Wie YouTube TikTok überholen will – und das Fernsehen gleich mit

Alphabet will das "Shorts"-Format als wichtigen Inhalt etablieren, um damit dem chinesischen Konkurrenten Marktanteile abzunehmen. Doch wollen das die Nutzer?

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(Bild: YouTube)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Chris Stokel-Walker
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Bei der Alphabet-Tochter YouTube ist man schon seit längerem neidisch auf den gigantischen Erfolg des chinesischen Videoportals TikTok. Deshalb hat der Dienst im September 2020 eine eigene Variante der typischen Kurzfilme auf den Markt gebracht: YouTube Shorts. Und langsam scheint der Erfolg Alphabet recht zu geben – inzwischen schauen sich jeden Monat angeblich mehr als 1,5 Milliarden Nutzer solche Videos auf ihren Geräten an.

Nun schickt sich YouTube an, mit seinen Shorts auch die TV-Geräte zu übernehmen. Dazu sollen die im vertikalen Smartphone-Format gefilmten Kurzclips nun im Vollbildformat ausgespielt werden. Seit dieser Woche können Nutzer eine Auswahl von YouTube-Shorts-Videos prominent platziert in den Smart-TV-Apps von YouTube sehen. Sie stehen parallel zu den üblichen YouTube-Videos im Querformat, die deutlich länger sind und wesentlich besser auf den Fernseher passen.

"Es ist eine Herausforderung, ein Format zu nehmen, das traditionell für Mobilgeräte entwickelt wurde – und nun den richtigen Weg zu finden, es auf dem Fernseher zum Leben zu erwecken", meint Brynn Evans, User-Experience-Direktor für die YouTube-TV-Apps. Alphabet räumt damit ein, wie groß die Bedeutung von Kurzvideos inzwischen geworden ist. Es sei ein Beweis dafür, wie ernst man YouTube Shorts nimmt, kommentiert Evans Kollegin Melanie Fitzgerald, die als User-Experience-Direktor direkt für die Bereiche YouTube Community und YouTube Shorts zuständig ist. "Wenn man sich die Entwicklung von Kurzvideos über mehrere Jahre hinweg ansieht – von Vine über [den TikTok-Vorgänger] Musical.ly und TikTok bis hin zu Instagram und YouTube –, wird schnell klar, dass dieses Format von Dauer sein wird."

Eine große Herausforderung, die die Designer hinter der TV-Integration von YouTube Shorts berücksichtigen mussten, war die Frage, inwieweit Shorts-Videos automatisch abgespielt werden dürfen. Genau das ist Standard bei TikTok und in der YouTube-App auf dem Smartphone – die Nutzer sind es gewöhnt. Doch der Fernseher ist ein anderes Format. Derzeit müssen die Zuschauer deshalb manuell durch die Shorts-Videos scrollen, sobald sie abgespielt werden – und durch Drücken der Pfeiltasten auf ihrer TV-Fernbedienung zum nächsten Video weitergehen.

"Ein Punkt, den wir ausprobieren mussten, war die Frage, inwieweit wir wollen, dass es ein vollständig "Lean-Back"-Erlebnis wird, bei dem man YouTube Shorts einfach einschaltet und sie durchlaufen", sagt Evans. Man habe sich zum Start dann gegen diese Option entschieden. Er schließt aber nicht aus, dass das in Zukunft anders wird. Das aktuelle Design präsentiert jeweils ein einzelnes Shorts-Video in der Mitte des Fernsehbildschirms, umgeben von Weißraum, der seine Farbe je nach Video ändert. An der Seite werden weitere Angaben gelistet.

Es ist relativ logisch, dass YouTube den freien Platz auf dem Fernseher eines Tages mit Werbung füllt. YouTube-Sprecherin Susan Cadrecha erklärte gegenüber MIT Technology Review, dass man den Dienst auf dem Fernseher zunächst werbefrei halten werde. Es sei aber "irgendwann" möglich, dass sich das ändere. Zu Plänen, wie dann die Einbindung erfolgt, wollte sie sich nicht äußern.

Weiterhin untersucht das YouTube-Shorts-Team gerade, wie Kommentare in zukünftige Versionen der TV-App integriert werden könnten. "Für ein Format wie dieses könnte man vielleicht das Smartphone als eine Art Begleiter nutzen und darüber Kommentare hinterlassen, die dann auf dem Fernseher erscheinen", sagt Evans.

YouTubes Implementierung von Shorts auf dem Fernseher ist eine Reaktion auf TikTok, eine eigene TV-App zu entwickeln. Sie steht bereits seit Frühjahr 2021 in Frankreich, Deutschland und Großbritannien für smarte Fernseher bereit, im darauffolgenden Herbst wurde sie auf die USA und weitere Regionen ausgedehnt. Die Funktionsweise der Haupt-App von TikTok hat sich seither aber nicht verändert – wie beliebt TikTok auf dem Fernseher ist, bleibt zudem unklar.

Alphabets Schritte demonstrieren aber, dass hier ein Geschäftsmodell zu finden ist. "Es ist ganz klar ein Kampf um die Aufmerksamkeit auf allen Geräten", sagt Andrew A. Rosen, Gründer und Leiter des Medienanalysehauses Parqor. "Der Start von YouTube Shorts und TikTok auf vernetzten Fernsehern macht die Wettbewerbslandschaft noch komplexer." Alphabet sei entschlossen, den Rückstand gegenüber TikTok einzuholen.

Allerdings steht noch überhaupt nicht fest, ob YouTube Shorts und Fernseher zusammenpassen. Das Designteam ist sich hier selbst nicht ganz sicher – und es bleibt die Frage, ob es nicht das normale YouTube-Erlebnis verändert. "Es bleibt abzuwarten, wie und wann die Leute YouTube Shorts konsumieren wollen", räumt Evans ein. Informelle Umfragen und qualitative Erhebungen sowie Tests innerhalb der Google-Community deuteten aber daraufhin, dass "Menschen, die YouTube auf dem Fernseher nutzen, einen positiven Eindruck von Shorts haben".

Bislang lehnt es Alphabet aber ab, konkrete Daten zu veröffentlichen. So bleibt unklar, wie viel Zeit Nutzer überhaupt mit YouTube vor dem Fernseher verbringen. Es gibt nur Hochrechnungen des Quotenmessers Nielsen, demzufolge Zuschauer weltweit rund 700 Millionen Stunden pro Tag mit der TV-App des Dienstes verbringen.

"Wird es das Wohnzimmer verändern? Ja und nein", sagt Analyst Rosen. "Ja in dem Sinne, dass es die 15 bis 60 Sekunden langen Clips zu einer Konkurrenz für alle herkömmlichen Medien-Streaming-Dienste macht, die auf dem gleichen Gerät konsumiert werden – Netflix und Co. geben Milliarden dafür aus. Und nein, weil der Fernseher nicht zum Standard beim Konsumieren solcher Kurzinhalte werden wird."

(jle)