Wie 0,25 Prozent Leitzins einen kleinen Börsencrash verursachten

Der "Yen Carry Trade" spülte Billionen US-Dollar in die Aktienmärkte. Das Konstrukt soll die Kursstürze am Montag maßgeblich verursacht haben.

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US-Dollarscheine in einem Strudel

(Bild: Design Projects/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.

Am Montag, dem 5. August, brodelte es weltweit an Börsen. Viele Aktien und ETFs verloren zweistellig an Wert, fast alle Ticker waren rot. Im Kern des ganzen stehen Japans jahrelange Niedrigzinspolitik und daraus resultierend billige Kredite, maßgeblich von der Bank of Japan. Schon eine minimale Leitzinsanhebung auf gerade einmal 0,25 Prozent brachte ein komplexes Finanzkonstrukt weltweit ins Straucheln.

Die Auswirkungen zeigten sich noch am Montag, als alleine die im US-amerikanischen Aktienindex S&P 500 notierten Firmen mehrere Billionen US-Dollar an Börsenwert verloren. Die aktuelle Erholung verweilt auf wackeligen Füßen.

In Japan sollen die Regierung und Pensionsfonds mit dem "Yen Carry Trade" vor Jahren angefangen haben, daraufhin folgten auch westliche Investoren: scheinbar ein "Free Money Glitch" mit vermeintlich kostenlosen Gewinnen, solange die (risikobehafteten) Rahmenbedingungen stimmen. Darüber berichten unter anderem Analysten von JP Morgan (PDF) und Bloomberg.

Bei einem Carry Trade nutzen Investoren Wertunterschiede zwischen Währungen aus. In Japan gab es nahezu zinslose Kredite. Die Yen wurden dann in US-Dollar eingetauscht, um Staatsanleihen, ETF-Anteile und auch Aktien zu kaufen.

Die Idee dahinter: Ist die Rendite der Anlagen in US-Dollar höher an als die Zinskosten für den Yen-Kredit, entsteht ein Gewinn. Aufgrund von Japans Niedrigzinspolitik war das viele Jahre ein berechenbares Geschäft, insbesondere mit der vorhersehbaren Verzinsung von Staatsanleihen und gewissermaßen auch bei ETFs.

Investoren konnten dadurch gleich doppelt abkassieren:

  1. Durch die höheren Zinsen der Geldanlagen
  2. Durch den fallenden Yen-Kurs seit dem Frühling 2020, weil der Rücktausch von US-Dollar zu Yen zur Rückzahlung der Kredite günstiger wurde

Ein stabiler oder sinkender Währungskurs ist die Grundvoraussetzung, damit ein Carry Trade funktioniert. Steigt der Währungskurs, schmälert das den Gewinn.

Zwischen 2008 und Anfang 2024 lag der Leitzins der Bank of Japan zwischen -0,1 und +0,1 Prozent. Am 31. Juli 2024 folgte schließlich die Ankündigung, den Leitzins auf 0,25 Prozent anzuheben. Das sollte die Talfahrt des Yen unterbrechen. Und das funktionierte umgehend: War ein US-Dollar Mitte Juli noch gut 160 Yen wert, sind es derzeit nur noch rund 147.

Binnen weniger Tage sank der Wert des US-Dollars gegen den Yen also um gut 8 Prozent – das übersteigt die Jahresrendite der meisten Staatsanleihen; Investoren zahlen drauf. Zum Vergleich: US-Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit haben derzeit eine Rendite von 4,3 Prozent. Bei vielen ETFs ist der Gewinn nur nicht komplett erschöpft, weil sie in den vergangenen 12 Monaten überdurchschnittlich stark an den Börsen gestiegen sind – der globale Aktienindex MSCI World etwa um 15 Prozent.

Auch aus Furcht vor weiteren Yen-Kurssteigerungen und damit potenziellen Verlusten haben Investoren offenbar kurzfristig ETF- und Aktienanlagen liquidiert, um US-Dollar in Yen zu tauschen. Zusammen mit Gerüchten und enttäuschenden Quartalsberichten in der Halbleiterwelt löste das eine Lawine an Kurseinbrüchen aus.

Im Falle von Nvidia hieß es, die Firma müsste wegen eines Designfehlers die nächste Generation von KI-Beschleunigern (Blackwell) um mehrere Monate verschieben. Nvidia dementierte diese Gerüchte. Intel musste im Geschäftsbericht ein Milliardenminus einräumen und prognostizierte schlechte Aussichten.

Angefacht wurde die Lawine wahrscheinlich durch automatisierte Stop-Loss-Verkäufe, bei denen Investoren Mindestgrenzen zum Verkauf einstellen, um Verluste zu reduzieren. Zudem können sogenannte Puts, also Wetten auf sinkende Kurse, Abwärtstrends verstärken.

Die große Frage bleibt, wie viel Geld Investoren in den Yen Carry Trade gesteckt haben und wie viele Anlagepositionen noch nicht aufgelöst wurden. Schätzungen beginnen bei gut einer Billion US-Dollar, ausgehend von den gewährten Auslandskrediten der Bank of Japan. Die Deutsche Bank machte schon Ende 2023 auf das Phänomen aufmerksam und sprach von bis zu 20 Billionen US-Dollar.

(mma)