Wie eine Walkie-Talkie-App Menschen in Krisenzeiten helfen soll

Die Handy-Anwendung Zello war dank Nachbarschaftskommunikation besser als der Notruf der Polizei, als es zuletzt in Südafrika Ausschreitungen gab, sagen User.

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(Bild: Pawel Janiak / Unsplash)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Tanya Basu
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Ende Juni wurde der ehemalige südafrikanische Präsident Jacob Zuma wegen Korruption während seiner Präsidentschaft zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt. Der Politiker stellte sich erst am 7. Juli, da er sich für unschuldig hielt und die Haft ihn mit seinen 79 Jahren umbringen könne. Innerhalb weniger Stunden kam es zu massiven Protesten und weit verbreiteten Plünderungen, insbesondere in Zumas Heimatstadt Durban, als sich Anhänger um sein Anwesen postierten und die Polizei herausforderten. Bei diesen Gewaltakten soll es mindestens 215 Tote und mehr als 2.500 Verhaftungen gegeben haben.

Für Südafrikaner wie Amith Gosai war es schwer, den Überblick über die Geschehnisse vor Ort zu behalten. Seine WhatsApp-Chats waren voller Botschaften, die ihn verwirrten. Dann sah er eine Nachricht in der WhatsApp-Gruppe seiner Gemeinde, in der die Nachbarn aufgefordert wurden, einer Art Nachbarschaftswache auf Zello beizutreten, einer Art Walkie-Talkie-App, die sich schnell zu einem Instrument der Kommunikation während der Ausschreitungen entwickelte. "Das hat uns sehr geholfen, das Gemeinschaftsgefühl zu stärken und Ängste zu zerstreuen", erzählt er per Twitter-Direktnachricht.

Gosai, der selbst aus Durban stammt, gehörte zu den 180.000 Menschen, die Zello nach der Verhaftung Zumas heruntergeladen haben. Die Nutzer abonnierten Kanäle, um miteinander zu kommunizieren, und sendeten Live-Audiodateien, die für jeden zugänglich waren, der den Kanal abhörte.

Zello wurde ursprünglich entwickelt, um Menschen bei der Kommunikation und Organisation nach Naturkatastrophen zu helfen. Mit einer WLAN-Verbindung zwischen den Geräten oder einer regulären Datenverbindung können Menschen nach einem Wirbelsturm, einer Überschwemmung oder einem anderen Notfall ihren Standort übermitteln, Tipps austauschen und mit Rettungskräften oder Überlebenden kommunizieren. In den USA fand Zello bei den Rettungsmaßnahmen nach dem Hurrikan Harvey im Jahr 2017 großen Anklang. Laut Raphael Varieras, Vice President of Operations bei Zello, wird die App auch von Taxifahrern, Krankenwagenbesatzungen und Paketzustellern genutzt, die Sprachnachrichten versenden möchten, ohne dass sie die Hände vom Lenkrad nehmen müssen. Da es sich bei Zello um eine Voice-First-Plattform handelt, ist sie schneller als Tippen und erfordert nicht einmal Lese- und Schreibfähigkeiten.

Die jüngsten Ereignisse deuten jedoch darauf hin, dass Zello zunehmend auch dazu genutzt wird, Menschen in Unruhegebieten zu verbinden. Innerhalb weniger Stunden nach dem jüngsten Konflikt zwischen Israel und der Hamas im Gaza-Streifen stiegen die Downloads beispielsweise auf das Hundertfache der üblichen Rate. Auch in Kuba stieg die Zahl der Downloads im Zuge der Proteste wegen Lebensmittel- und Medikamentenknappheit sprunghaft an. Es überrascht nicht, dass diese Entwicklung einige Länder dazu veranlasst hat, die App zu verbieten, darunter China, Venezuela und Syrien.

Ohne ein funktionierendes Notrufsystem griffen die Südafrikaner während der Krise zunehmend auf Zello zurück, um Ad-hoc-Krankenwagen oder Nachbarschaftspatrouillen zu koordinieren. Auch heute noch ist das so. Ein Kanal, South Africa Community Action Network, hat über 11.000 zahlende Mitglieder, die für Notdienste wie Krankenwagen spenden, sowie mehr als 33.000 nicht zahlende Mitglieder, wie aus einem Blogbeitrag hervorgeht. Nicht immer ist die Nutzung der App jedoch positiv. Ein Twitter-Nutzer in Südafrika, der angesichts der Situation um Anonymität bat, sagte, dass einige Leute Zello genutzt hätten, um herauszufinden, welche Häuser und Geschäfte für Plünderungen geeignet sind, während andere sich einschalteten, um abzuschätzen, ob sie fliehen oder bleiben sollten.

Ein anderer Nutzer, Javhar Singh, sagte, dass er Zello als "Live-Kommunikation zwischen Community-Mitgliedern" genutzt habe, um sich "über den Aufenthaltsort von Plünderern" zu informieren. "Es ist viel schneller als die Nachrichten". In einer solch angespannten Situation ist es wichtig, dass Zello anonym ist. "Die Leute haben keinen Zugriff auf deine persönliche Telefonnummer wie bei WhatsApp", sagt Gosai.

Die Schnelligkeit, die Anonymität und die Intimität, die durch die Sprachkommunikation geschaffen werden, sind Vorteile von Zello. Aber genau diese Eigenschaften könnten auch zur Verbreitung von Falschinformationen führen, die Zello derzeit nicht überwacht. Jeder kann die App jederzeit nutzen und sagen, was er will. Tatsächlich soll Zello bei der Planung und Durchführung des Angriffs auf das US-Kapitol Anfang Januar eingesetzt worden sein.

Die Popularität von Zello in Südafrika beweist auch, dass Online-Audio nicht nur ein Trend für 2020 ist. Audio-Chaträume auf Clubhouse und Discord basieren auf der Idee, dass Menschen über gemeinsame Interessen sprechen wollen – mit ihrer eigenen Stimme. Und Facebook und Twitter testen aktiv Live-Audio auf ihren Plattformen, um den Vorsprung der jungen Konkurrenten einzuholen.

Das allgemeine Publikum von Zello bleibt im Gegensatz zu den anderen Diensten jedoch nicht lange genug, um andere Menschen wirklich kennenzulernen: Es sucht nach Neuigkeiten aus der Umgebung, schnell und ungefiltert. "Es gibt eine lange Historie von Zello als App für Krisenzeiten", sagt Bill Moore, CEO der Firma. Und das gilt offenbar mittlerweile nicht nur für Naturkatastrophen.

(bsc)