Wie geheim ist geheim, Herr Ekert?

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TR: Aber wir bewegen uns doch immer in einer Welt, die nicht perfekt ist. Und Sie haben immer eine Schnittstelle von der Quantentechnologie zur herkömmlichen Informationstechnik. Also sind die Schlüssel prinzipiell immer angreifbar.

Ekert: Ja, schon. Aber es ist doch nicht so, dass man diese Dinge niemals sauber implementieren kann. Wenn ich gute Lichtquellen habe und gute Detektoren, ist mein Schlüssel so lange sicher, bis ich dumme Fehler mache. Man darf beispielsweise nicht der ganzen Welt mitteilen, wann genau man seine Messungen durchführt. Aber da sprechen wir nicht mehr über Technologie, sondern über menschliches Verhalten.

TR: Also ist die Quantenkryptographie nur so gut, wie der Mensch, der sie anwendet?

Ekert:Natürlich ist Quantenkryptographie kein Rezept gegen menschliche Dummheit. Deshalb sind die Quanten-Hacker uns höchst willkommen. Im Moment greifen die meisten sehr einfache Sicherheitslücken an, die vielen Wissenschaftlern durchaus bewusst sind. Aber es ist gut, dass sie das tun. Denn für den Fall, dass Quantenkryptographie jemals kommerziell verfügbar werden soll, ist es sehr wichtig, solche Fehler zu korrigieren.

TR: Kommerziell ist ein gutes Stichwort. Bislang gibt es zwar viele Forschungsarbeiten zur Quantenkryptographie, aber ich kenne noch keine echte Anwendung.

Ekert: Haben Sie mal mit Bankern über das Thema gesprochen? Das ist sehr interessant.

TR: Sie meinen, die Technologie wird verwendet, aber niemand spricht darüber?

Ekert: Nein. Der Grund ist im Wesentlichen, dass der Bankensektor, der sicherlich einer der wichtigsten Kunden für diese Dinge wäre, sehr konservativ ist. Wenn Sie mit Leuten aus den Banken sprechen, sagen die: Nun, falls Sie irgendwann wirklich einen Quantencomputer bauen können, der unsere bisherige Verschlüsselungstechnik knackt, dann würden wir nicht zur Quantenverschlüsselung übergehen. Wir würden stattdessen einen Schritt zurück machen und vertrauenswürdige Kuriere einsetzen. Aber das Problem ist nicht die Kryptographie an sich.

Rund 80 Prozent der Sicherheitsprobleme, die bei Banken oder auch beim Militär auftauchen, haben nichts mit den zu Grunde liegenden Algorithmen zu tun. Niemand stiehlt Geld oder geheime Dokumente, indem er Zahlen faktorisiert oder versucht, eine RSA-Chiffre zu brechen. Stattdessen geht es wieder um die schlampige Implementierung von Sicherheitsbarrieren. Für normale Fälle reichen die bisherigen Verfahren vollkommen aus – vorausgesetzt, sie sind sauber implementiert. Vom kommerziellen Standpunkt aus gesehen macht Quantenkryptographie also nur dann Sinn, wenn die Verschlüsselung absolut lebenswichtige Bereiche betrifft.

TR: Mit anderen Worten: Es gibt keinen wirklichen Markt für Quantenkryptographie?

Ekert: Früher hätte ich das Militär genant. Aber die Ära des kalten Krieges ist vorüber. Damals haben die große Blöcke noch viel Geld in aufwendige Kryptosysteme investiert. Heute leben wir in einer Welt, wo es zwar nicht mehr so viele Feinde gibt, aber man seinen Freunden auch nicht mehr trauen kann. Dafür braucht man eine andere Art der Kryptographie, die nicht so sehr auf die ultimative Sicherheit setzt. Vielmehr geht es darum, ein vernünftiges, angemessenes Level an Sicherheit zu garantieren. Das sind alles Gründe, warum Quantenkryptographie noch nicht auf dem Markt ist. Ich bin aber sicher, dass es eine Nische dafür gibt. Früher oder später werden wir hybride Systeme mit Quanten-Komponenten sehen.

TR: Sie arbeiten seit über 20 Jahren mit Quantensystemen. Finden Sie Quantenmechanik immer noch seltsam?

Ekert: Oh ja.

TR: Denken Sie darüber nach, was in diesen Systemen physikalisch wirklich passiert? Was also diese ganzen seltsamen Berechnungen letztendlich bedeuten?

Ekert: Ja, genau genommen denke ich hauptsächlich über solche Fragen nach. Quantencomputer und Quantenverschlüsselung sind nur ein Teil meiner Interessen. Tatsächlich hat sich das gesamte Forschungsgebiet aus sehr grundlegenden wissenschaftlichen Arbeiten über die Natur der Physik und ihre fundamentalen Gesetze entwickelt. David Deutsch, der erste, der das Konzept eines Quantencomputers theoretisch beschrieben hat, wollte eigentlich zeigen, dass eine bestimmte Interpretation der Quantenmechanik richtig ist: Die Everett-Interpretation. Ich persönlich halte die übrigens auch für richtig.

TR: Sie meinen die so genannte Viele-Welten-Theorie? Nach der wir als Realität nur eine von unendlich vielen möglichen Universen wahrnehmen?

Ekert: Ja genau, diese Multiversums-Geschichte. Ich sage ja nicht, dass die richtig ist. Aber sie ist besser als viele andere Interpretationen. Jede andere Interpretation der Quantenmechanik unterscheidet zwischen Quantensystemen und der restlichen, klassischen Welt. Wenn Sie einen Physiker fragen, was ist der Unterschied zwischen diesen beiden Welten, dann wird er irgendetwas Unverständliches in seinen Bart murmeln.

Die physikalische Theorie bietet keine Entscheidungskriterien dafür an. Wenn Sie aber sagen, alles ist quantenmechanisch, dann macht das vielleicht nicht alle glücklich, und es hat auch irritierende Konsequenzen. Weil es bedeutet, dass auch makroskopische Objekte sich in quantenmechanischen Überlagerungszuständen befinden können – Sie, ich, einfach alles. Aber die Theorie ist wenigstens konsistent. (wst)