Wer das Shakespeare-Drama wirklich schrieb
Literaturkritiker vermuteten seit langem, dass William Shakespeare beim Schreiben Unterstützung hatte. Eine Computer-Analyse zeigt jetzt, wer welche Anteile an Henry VIII. hatte.
- TR Online
Den Großteil seines Lebens über war William Shakespeare der Hausdramatiker für eine Schauspieltruppe namens "The King's Men", die an den Ufern der Themse in London seine Stücke auführte. Als er 1616 starb, brauchte die Truppe einen Ersatz und wandte sich an einen der produktivsten und bekanntesten Schreiber der damaligen Zeit, einen Mann namens John Fletcher.
Heute ist Fletcher weniger berühmt. Im Jahr 1850 aber fiel dem Literaturanalysten James Spedding eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zwischen den Werken von Fletcher und Passagen in "Henry VIII." von Shakespeare auf. Er kam zu dem Schluss, dass Fletcher und Shakespeare bei dem Stück zusammengearbeitet haben mussten.
Welcher Autor war bei "Henry VIII." am Werk?
Belege dafür fand er bei einer Untersuchung der linguistischen Besonderheiten beider Autoren und ihrer Fundstellen in Henry VIII. So schreibt Fletcher anstelle von "you" oft "ye" und "'em" anstelle von "them". Außerdem neigte er dazu, das Wort "sir" oder "still" an das Ende einer normalen Pentameter-Zeile zu setzen, um eine zusätzliche sechste Silbe zu schaffen.
Diese Besonderheiten brachten für Spedding und andere Analysten die Möglichkeit auf, dass Fletcher beteiligt gewesen sein muss. Aber wer welche Anteile an dem Stück hat, ist hochgradig umstritten. Und andere Kritiker sind der Meinung, dass in Wirklichkeit ein anderer englischer Dramatiker, Philip Massinger, Shakespeares Koautor war.
Also wollten Sprachwissenschaftler und Historiker dringen endgültig erfahren, wer welchen Teil von Henry VIII. geschrieben hat.
Maschinenlern-System analysiert Shakespeare
An dieser Stelle kommt Petr Plecháč von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften ins Spiel. Nach eigenen Angaben ist es ihm mit Hilfe von Maschinenlernen gelungen, mehr oder weniger jede Zeile des Stücks einem Autor zuzuordnen. "Unsere Ergebnisse unterstützen deutlich die von James Spedding erkannte Aufteilung des Stücks zwischen William Shakespeare und John Fletcher", sagt er.
Der Ansatz des Forschers war im Prinzip ganz einfach. Maschinenlern-Algorithmen werden schon seit Jahren eingesetzt, um spezifische Muster in der Schreibweise von Autoren zu erkennen. Dabei wird der Algorithmus mit dem Großteil des Werks eines Autors trainiert und mit einem kleineren Ausschnitt daraus getestet. Allerdings kann es vorkommen, dass sich der Stil eines Autors im Lauf seines Lebens verändert, also muss sichergestellt werden, dass alle analysierten Werke denselben Stil haben. Wenn der Algorithmus den Stil auf die am häufigsten verwendeten Worte und rhythmischen Muster analysiert hat, kann er ihn auch in Texten erkennen, die er zuvor nicht gesehen hat.
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Mit genau diesem Verfahren arbeitete auch Plecháč. Zunächst trainierte er den Algorithmus anhand anderer Shakespeare-Stücke, die zur selben Zeit entstanden wie Henry VIII. Dies waren The Tragedy of Coriolanus, The Tragedy of Cymbeline, The Winter’s Tale und The Tempest. Anschließend trainierte er den Algorithmus mit Hilfe von Stücken von John Fletcher aus derselben Zeit – Valentinian, Monsieur Thomas, The Woman’s Prize und Bonduca. Zuletzt setzte er den Algorithmus auf Henry VIII. an und ließ ihn den Autor des Textes bestimmen. Dazu setzt der Forscher dem Computer Stück für Stück die Zeilen des Dramas vor.
Analyse der Koautorschaft
Die Ergebnisse stimmen tendenziell mit der Analyse von Spedding überein, laut der Fletcher Szenen geschrieben hat, die fast die Hälfte des Stücks ausmachen. Allerdings lieferte der Algorithmus eine feinkörnigere Analyse, die zeigte, dass der Autor manchmal nicht erst bei neuen Szenen wechselt, sondern schon zum Ende der vorigen hin. Für die zweite Szene des dritten Aktes zum Beispiel sieht der Algorithmus ab Zeile 2081 beide Autoren am Werk und ab Zeile 2200, vor dem Beginn der nächsten Szene, Shakespeare alleine.
Auch auf die Erkennung des Stils von Philip Massinger hat Plecháč sein Modell trainiert, doch er fand kaum Belege für seine Beteiligung, die er als "eher unwahrscheinlich" bezeichnet. Die Arbeit zeigt, wie Linguisten und Literaturanalysten Maschinenlernen nutzen können, um unsere literarische Vergangenheit besser zu verstehen.
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