Raumfahrt: Reisen mit Warp-Geschwindigkeit

Seite 2: "Negative Masse", "Casimir-Effekt" und Magnetfelder

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Das größte Problem von Acubierres Lösung ist nicht einmal, dass man für den Warp-Antrieb in etwa die Masse eines Planeten von der Größe des Jupiters bräuchte – zumindest in Agnews Augen. „Das lässt sich drastisch reduzieren“, sagt er. „Je stärker die Krümmung verläuft, desto mehr Energie brauchen Sie. Wenn Sie die Geometrie der Krümmung geschickt wählen, können Sie den Energiebedarf um mehrere Größenordnungen reduzieren.“

Die noch viel größere Herausforderung ist, dass die Expansion der Raumzeit auf der anderen Seite des Schiffes eine gigantische „negative Masse“ erfordern würde. Und die herzustellen ist bisher niemandem gelungen. Und selbst wenn, dürfte es ziemlich schwierig werden, sie zu speichern, da Gravitation auf die hypothetischen Teilchen abstoßend wirken würde. Agnew will sich davon jedoch nicht entmutigen lassen. Er setzt darauf, dass es gelingt, mithilfe bisher unbekannter Wechselwirkungen kleinste Änderungen im Raum-Zeit-Gefüge zu erzeugen. „Es gibt zum Beispiel den Casimir-Effekt“, sagt Agnew. „Eine anziehende Kraft zwischen zwei Platten, zwischen denen ein extrem kleiner Spalt ist. Das kann man damit erklären, dass zwischen den Platten die Energie kleiner ist als außen, also negativ – was einer negativen Masse entsprechen würde.“ Andere Wissenschaftler setzten darauf, dass sich die Gravitation durch extrem starke Magnetfelder abschwächen lässt. „Wenn man auch nur einen kleinen Effekt in dieser Richtung nachweisen könnte, wüsste man, dass es sich lohnt, weiterzuarbeiten.“

Sabine Hossenfelder würde allerdings „kein riesengroßes Forschungsgebiet darauf ansetzen“. Es lohnt sich in ihren Augen zwar, über diese Dinge nachzudenken, „denn was die Gravitation angeht, haben wir eine ganze Menge noch immer nicht verstanden“. Aber sie hat große Zweifel, ob so etwas wie negative Masse tatsächlich existiert, hält das Konzept sogar für „unphysikalisch“. „In der Quantenmechanik können Teilchen nicht nur zerfallen, sondern Paare von Teilchen können auch spontan entstehen“, erklärt sie.

Sabine Hossenfelder (Frankfurt Institute for Advanced Studies): "Das Quantenvakuum würde instabil werden."

(Bild: Jan Vetter/Dpa Picture-Alliance)

„Allerdings muss dabei immer die Energieerhaltung gelten.“ Teilchen negativer Masse hätten aber logischerweise auch eine negative Energie. Ein Paar aus positiver und negativer Masse würde damit die Energie null besitzen. „Aus dem Vakuum heraus könnten also ständig Paare negativer und positiver Masse entstehen und den Raum fluten. Das Quantenvakuum würde instabil werden.“ Weil das Vakuum aber offensichtlich nicht instabil ist – das Universum existiert ja noch –, kann es auch keine negativen Massen geben, so Hossenfelders Argument. Allerdings räumt sie ein, dass auch dieses Argument einen Schönheitsfehler hat: Es wirft Quantentheorie und allgemeine Relativitätstheorie zusammen – was bis heute nicht widerspruchsfrei gelungen ist.

„Wenn jemand sagt, dieses und jenes sei nicht möglich, frage ich immer erst mal nach dem Experiment, das diese Behauptung belegt“, sagt Martin Tajmar von der TU Dresden. So wie Agnew ist auch Tajmar davon überzeugt, dass sich sogar das Problem mit den negativen Massen lösen lässt. „Grundsätzlich sind negative Massen nicht unmöglich“, sagt er. „Ich erzähle meinen Studierenden gern die Geschichte von Max Planck. Dem hat ein Münchner Professor nämlich vom Physik-Studium abgeraten, weil die wesentlichen Fragen längst beantwortet wären. Er möge also lieber gleich Ingenieur werden, das sei nützlicher“, sagt Tajmar. „Mit den paar Fragen, die angeblich noch offen waren, hat Planck dann die Physik völlig umgekrempelt und die Grundlagen für die Quantenmechanik gelegt.“

An seinem Institut in Dresden arbeiten Tajmar und seine Kollegen nicht nur an konventionellen elektrischen und chemischen Antrieben für Raumfahrzeuge. Sie untersuchen auch exotische Konzepte wie den sogenannten EmDrive, der unter anderem vom Nasa-Wissenschaftler Harold White als möglicher interstellarer Antrieb in die Diskussion gebracht wurde. Laut seinem Erfinder, dem britischen Ingenieur Roger Shawyer, sollten in dem konisch zulaufenden Zylinder elektromagnetische Wellen hin und her reflektiert werden.

Ein winzig kleiner Unterschied in der Wellenlänge – und damit dem Strahlungsdruck – an beiden Enden des Zylinders sollte einen permanenten Schub bewirken, der sich am Ende doch zu einer hohen interstellaren Geschwindigkeit aufsummieren sollte. „Um solche Effekte zu untersuchen, haben wir extrem genaue Messstände entwickelt“, sagt Tajmar. „Und wir konnten tatsächlich Schub messen. Allerdings funktioniert der Antrieb nur im Magnetfeld der Erde. Damit wäre also nichts gewonnen.“

Wenn es aber gelingen würde, nur ein wenig negative Masse zu erzeugen, habe man das Problem so gut wie gelöst, erklärt der Forscher. Denn anders als herkömmliche Masse würde negative Masse sich gegen eine Kraft bewegen. Eine gleich große positive und negative Masse würden sich also gegenseitig anziehen und so in eine Richtung beschleunigen. Tatsächlich wurde so ein Verhalten bereits beobachtet: Martin Wimmer von der Universität Regensburg berichtete 2013 in „Nature Physics“ von dem Effekt – allerdings nur für Photonen.

Martin Tajmar von der TU Dresden stellt exotische Konzepte für Raumschiffantriebe auf den Prüfstand.

(Bild: Monika Skolimowska/Dpa Picture-Alliance)

„Wir müssen diese Grundlagenforschung jetzt auf reale Antriebssysteme im Labormaßstab umsetzen“, sagt Tajmar. Wie genau er das bewerkstelligen will, das verrät er allerdings nicht. Er will, so sagt er, „keine überzogenen Erwartungen wecken“, hat aber „durchaus verschiedene Kandidaten“ in der Pipeline. „Wenn ich Ergebnisse habe, werden Sie schon davon erfahren“, sagt Tajmar und lacht. „Bei uns wird alles wissenschaftlich publiziert. Mein Ziel ist, bis zu meiner Emeritierung den Antrieb für die erste interstellare Raumsonde zu bauen. Und wenn das nicht klappt, sage ich immer, ist das Schlimmste, was uns passieren kann, dass wir eine Menge dazugelernt haben.“

(wst)