Wie kleine Stromstöße im Gehirn bei Depressionen helfen können

Eine neue Technik macht Hoffnung, wenn alle anderen Behandlungsmöglichkeiten gegen Depressionen ausgeschöpft sind.

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Sarah hat ein Hirnimplantat, das automatisch aufkommende Depressionsschübe erkennt und mit kleinen Stromstößen gegensteuert.

(Bild: John Lok / UCSF)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Charlotte Jee

Die 36-jährige Sarah aus Kalifornien litt seit fünf Jahren an chronischen Depressionen. Sie dachte mehrmals in der Stunde an Selbstmord und konnte nicht einmal einfache Entscheidungen wie die Wahl des Essens treffen. Alle Behandlungsversuche, einschließlich einer Elektrokrampftherapie, hatten nicht geholfen.

Im Juni 2020 haben ihr Forschende der University of California dann Elektroden ins Gehirn implantiert. Die bemerkenswerten Ergebnisse wurden in Nature Medicine veröffentlicht. Sie machen auch Hoffnung für andere Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen.

"Meine Depression wurde in Schach gehalten, und das hat mir ermöglicht, wieder ein lebenswertes Leben aufzubauen", sagte Sarah auf einer Pressekonferenz. (Ihr Nachname wurde nicht genannt.)

Dazu zeichnete das Forschungsteam zunächst zehn Tage lang Sarahs Hirnaktivität mit zehn Elektroden auf. Dabei stellte es fest, dass depressive Schübe von einer starken Aktivität bestimmter Teile der Amygdala angekündigt wurden – und dass ein kleiner Stromstoß im "ventralen Striatum" die Symptome deutlich verbesserte. Also implantierten sie ein Gerät, das genau diesen Hirnbereich stimuliert, wenn sich ein neuer depressiver Schub abzeichnet.

Sarah kann diese Stromstöße nicht spüren. Und das ist auch gut so, denn sie werden bis zu 300 Mal am Tag ausgelöst; jeder Impuls dauert sechs Sekunden. Nachts gibt das Gerät keine Stromstöße ab, da diese auch Energie und Wachheit fördern, was Sarahs Schlaf stören könnte.

Vor der Implantation erreichte Sarah 36 von 54 möglichen Punkten auf der Montgomery-Åsberg-Depressionsskala. Nach zwei Wochen war ihr Wert auf 14 gesunken. Jetzt liegt er unter 10.

"Ich hatte einen echten Aha-Moment. Ich empfand ein intensives Glücksgefühl, und Depressionen wurden zu einem fernen Albtraum", sagt sie. "Entscheidend ist, dass mir dadurch auch klar wurde, dass Depressionen kein persönliches Versagen sind, sondern eine behandelbare Krankheit."

Die tiefe Hirnstimulation wurde bereits bei Zehntausenden Parkinson- und Epilepsiepatienten eingesetzt. Auch das Gerät in Sarahs Gehirn wurde eigentlich für Epilepsie entwickelt. Es ist jedoch schwierig, diese Technik bei Depressionen einzusetzen, da diese Störungen bei jedem Menschen in anderen Teilen des Gehirns ablaufen.

Die Studie hatte zwar nur eine einzige Patientin, ist aber dennoch vielversprechend. "Die große Frage ist, ob man diesen Ansatz skalieren kann. Dafür braucht man mehr Daten von mehr Patienten", sagt die Neurologin Helen S. Mayberg, die sich seit Jahrzehnten mit dem Potenzial von Hirnstimulationen zur Behandlung von Depressionen beschäftigt.

Das Forschungsteam hat bereits zwei weitere Patienten in die Studie aufgenommen und will neun weitere rekrutieren. Von einer Zulassung ist das Verfahren aber noch weit entfernt. Es ist invasiv und teuer, benötigt wochenlanges Feintuning und eine ganztägige Operation. Also kommt es nur für diejenigen infrage, bei denen alle andere Behandlungen versagt haben.

Große Hoffnung ruht auf neuen Stimulationstechniken, die ohne Implantation auskommen, so der Neurochirurg Edward Chang, einer der Co-Autoren der Studie. Es gibt solche Geräte bereits, aber sie sind noch nicht so präzise wie ein Implantat. Genau daran arbeitet Roi Cohen Kadosh, Kognitions- und Neurowissenschaftler an der University of Surrey. Er sagt voraus, dass irgendwann Geräte außerhalb des Schädels die gleichen Leistungen wie Sarahs Implantat erzielen werden.

(bsc)