Wie Deepfakes in China im Livestream Produkte anpreisen

Seite 2: Billiger Ersatz für menschliche Streamer

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Die künstlichen Streamer sind zwar bislang nicht in der Lage, die großen echten E-Commerce-Influencer zu schlagen, sagt Huang, aber sie sind gut genug, um das Mittelmaß zu ersetzen. Erste Influencer, einschließlich derer, die ihre Videos zum Trainieren ihrer KI-Klone freigegeben haben, spüren bereits den Druck ihrer digitalen Konkurrenz. In diesem Jahr wurde es bereits schwieriger, einen Job als Livestream-Moderator im E-Commerce zu bekommen. Das Durchschnittsgehalt ist laut dem Analyseunternehmen iiMedia Research im Vergleich zu 2022 um 20 Prozent gesunken.

Das Potenzial, den Livestream während der Stunden am Laufen halten, in denen weniger Menschen zuschauen, wollen die Firmen aber nutzen. Gleichzeitig wird es schwerer, die Kosten für die Einstellung echter Streamern zu rechtfertigen. Schon jetzt werden nach Mitternacht viele Streaming-Kanäle auf beliebten E-Commerce-Plattformen wie Taobao und JD von KI-generierten Streamern bespielt. Denn Deepfake-Technologien müssen nicht perfekt sein, um Zuschauer zu täuschen. Schon im Jahr 2020 gab sich ein Betrüger als berühmter chinesischer Schauspieler aus und schaffte es damit, ahnungslosen Frauen Tausende Dollar aus der Tasche zu ziehen, die sich in seine Videos verliebt hatten.

"Wenn ein Unternehmen zehn Livestream-Moderatoren einstellt, sind deren Fähigkeiten unterschiedlich. Vielleicht tragen zwei oder drei Streamer in der Spitze zu 70 bis 80 Prozent des Gesamtumsatzes bei", sagt Chen Dan, CEO von Quantum Planet AI, einem Unternehmen, das Technologien wie die von Xiaoice bündelt und an Firmenkunden verkauft. "Ein virtueller Livestream-Host kann den Rest erledigen – sechs oder sieben Streamer, die weniger zum Umsatz beitragen und einen geringeren ROI [Return on Investment] haben. Und die Kosten würden erheblich sinken."

Chen sieht in diesem Jahr bereits ein viel größeres Interesse von Marken an KI-Streamern – zum Teil, weil jeder versucht, Kosten zu senken und die Effizienz zu verbessern. Das ist die neue Devise unter chinesischen Tech-Unternehmen, da sich die Binnenwirtschaft verlangsamt hat. Chen hat inzwischen über 100 Kunden, die den Dienst von Xiaoice nutzen. Diese virtuellen Streamer haben Millionen von Dollar an Umsatz erzielt. Ein Xiaoice-Streamer erreichte in nur einer Stunde über 10.000 Yuan Umsatz. Es gibt aber auch Nachteile. Viele Kunden sind beispielsweise Möbelmarken – und obwohl die KI intelligent genug ist, um zu sprechen und Gesten zu verwenden, kann sie sich nicht wirklich auf ein Sofa setzen oder in ein Bett legen. Die Nutzer sehen also nicht, wie der Streamer die echten Produkte testet. Doch lange kann auch das nicht mehr dauern.

Neben kleineren Start-ups wie Silicon Intelligence und Xiaoice testen auch große Tech-Unternehmen KI-generierte Livestreams. Alibaba, Tencent, Baidu und JD haben alle in diesem Jahr eigene Variationen der gleichen Dienste eingeführt, die es Marken auf ihren Plattformen ermöglichen, ihre eigenen KI-Streamer zu generieren. Auch Marketingunternehmen, die eine große Zahl menschlicher Streamer beschäftigen, haben den Trend erkannt. Foshan Yowant Technology, eine der führenden Livestream-Marketingagenturen, hat eine strategische Zusammenarbeit mit Xiaoice angekündigt; Silicon Intelligence hat außerdem ein Joint Venture mit dem Unternehmen hinter Viya, Chinas einstiger Livestream-Königin, gegründet.

Die steigende Popularität von KI-generierten Livestreams hat auch die Aufmerksamkeit von Videoplattformen wie Douyin, der chinesischen Version von TikTok, auf sich gezogen, obwohl das Unternehmen einen anderen Ansatz als andere Tech-Giganten verfolgt. Douyin ist anscheinend mehr auf Transparenz bedacht und erklärte in einem Statement von letztem Mai, dass alle von KI generierten Videos auf der Plattform klar als solche gekennzeichnet werden sollten – und dass virtuelle Influencer von echten Menschen betrieben werden müssen. Die Plattform hatte die Verwendung von aufgezeichneten Videos als Livestreams schon immer verboten. KI-generiertes Livestreaming ohne aufgezeichnetes Filmmaterial, aber auch mit wenig menschlichem Input in Echtzeit, bricht diese Regel.

Die chinesische Regierung hat in den letzten zwei Jahren mehrere Gesetze zu synthetischen Medien und generativer KI erlassen, die auch für die Verwendung im E-Commerce-Streaming gelten dürften. Die Auswirkungen der neuen Regierungs- und Plattformvorschriften müssen jedoch abgewartet werden, denn all das ist noch sehr neu.

Der nächste Schritt von Silicon Intelligence besteht darin, die KI-Streamer mit "emotionaler Intelligenz" auszustatten, so Sima: "Wenn es missbräuchliche Kommentare gibt, wird der Avatar traurig sein; wenn sich die Produkte gut verkaufen, wird der Avatar glücklich sein." Das Unternehmen arbeitet auch daran, dass die KI-Streamer stärker interagieren und voneinander lernen. Das Unternehmen hat von Anfang an ein faszinierendes wie zugleich erschreckendes Ziel verfolgt: Es will bis 2025 "100.000.000 siliziumbasierte Arbeitskräfte" schaffen. Bislang, so Sima, hat das Unternehmen 400.000 virtuelle Streamer geschaffen.

(bsc)