Wie die verurteilte Theranos-Gründerin Investoren hinters Licht führte

Mit einem winzigen Tröpfchen Blut wollte Elizabeth Holmes mehr als hundert Gesundheitsdaten entnehmen. Nun muss sie ihre Haftstrafe antreten.

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Theranos

Das Logo des Start-ups Theranos in Palo Alto – vor der Schließung.

(Bild: dpa, Andrej Sokolow)

Stand:
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Susanne Donner
Inhaltsverzeichnis

Einst feierten die Medien die 39-jährige Elizabeth Holmes als weiblichen Steve Jobs. Die blonde Frau lächelte von Hochglanzmagazinen und trat zusammen mit Ex-Präsident Bill Clinton im Fernsehen auf. Mit dem von ihr gegründeten Unternehmen Theranos hatte sie sich nicht weniger vorgenommen, als medizinische Bluttests zu revolutionieren. Nun muss die Start-up-Gründerin am 27. April ihre mehr als elfjährige Haftstrafe antreten. Ihr Antrag auf Haftverschonung hatte der US-Bezirksrichter Edward Davila zuvor abgelehnt. Holmes war im November 2022 wegen Betrugs im Zusammenhang mit den von Theranos versprochenen Bluttests verurteilt worden.

Einem winzigen Tropfen Blut aus der Fingerkuppe wollte Holmes 70, vielleicht sogar 120 oder 240, so genau wurde das nie klar, verschiedene Gesundheitsinformationen entnehmen: die Werte des sogenannten großen Blutbilds wie die Zahl der weißen Blutkörperchen, den Eisenwert, den Gehalt des roten Blutfarbstoffs, Entzündungswerte und Blutfette, aber auch Spuren von Bakterien, Viren und Krebs. Eine fabelhafte Maschine namens Edison sollte all das bewerkstelligen.

Investoren fanden die Idee großartig und stiegen mit Millionenbeträgen ein. 2014 bewerteten sie das damals elf Jahre alte Unternehmen mit seinen drei Standorten mit neun Milliarden US-Dollar – ein kometenhafter Aufstieg für ein Start-up. Die Drogeriemarkt-Kette Walgreens eröffnete zusammen mit Theranos 40 sogenannte Wellness-Center, in denen Kunden ihr Blut zum Test abgeben konnten, und investierte selbst 140 Millionen Dollar in das Unternehmen.

Doch dann kam der Fall ins Rollen, ausgelöst von dem Mitarbeiter Tyler Shultz, Enkel des ehemaligen US-Außenministers und Theranos-Aufsichtsratsmitglieds George P. Shultz. Das Wall Street Journal berichtete im Oktober 2015 über seine damals noch anonymen Vorwürfe, bis zuletzt wollten Anwälte den Artikel verhindern. Shultz behauptete, das Laborpersonal von Theranos würde Blut gar nicht mit der Edison-Maschine analysieren, sondern mit gewöhnlichen Testmethoden. Tatsächlich war das wundersame Gerät noch nie in einer Fachzeitschrift aufgetaucht und Experten ein Rätsel. Jede Bitte um nähere Einblicke wurden mit Verweis auf Firmengeheimnisse abgewehrt. "Das ist natürlich in hohem Maße unseriös. Oft wissen Patienten zwar nicht, welche Methoden benutzt werden, aber eingeweihte Fachleute kennen diese bei den meisten Firmen doch", sagt Harald Renz vom Institut für Klinische Chemie und Molekulare Diagnostik der Universität Marburg.

Fachleute wie der US-Medizinprofessor Norman Paradis äußerten in der Zeitschrift "Scientific American" schon vor der Enthüllung Zweifel daran, dass es überhaupt möglich sei, derart viele Gesundheitsinformationen aus dem Blut der Fingerkuppe zu gewinnen. Denn nur kleine Moleküle wie Zucker dringen in das dort vorhandene Blut in ausreichender Zahl vor. Große Eiweißbausteine und auch Viren oder Bakterien dagegen können oft nur im Blut aus dicken Venen nachgewiesen werden.

Dennoch vertrauten Tausende Konsumenten ihr Blut Theranos an. Das aber dürfte nicht unbedingt zu ihrem Besten gewesen sein. Denn die falschen Behauptungen über die Fähigkeiten von Edison waren nicht das einzige Problem: Im Mai 2016 informierte Theranos die US-Gesundheitsbehörde FDA, in den Jahren 2014 und 2015 Zehntausenden Patienten und Ärzten falsche Testergebnisse mitgeteilt zu haben. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass diese falsch behandelt wurden.

Im Juni 2016 beendete Walgreens die Zusammenarbeit. Im Juli 2016 entzog die Aufsichtsbehörde Centers for Medicare & Medicaid Services Theranos für zwei Jahre die Lizenz für das Bluttestlabor in Kalifornien, weil das Unternehmen Patienten fortwährend in "unmittelbare Gefahr" bringe. Im August 2016 dann schloss es von sich aus seine übrigen zwei Labore und die Wellness-Center. 340 Mitarbeiter wurden entlassen – gut vierzig Prozent der Belegschaft. Es folgte die Schlacht um Entschädigungen.

Im Oktober 2016 verklagte einer der Investoren das Unternehmen. Theranos habe vorgetäuscht, dass seine Technologie kurz vor der Markteinführung stehe, nur deshalb habe man sich mit 96 Millionen US-Dollar beteiligt. Im November 2016 ging auch der frühere Partner Walgreens vor Gericht, wo er seine 140-Millionen-Dollar-Investition zurückfordert.

Der florierenden Medizintechnikbranche insgesamt schien der Skandal jedoch kaum zu schaden. Denn die große Hoffnung, dass Bluttests vor allem die Früherkennung von Krankheiten deutlich verbessern können, bleibt bestehen. "Der Markt und die Nachfrage sind gewaltig und wachsen", sagt Renz. "Die Kunden wollen wissen, wie es um ihre Gesundheit steht und was sie dafür tun können."

Die Forschung schreitet voran. Seit 2016 steht beispielsweise ein neuer Schnelltest auf Zikaviren zur Verfügung, geprüft von Forschern der Uniklinik Freiburg und des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin. Künftig sollen Bluttests sogar Krebs so früh erkennen, dass im Idealfall noch Heilung möglich ist. Im Januar 2016 steckte Illumina, Weltmarktführer bei der Erbgutentschlüsselung, gemeinsam mit weiteren Investoren 100 Millionen Dollar in das Joint Venture Grail. Den Hinweis sollen Genfragmente liefern, die aus Tumoren in die Blutbahn gelangen. In einer anderen Variante ist die Methode sogar schon auf dem Markt: Seit 2012 bietet die Konstanzer Firma LifeCodexx ihren PraenaTest an. Aus dem Blut von Schwangeren liest das Labor heraus, ob das Kind im Mutterleib ein Down-Syndrom haben wird. Zigtausende haben den Test bereits in Anspruch genommen.

Elizabeth Holmes versuchte damals zu retten, was nicht mehr zu retten war. Zumindest einen Herpes-Test auf der Grundlage von Blut aus der Fingerkuppe hatte sie vermarktet. Die FDA hatte den Test immerhin zugelassen, aber Zweifel blieben und – sein Nutzen dürfte gering sein. Denn beispielsweise in Deutschland sind rund 90 Prozent der Bevölkerung mit Herpes-simplex-Viren infiziert, doch nur die wenigsten bilden die dazugehörigen Symptome wie rote Pusteln um den Mund aus. Ein positiver Test würde deshalb die meisten nur verunsichern.

(bsc)