Fahrradhelme: Vorschrift führt in Japan zu neuer Mode

Der Gesetzgeber hat gesprochen: Japans Bevölkerung soll sich bemühen, beim Radfahren Kopfschutz zu tragen. Dies führte prompt zu einer neuen Helmmode.

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Japanischer Helm

Beispiel für einen der japanischen Fahrradhelme.

(Bild: Rakuten)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Martin Kölling

Vorschriften haben in Japan oft nur richtungsweisenden Charakter. Doch bei der neuen Helm-"Pflicht" für Radfahrer ist dies sogar genau so im Gesetzestext verankert. Denn seit dem 1. April sind Radfahrer nicht nur verpflichtet, mitfahrenden Kindern einen Helm aufzusetzen, sondern Artikel 63-11, Absatz 1 des Straßenverkehrsgesetzes schreibt nun auch unmissverständlich vor: "Die Radfahrer müssen sich bemühen, einen Helm zu tragen."

Müssen sich bemühen? Richtig gelesen. Der Staat droht Helmverweigerern nicht mit Bußgeldern. Wie bei Masken während der Corona-Pandemie wird empfohlen, nicht verordnet. Was genau nun droht, bleibt also unklar. Anwälte argwöhnen bereits, dass ein fehlender Helm bei einem Unfall dazu führen kann, dass Gerichte dem helmlosen Opfer weniger Schadenersatz oder Schmerzensgeld zusprechen. Doch der gesetzliche Appell zeigt bereits Wirkung – besonders in der Angebotspalette für Fahrradhelme.

In der Zeitung "Asahi" berichtet ein Fahrradhändler, dass sich die Helmverkäufe im März versechzehnfacht haben. Denn plötzlich wollen nicht nur Radrennfahrer Helme tragen, sondern auch Mütter und Väter auf ihren Mama-chari, Japans ikonischen Stadträdern mit ein bis zwei fest montierten Kindersitzen oder Einkaufskörben. Und plötzlich wird eine neue Helmkategorie populär: Fahrradhelme, die auf den ersten Blick gar nicht als solche zu erkennen sind.

So hat der japanische Helmhersteller OGK inzwischen fünf neue Helmmodelle auf den Markt gebracht. Die einfachste Variante des bei Radfahrern zuvor unbeliebten Kopfschutzes ist der "Koofu CS-1", bei dem lediglich ein Tweedmuster auf die Helmoberfläche gedruckt wurde. Immerhin gibt es dieses Modestatement in acht Farben.

Es geht natürlich auch noch dezenter. Beim Modell "Days" verbirgt sich der Hartschaumschutz unter einem Outdoor-Hut, beim Modell "Sicure" unter einem Damenhut und beim Modell "Libero" unter einer Art Baseball-Kappe. Auch an Kinder wird gedacht: Für Jungs gibt es eine modisch gepolsterte Mütze, für Mädchen eine in Rosa mit Schleifchen.

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Und das sind nur die teuren Modelle von OGK, die um die 60 Euro kosten. Das Internet wird dagegen überschwemmt mit modischen Billigmützen Made in China. Das Konzept ähnelt sich: Eine leicht gepolsterte, dünne Hartplastikschale wird in einen Hut gesteckt und fertig ist der "Helm". Das aktuelle Radhelm-Ranking des japanischen Amazon-Rivalen Rakuten spricht Bände. Auf den ersten beiden Plätzen finden sich an Outdoor-Hüte angelehnte Helm-Attrappen für 12 und 25 Euro. Es folgt eine optische Mischung aus Baseball- und Reithelm, außen hart und innen gepolstert.

Erst an vierter Stelle folgt der erste klassische Fahrradhelm, gefolgt von zwei Neuinterpretationen des klassischen Fahrrad-Damenhutes, die zum Schutz vor der Sonne vorne eine breitere Krempe haben als hinten. Auch der erste als Baseballmütze getarnte Helm taucht in den Top 10 auf, ebenso wie ein weiteres feminineres, das heißt breitkrempigeres Outdoor-Modell.

Inwieweit diese dünnwandigen Billig-Helme das eigentliche Ziel des Gesetzgebers erfüllen, ist allerdings noch offen. Das Parlament erhofft sich von der Gesetzesnovelle einen Rückgang der tödlichen Fahrradunfälle. Ein Grund dafür ist, dass mit der Corona-Pandemie mehr Japaner auf das Fahrrad umgestiegen sind und damit die bisher rückläufige Zahl der Fahrradunfälle wieder leicht anstieg. Und die Polizei weist auf ihrer Homepage darauf hin, dass zwei Drittel der tödlichen Zweiradunfälle durch Kopfverletzungen verursacht werden und das Nichttragen eines Helms zu einer 2,3-fach höheren Todesrate führt.

Die Helmpflicht ist nicht die einzige neue gesetzliche Mahnung in Nippon für Radler. Die Polizei hat die neuen Punkte zwecks besserer Volksbelehrung eigens auf einem Plakat zusammengestellt. "Regel 1" erklärt, dass Radfahrende nicht auf der falschen Straßenseite gegen den Autoverkehr fahren dürfen. Das war natürlich bisher schon falsch. Aber wer in japanischen Ortschaften mit dem Auto unterwegs ist, wird sich darüber nicht wundern. Angesichts der Langlebigkeit dieses Phänomens stellt sich die Frage, ob die jetzige gesetzliche Ermahnung zum Helmtragen besser wirkt als eine strafbewährte Helmpflicht.

(bsc)