werden – und ein Protokoll darüber, wie genau ein Tweet geändert wurde, wird angezeigt, wenn jemand die Kennzeichnung anklickt.

Twitter hat eingeräumt, dass die Funktion missbraucht werden könnte – und sagt, dass dieses Potenzial überwacht werden soll. Das ist wahrscheinlich ein Versuch, die Bedeutung des Problems herunterzuspielen, sagt Konstantinos Komaitis, ein Internetpolitik-Experte: "Je nachdem, wie Twitter diese Funktion gestaltet, kann sie entweder bei Tippfehlern helfen und nichts weiter Schlimmes bewirken – oder sie kann den gesamten öffentlichen Diskurs und die Art und Weise, wie wir interagieren und uns austauschen, verändern."

Den Nutzenden eine Schaltfläche zum Bearbeiten zu geben, könnte auch als Ablenkung von den tieferen Problemen der Plattform verstanden werden: der bevorstehende Rechtsstreit mit Eventuell-Käufer Musk etwa oder die eklatanten Datenschutz- und Sicherheitsprobleme, die durch den ehemaligen Sicherheitschef Peiter "Mudge" Zatko, der zum Whistleblower wurde, aufgedeckt wurden. Gleichzeitig glauben nur wenige, dass es Twitter gelingt, Trolling, Hassrede oder andere problematische Verhaltensweisen zu unterbinden. Für die gibt es nämlich keinen Edit-Button.

Um die Möglichkeit des Missbrauchs zu minimieren, sei es wichtig, Nutzende darauf hinzuweisen, dass ein Tweet bearbeitet wurde, so Komaitis. Er verwies auf das Beispiel einer Person, die ein Bild eines süßen Hundes getwittert hat, um positive Reaktionen zu erhalten – und es dann gegen ein Bild von Hitler austauscht. "Wir wissen, dass solche Situationen vorkommen können, und das liegt nicht an Twitter oder dem Internet, sondern daran, wie die Gesellschaft derzeit funktioniert", sagte er, und fügte hinzu, dass die potenziellen Vorteile eines Editierknopfs die Möglichkeiten des Missbrauchs wahrscheinlich nicht aufwiegen werden.

"Twitter muss sich so viele Sicherheitsvorkehrungen wie möglich einfallen lassen, um sicherzustellen, dass es sich nur um kleine Fehler oder eine bedauerliche Wortwahl handelt, die korrigiert werden." Kommunikation dürfe nicht komplett verändert werden. Durch die Beschränkung der Funktion auf zahlende Abonnentinnen und Abonnenten könnte Twitter die Nutzer-Zahl, die die Funktion böswillig verwenden, zwar drastisch reduzieren, aber auch nicht vollständig ausmerzen.

Das neue Dienstmerkmal wirft zudem die Frage auf, ob ein bearbeiteter Tweet als echter Tweet gezählt wird. Dies könnte sogar die Zahl der täglich aktiven Nutzenden verfälschen, die für Großinvestoren wichtig ist. Und es ist fraglich, ob der Einsatz zahlender Abo-Kundschaft zum Testen der Funktion wirklich hilfreich ist, wenn sie dann später der breiten Masse – und unter ihnen die schlimmsten Trolle und Hetzer – verfügbar gemacht wird.

Letztlich spreche die Beliebtheit der Idee eines Edit-Knopfes für die Liebe der Menschen zum Perfektionismus, sagt Charles Arthur, Autor von "Social Warming: How Social Media Polarizes Us All": "Wir scheinen diese Fähigkeit, unser Leben nachträglich zu bearbeiten, auf bizarre Weise zu begehren – und nutzen Technik, um die Zeit zurückzudrehen." Die Leute hätten gesellschaftliche Angst davor, etwas Falsches zu sagen: "Wir haben kein Vertrauen in das, was wir gesagt haben."

Natürlich kann Vieles falsch verstanden werden, und da hilft so eine Editierfunktion. Doch das Problem ist, dass alles, was sich für Gutes verwenden lässt, auch für Böses verwenden lässt. Und genau das könnte auf einer Plattform wie Twitter passieren, auf der sowieso schon ein oftmals rauer Ton herrscht.

(jle)