Wie Phantom Space zum Henry Ford der Raketenbauer werden will

Ähnlich wie der Autopionier nicht das Fahrzeug selbst, sondern seinen Bau neu erfunden hat, will das Weltraum-Start-up die Produktion von Raketen umbauen.

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Raketentest für Phantom Space.

(Bild: Ursa Major)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Neel V. Patel
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Jim Cantrell nennt sich gern „einen der intellektuellen Väter des Geschäfts mit den kleinen Starts ins All“. Als Elon Musk 2002 SpaceX gründete, wurde Cantrell sein erster Direktor für Geschäftsentwicklung. Sein Fachwissen war entscheidend für die Entwicklung der ersten SpaceX-Rakete namens Falcon 1. Später gründete Cantrell Strategic Space Development (StratSpace), das an Projekten wie die Osiris-Rex-Mission der Nasa zum Asteroiden Bennu und der Demonstration der Planetary Society zur Sonnensegeltechnologie im Weltraum gearbeitet hat. Er war Mitbegründer und Technikvorstand von Moon Express, das eines Tages Rohstoffe auf dem Mond abbauen will.

Er kennt sich auch mit den Gefahren einer Branche aus, in der Ausfälle buchstäblich explosiv sein können. Moon Express, ein Finalist für Googles – später abgesagten – 30-Millionen-Dollar-Wettbewerb Lunar X-Preis für das Landen eines Rovers auf dem Mond, hat es noch nicht einmal ins All geschafft, geschweige denn zum Mond.

Cantrells jüngster Fokus liegt auf Phantom Space, einem Unternehmen in einem Meer neuer Start-ups, die das rasante Wachstum bei kleineren, billigeren Satellitendesigns nutzen wollen. Ihr Ziel: Raketen bauen, um die wachsende Nachfrage nach der Beförderung dieser Nutzlasten in den Orbit zu befriedigen. Dabei versucht Cantrell wie schon bei früheren Projekten, die Firma durch Schwimmen gegen den Strom zum Erfolg zu führen.

Dazu muss man ein wenig ausholen. Einer der derzeit heißesten Raketentrends sind Mittransportgelegenheiten, so genannte Ride-Share-Launches, bei denen Kunden auf einer mittelgroßen bis großen Rakete für ein bestimmtes Abflugdatum Laderaum für ihre Nutzlasten kaufen. Das ist normalerweise deutlich billiger als separate Flüge für die Nutzlasten. Mit dem Ride-Share-Launch-Programm von SpaceX kostet die Beförderung von 200 Kilogramm Nutzlast rund eine Million Dollar (die Rakete Falcon 9 kann insgesamt 22.800 Kilogramm in die erdnahe Umlaufbahn transportieren). Das Unternehmen startete am 21. Januar eine spezielle Mittransportgelegenheit, bei der eine Rekordzahl von 143 Satelliten in die Umlaufbahn gebracht wurde. Eine ähnliche Mission soll im Juni folgen.

Auch Rocket Lab, das sich lange gegen die Idee einer größeren Rakete gewehrt hatte, will mitmischen und enthüllte im März seine eigene Ride-Share-Rakete namens Neutron, mit der es der Falcon 9 von SpaceX Konkurrenz machen will.

Solche "Mitfahr"-Transporte sind allerdings nicht Phantoms Ding. Das Unternehmen möchte seinen Weltraum-Fußabdruck durch Massenproduktion kleiner Raketen und den Start von hundert Raketen pro Jahr aufbauen. „Wir wollen der Henry Ford des Weltraums sein“, sagt Cantrell. So wie Henry Ford nicht das Auto selbst neu erfunden hat, sondern wie es gebaut wurde, ist Phantom nicht darauf aus, Raketen selbst neu zu erfinden, sondern ihre Produktion.

Wie das funktionieren soll? Als SpaceX startete, waren die Lieferketten für Luft- und Raumfahrtunternehmen, die in den Orbit flogen, in das Finanzsystem des US-Verteidigungsministeriums eingebunden. Um von diesem System unabhängig zu bleiben, entschied sich SpaceX, alles selbst zu bauen. Um trotz jahrelanger Verluste über Wasser zu bleiben, war das Unternehmen auf das Vermögen von Elon Musk und substanzielle Investitionen angewiesen. Ein langfristiges Glücksspiel, das sich ausgezahlt hat.

Die Gründer von Phantom wollen es allerdings anders machen. Allein in den letzten fünf Jahren sind die Lieferketten in der Luft- und Raumfahrt flexibler und wettbewerbsfähiger geworden. Das bedeutet, dass Phantom einfach die benötigten Teile kaufen kann, anstatt alles von Grund auf neu zu bauen. Es bezieht zum Beispiel 3D-gedruckte Motoren von Ursa Major in Colorado. Das Design des Flugcomputers wurde von der Nasa lizenziert und verwendet ein BeagleBone Black Board, das einige Händler für rund 50 Dollar verkaufen. Andere Komponenten wie Batterien und Telemetriesysteme sind über die Lieferkette von Raketenabwehrsystemen erhältlich.

