Wie man durch die COVID-Nachrichten navigiert, ohne durchzudrehen​

Seite 2: Informationen ändern sich, und das ist in Ordnung

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Der wissenschaftliche Entdeckungsprozess verläuft nicht im gleichen Tempo wie der schnelle, ständig aufgewühlte Nachrichtenzyklus. Es kann auch nicht mit den Fragen der Menschen Schritt halten, wie man die Pandemie überlebt. Leser fragen sich: Soll ich meine Lebensmittel mit Desinfektionsmitteln abwischen? Wie hoch ist das Risiko, mit der U-Bahn zu fahren? Könnte ich trotz Impfung an Langzeitfolgen der COVID-19-Erkrankung (Long Covid) erkranken? Auf Fragen wie diese gibt es nicht immer einfache oder gute Antworten, und Experten zufolge war es eine Herausforderung, der Öffentlichkeit das Unbekannte zu vermitteln.

Da es sich allerdings um eine neuartige Krankheit handelt, lernen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Gesundheitsbehörden in Echtzeit. Mehr als eineinhalb Jahre nach dem ersten Bekanntwerden von Sars-CoV-2 entwickelt sich das Wissen über Schlüsselthemen wie Immunität und "Long Covid" immer noch weiter. Forschende suchen oft gleichzeitig mit der Öffentlichkeit nach Antworten, aber das ist für die Laien nicht immer klar, die möglicherweise sofortige und maßgebliche Informationen erwarten.

"Was die [öffentliche Gesundheitsbehörden] nicht unbedingt getan haben, um Fortschritte zu erzielen, ist, diese Unsicherheit zu kommunizieren", sagt Renée DiResta, technische Forschungsleiterin am Stanford Internet Observatory. Dieser Mangel an Klarheit – und manchmal der Konflikt – in Botschaften über öffentliche Gesundheit kann in der Presse durchsickern und ein Vakuum schaffen, in dem irreführende oder nicht überprüfte Informationen schwären und sich verbreiten können, sagt DiResta. "Dieses Vakuum kann jeder mit einer Meinung füllen", fügt sie hinzu.

All diese widersprüchlichen Botschaften, kombiniert mit der Realität langsamer wissenschaftlicher Zeitpläne, können das Misstrauen verstärken. Anstatt Änderungen der offiziellen Richtlinien als Zeichen dafür zu sehen, dass die Gesundheitsbehörden verantwortungsbewusst auf neue Daten reagieren, kann die Öffentlichkeit leicht glauben, dass diese Behörden und die Medien erneut falsch lagen – zum Beispiel als die CDC ihre Maskenrichtlinien änderte. Politisch motivierte Akteure nutzen dieses Misstrauen aus. Schlampige Schlagzeilen und irreführende Tweets von seriösen Nachrichtenagenturen oder die Vorhersagen von Journalisten, die schlecht altern, können in "Hab ich dich!"-Memes umfunktioniert werden, mit denen hyperparteiliche Influencer weiterhin das Vertrauen in die Medien abbauen.

"Entitäten wie Newsmax werden jede Gelegenheit nutzen, um eine falsch gemeldete oder geänderte Tatsache aus einer CNN-Sendung zu finden", sagt DiResta. Beamte des öffentlichen Gesundheitswesens – und die Reporter, die über sie berichten – brauchen ein besseres Kommunikationssystem, um zu erklären, was wir noch nicht wissen und dass sich Leitlinien auf der Grundlage neuer Informationen ändern könnten.

DiResta setzt sich für einen Wikipedia-ähnlichen Ansatz für die öffentliche Gesundheit ein. Dieser soll die Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Debatten öffentlich und transparent machen und ein breites Spektrum von Experten ihr Wissen einbringen lassen. "Wir werden nie wieder zum alten Weg zurückkehren, wo sie in irgendeinem Hinterzimmer einen bestimmen Entschluss fassen und einer vertrauensvollen Öffentlichkeit einen einheitlichen Konsens präsentieren", sagt sie. "Dieses Modell ist vorbei."

Wie können Sie also vertrauenswürdige Nachrichten finden, die sich für Ihr Leben relevant anfühlen? Eine Möglichkeit besteht darin, insbesondere nach lokalen Quellen Ausschau zu halten, die täglich Zahlen kontextualisieren, anstatt endlos die neuesten Daten herunterzurasseln. Die gemeinnützige Chicagoer Zeitung South Side Weekly bietet so ein Modell. Sie deckt das mehrheitlich nicht-weiße Wohngebiet South Side ab.

Die größtenteils freiwillige Zeitung produzierte den ChiVaxBot, einen automatisierten Twitter-Account, der jeden Tag zwei Karten nebeneinander teilt: COVID-19-Impfraten nach Postleitzahl und COVID-19-Sterblichkeitsraten nach Postleitzahl. Anstatt eine Momentaufnahme der Daten an einem Tag anzuzeigen, zeigten die täglichen Aktualisierungen ein Muster im Zeitverlauf. Aufgrund dieser konsequenten, langsamen Verfolgung schlug der Bot bei Impfstoffdisparitäten Alarm: Schwarze und Latino-Gebiete zeigten hohe Todesfälle, aber niedrige Impfraten, eine Situation, die bis heute anhält.

Die Daten wurden auch sorgfältig mit Kontext versehen. Charmaine Runes, einer der Schöpfer des Bots, hat mehrere Erklärungstücke geschrieben, in denen sie Datenquellen, wichtige Erkenntnisse und Zusammenhänge offenlegte, zum Beispiel die stadtweiten Bemühungen zu Gleichberechtigung. "Die Stadt veröffentlicht viele Daten, aber nicht immer auf eine Weise, die für die Menschen nützlich ist", sagt Runes. "Es liegt wirklich in der Verantwortung der Medien, einen Teil dieser Interpretationsarbeit zu leisten und den Leuten zu sagen: 'Hey, hierauf musst du achten.'"

Das Verlangsamen mag kontraintuitiv klingen, egal ob Sie ein Doomscroller sind, der verzweifelt nach Anleitung sucht, oder ein Journalist, der nach der nächsten Schlagzeile sucht. Aber Leute, mit denen ich über viele Monate für meine COVID-19-Berichterstattung gesprochen habe, beschreiben oft die Netzwerke, Systeme und Beziehungen, die für erfolgreiche Notfallmaßnahmen vorhanden sein müssen – unabhängig davon, ob sie für Vertrauen in Impfstoffe werben oder den Zugang zur Gesundheitsversorgung in unterversorgten Gemeinden unterstützen, oder versuchen, Lebensmittel und Mietbeihilfen zu all jenen zu bringen, die sie brauchen.

Der Aufbau dieser Systeme ist "langsame Arbeit", sagt der Chicagoer Gesundheitsbedienstete Ali Khan. Es könnte genau die Art von beharrlicher, nachdenklicher Herangehensweise sein, von der Leser und Journalisten in einer Pandemie lernen können, die nicht so schnell enden wird.

Diese Geschichte ist Teil des Pandemic Technology Project, das von der Rockefeller Foundation unterstützt wird. (bsc)