Wie die ganze Welt in den neuen Brockhaus kommt

Hinter der aufgepeppten Erscheinung steckt die traditionelle Arbeit von Lexikonredakteuren. Und das soll auch so bleiben

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Von
  • Nils Schiffhauer
Inhaltsverzeichnis

Mancher sah 1999 im damals erschienenen letzten der 24 Brockhaus-Bände schon die Grabplatte der ehrwürdigen Enzyklopädie mit ihrer 200-jährigen Geschichte. Die elektronischen Medien wuchsen so schnell, dass die gute und preiswerte Encarta von Microsoft oder der auf CD sowie im Internet beinahe verschenkte Bestand der Encyclopædia Britannica dem kostenträchtigen Ausweis des Bildungsbürgertums die Luft abdrücken sollten - und Jimmy Wales hatte gerade seinen Wikipedia-Vorläufer "Nupedia" gegründet.

Aber bei Brockhaus blieb man unbeirrt: "Als wir den letzten Band der 20. Auflage beendeten", sagt Annette Zwahr, "fingen wir im Kopf bereits an, die 21. Auflage zu planen." Die promovierte Historikerin, die zudem Slawistik studierte und mit ihren auch musischen Neigungen in aller Bescheidenheit das verkörpert, was die meisten Brockhaus-Kunden zu sein wünschen, ist Chefredakteurin der Enzyklopädie. Und lehnt sich bei unserem Besuch in ihrer Bücherklause in der Leipziger Querstraße 18 mit einer Ruhe zurück, die kaum die hinter ihr liegende Anspannung ahnen lässt. Alles ist bereit für den Druck der 30-bändigen 21. Auflage des Brockhaus, dessen erste sechs Bände im Oktober dieses Jahres ausgeliefert werden, und die Band 25 bis 30 im September 2006 komplettieren. Schon ab Mitte November 2005 steht das gesamte Werk auf DVD und USB-Stick für PCs zur Verfügung - erweitert gar um Zusatz- und Quellentexte, einen 3D-Globus mit zwei Millionen geografischen Karteneinträgen sowie unter anderem 280 Videos, 140 Animationen und 6000 Audios.

"Bis Ende 2006 wollen wir von der Buchausgabe 20000 Serien verkaufen", lüftet Pressesprecher Klaus Holoch ein bislang streng gehütetes Geheimnis, "bei 30000 Serien liegt die Gewinnschwelle." Früher kam dieser Punkt erst ab 80000 Serien und mehr, der Effizienzgewinn verdankt sich vor allem dem Einsatz digitaler Technologien in allen Phasen: vom selbst erstellten Redaktionssystem bis zu Druck und Auslieferung. 20 Millionen Euro investiert der Verlag in diesen Wissensspeicher, fünf davon entfallen auf das Marketing. Den puren Glauben an den Erfolg stützen die Ergebnisse der Meinungsforschung und die feste Überzeugung, dass es auch noch im 21. Jahrhundert einen soliden und sogar wachsenden Bedarf für nachgeprüfte, verlässliche Informationen gibt, die die Welt getreu in ihren Proportionen abbilden, um sie ebenso kenntnisreich wie einordnend und allgemein verständlich zu erläutern.

Die Leipziger haben ihre eigene Gewichtung dessen, was sie für lexikonwürdig halten. "Zuerst legten wir Rahmen und allgemeine Richtung fest", sagt Annette Zwahr, die in der neuen Auflage vor allem die globale Welt einfangen will und die Informationen über den Kontinent Afrika verstärkte. Unter diesen generellen Leitlinien beobachten 40 Fachredakteure ihre 98 Hauptgebiete, die sich wiederum in zahlreiche Untergebiete verzweigen, kontinuierlich und aufmerksam auf neue Entwicklungen. Sie füllen den ihnen zugeteilten Raum zunächst mit Stichwörtern. Am Ende werden es rund 300000 sein, erläutert auf 24500 Seiten in Text, Bild, Tabellen und Grafiken. In Konferenzen verständigt sich die Redaktion auf die allgemeine und konsistente Struktur der Einträge. "Die neue Auflage", sagt Annette Zwahr, "setzt hier beispielsweise mit den 193 neu konzipierten Ländereinträgen Akzente." Einerseits werde stärker differenziert - beispielsweise nach Recht und Verfassung –, andererseits weiter ins Detail gegangen, etwa mit Informationen zu Tierwelt und Ökologie.