Derzeit arbeitet das Unternehmen an zwei Arten von Raketen. Zum einem an der 18,7 Meter hohen Daytona, die etwa 450 Kilogramm in den Weltraum befördern soll – auch wenn sie damit am oberen Ende der sogenannten Kleinraketenklasse liegt. Cantrell zufolge schätzt das Unternehmen, dass das eine optimale Größe für profitable Geschäfte ist. Die Laguna wiederum ist eine 20,5 Meter hohe Rakete, die Nutzlasten von bis zu 1200 Kilogramm befördern kann. Eine Version von Laguna soll ähnlich wie die SpaceX einen wiederverwendbaren Booster der ersten Stufe haben und auf ähnliche Weise vertikal landen.

Phantom Space hofft, eine Marktlücke zu schließen. Während Ride-Share-Launches billig sind, haben Kunden wenig Kontrolle über die Missionen. Sie sind wie Züge auf einer festen Strecke. Wer möchte, dass sein Satellit eine andere Umlauf- oder Flugbahn einschlägt, muss teure Triebwerke installieren, die ihn dorthin bringen können. Andernfalls muss man die Satellitenfunktion für die neue Umlaufbahn neugestalten, eine ungünstigere Umlaufbahn tolerieren oder einfach ein Ticket für eine andere Mission kaufen. Nicht zuletzt muss man hoffen, dass der eigene Satellit gut neben die anderen Nutzlasten passt – denn diese Flüge sind fast immer ausgebucht.

Ein Start mit einer kleinen Rakete kostet zwar mehr, gibt dem Kunden jedoch die Kontrolle zurück. Für eine Mission mit festen Anforderungen – wie das Ersetzen eines bestimmten Satelliten in einer Konstellation, das Absetzen sensibler Hardware oder das Ausführen einer teuren Tech-Demonstration – möchte man wahrscheinlich eher einen dedizierten Flug als eine Mittransportgelegenheit. „Es gibt definitiv ein Interesse und eine Nachfrage nach diesen kleinen Raketenstarts“, sagt Ryan Martineau, ein Ingenieur für Raumfahrtsysteme am Space Dynamics Laboratory in Utah. Cantrell glaubt, dass Phantom Space genau diese Nachfrage befriedigen kann, ohne dabei sein Budget zu sprengen. Er schätzt, dass der Ansatz des Unternehmens tatsächlich Starts für ein Drittel des Preises des Ride-Share-Modells anbieten kann.

Zunächst muss das Unternehmen jedoch tatsächlich in den Weltraum gelangen. Ziel ist es, dass Daytona 2023 ihren ersten Raumflug unternimmt. Klassischerweise beträgt die Zuverlässigkeitsrate der ersten vier Flüge einer neuen Rakete 50 Prozent, sagt Cantrell. Phantoms Pläne basieren darauf, dass mindestens einer der ersten vier Flüge in die Umlaufbahn gelangt. Das Unternehmen hat kürzlich einen Mietvertrag für einen Startplatz auf der Vandenberg Air Force Base in Kalifornien von der US-Luftwaffe unterzeichnet und sucht derzeit nach einer Genehmigung für den Start von Cape Canaveral in Florida. Das sind bei angepeilten 100 Starts pro Jahr wichtige erste Schritte.

Phantom möchte auch Satelliten bauen und eine Art „One-Stop-Shop“ für Kunden werden. Die Übernahme von Cantrells StratSpace in dieser Woche soll ein wesentlicher Bestandteil dieser Geschäftssparte sein. Das Unternehmen arbeitet an Prototypen von Konstellation für Kunden und ist Teil einer Gruppe, die an einer kommerziell finanzierten wissenschaftlichen Raummission im Wert von 1,2 Milliarden Dollar arbeitet (spezifische Details werden erst in einigen Monaten bekannt gegeben).

Darüber hinaus hat die Firma auch in aller Stille an einem Kommunikationsnetz namens Phantom Cloud gearbeitet. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um ein Mesh-Netzwerk, über das andere Satelliten miteinander oder mit Systemen an der Oberfläche kommunizieren können. Cantrell nennt es „Satelliten-Internet für den Weltraum“.

Friedliche Koexistenz sei in Ordnung, sagt Cantrell: „Wir wissen, dass SpaceX dieses große wiederverwendbare Weltraumtransportsystem hervorragend entwickelt hat, aber wir denken, dass dies nur eines von mindestens zwei – vielleicht mehr – grundlegend unterschiedlichen wirtschaftlichen Systemen im Geschäft mit dem Weltraumtransport ist.“ Er hofft, dass es Phantom sein wird, das bei diesem neuen wirtschaftlichen System Pionierarbeit leistet. (vsz)