US-Regierung überwacht soziale Medien: Suche nach Zeichen ziviler Unruhen

Das Department of Homeland Security hat nach dem Sturm auf das Kapitol ein Programm gestartet, um Sicherheitsbedrohungen mithilfe von Social Media zu erkennen.

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Flagge der USA

(Bild: Marian Weyo/Shutterstock.com)

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Nachdem Anhänger von Ex-Präsident Donald Trump am 6. Januar das Kapitol angegriffen haben, soll ein Frühwarnsystem der US-Regierung vergleichbare Gefahren für die öffentliche Sicherheit künftig verhindern. Das Department of Homeland Security (DHS) setzt dazu momentan eine Strategie um, mit der es einschlägige Hinweise etwa in Form von Anzeichen für zivile Proteste, Extremismus und inländischen Terrorismus aus öffentlichen Social-Media-Beiträgen sammeln und analysieren will.

Der Fokus liege dabei nicht auf der Identität von Nutzern von Facebook, YouTube, Twitter & Co., "sondern auf der Gewinnung von Erkenntnissen über potenzielle Sicherheitsbedrohungen", meldet der US-Sender NBC unter Verweis auf Regierungsvertreter. Die Analysten sollten etwa aufkommende Verschwörungserzählungen und Beschwerden im Blick behalten. Das DHS setze dabei bisher auf menschliche Mitarbeiter und nicht auf algorithmische Entscheidungssysteme, um die Datenmengen sinnvoll auswerten und Erkenntnisse zusammenfügen zu können.

Welche Kriterien oder Methoden für die Analyse genutzt werden, ließen die Quellen offen. DHS-Beamte sollen sich ihnen zufolge aber mit Betreibern sozialer Netzwerke, anderen Firmen und zivilgesellschaftlichen Gruppen beraten haben, die öffentlich verfügbare Social-Media-Daten im Rahmen der sogenannten Open-Source-Aufklärung auswerten.

"Gewalttätiger Extremismus im Inland stellt heute die tödlichste anhaltende terrorismusbezogene Bedrohung für unser eigene Land dar", erklärte eine DHS-Sprecherin gegenüber dem Sender. Sie versicherte: Alle Initiativen des Ministeriums gegen solche Gefahren würden "in enger Abstimmung mit unseren Experten für Datenschutz, die Rechte und Freiheiten der Bürger sowie im Einklang mit dem Gesetz durchgeführt".

Strafverfolger und Geheimdienstmitarbeiter dürfen in den USA ohne gerichtliche Anordnung alles durchleuchten, was Menschen offen in sozialen Netzwerken sagen. Dies gilt als Pendant zum Auswerten von Zeitungs- und Fernsehberichten. Bürgerrechtsgruppen lehnen die staatliche Überwachung sozialer Medien in der Regel ab. Sie geben zu bedenken, dass dabei meist nicht viele bahnbrechende Erkenntnisse produziert werden. Umso größer sei das Risiko, ein Gefühl der ständigen Beobachtung zu erzeugen und so die Meinungsfreiheit zu unterdrücken.

"Menschen sagen aufhetzendes Zeug in sozialen Medien, aber empirisch gesehen sind diese Äußerungen kein gültiger oder zuverlässiger Indikator für gewalttätiges Verhalten", erklärte Hugh Handeyside von der Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU). Er wies darauf hin, dass das Haushaltsbüro des Weißen Hauses im vergangenen Juli einen Vorschlag des DHS blockiert habe, Social-Media-Informationen über Visa-Antragsteller zu sammeln. Das Ministerium habe "den praktischen Nutzen" dieses Vorhabens nicht ausreichend nachgewiesen.

Solche Bedenken seien legitim, betonte Oren Segal, Vizepräsident des Zentrums für Extremismus bei der Anti-Defamation League. Es gelte aber auch: "Um der nächsten Bedrohung einen Schritt voraus zu sein, muss man in die Räume gehen, in denen die Extremisten präsent sind." Der Angriff auf das Kapitol sei vorhersehbar gewesen, "weil die Planung und die Organisation in der Öffentlichkeit stattfanden".

Die US-Regierung bemüht sich seit vielen Jahren, soziale Medien zu überwachen, um große Proteste vorherzusagen. 2018 etwa war dazu unter Trump ein einschlägiges Forschungsprojekt im Auftrag des Pentagons an der Militärakademie West Point bekannt geworden. Die Bemühungen spiegelten sich auch in einer Reihe von Patenten für die technologiegestützte Auswertung von Social-Media-Beiträgen wider. Zuvor war die Rolle des US-Verteidigungsministeriums erweitert worden, geheimdienstliche Informationen für "Notfälle" im Inland einschließlich von "Aufständen" zu erheben.

Schon seit 2002 sorgte das Pentagon-Überwachungsprojekt "Total Information Awareness" (TIA) immer wieder für Schlagzeilen. Der US-Kongress stoppte das Vorhaben der Bush-Regierung zwar offiziell zwar 2003, das Kritikern zufolge Orwellsche Ausmaße hatte. Auch später tauchten aber Berichte auf, wonach die Initiative weiterverfolgt wird. Die Kernarchitektur soll die NSA übernommen und im Geheimen weiterentwickelt haben.

In Europa fordert derweil die portugiesische Ratspräsidentschaft mehr Datenaustausch im Kampf gegen zivilen Protest und Verschwörungsschwurbler in den Zeiten von Querdenker-Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen. Dies geht aus zwei als vertraulich eingestuften Papieren hervor, die die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch veröffentlicht hat. Europol soll demnach mit den nationalen Behörden Informationen austauschen, "um gewalttätige Demonstrationen und zivile Unruhen zu verhindern".

Die jüngsten Bewegungen von Covid-19-Leugnern seien gegen das System gerichtet und hätten "ein offensichtliches Gewaltpotenzial", schreibt die Ratsspitze. Sie seien zwar schwer einzuordnen, stellten aber "eine Sicherheitsherausforderung für die EU-Mitgliedstaaten" dar. Die Behörden müssten daneben "linke und anarchistische gewalttätige Extremisten" im Blick behalten, die "traditionell behaupten, 'staatliche Repression', 'Militarismus', 'Kolonialismus' und 'Faschismus' zu bekämpfen".

(mho)