Wie unser Gehirn während der Pandemie gelitten hat

Seite 2: Die Menschen waren einsam, das ergab Stress

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Auch die durch die Pandemie hervorgerufene soziale Isolation hat sich wahrscheinlich negativ auf die Struktur und Funktion des Gehirns ausgewirkt. Einsamkeit wurde mit einer Verringerung des Volumens von Hippocampus und Amygdala sowie einer verminderten Nervenbindungsfähigkeit im präfrontalen Kortex in Verbindung gebracht. Es überrascht vielleicht nicht, dass Menschen, die während der Pandemie allein lebten, häufiger an Depressionen und Angstzuständen litten.

Die Schädigung dieser Hirnregionen wirkt sich nicht nur auf die Emotionen, sondern auch auf die kognitiven Fähigkeiten der Menschen aus. Viele Psychologen führen den pandemischen Hirnnebel auf die Auswirkungen von chronischem Stress auf den präfrontalen Kortex zurück, wo er die Konzentration und das Arbeitsgedächtnis beeinträchtigen kann.

Das sind also die schlechten Nachrichten. Die Pandemie hat unsere Gehirne schwer getroffen. Diese negativen Veränderungen sind letztlich auf eine stressbedingte Verringerung der Neuroplastizität zurückzuführen, d. h. auf den Verlust von Zellen und Synapsen anstelle des Wachstums neuer Zellen.

Aber verzweifeln Sie nicht: Es gibt auch gute Nachrichten. Bei vielen Menschen kann das Gehirn seine Plastizität spontan wiederherstellen, sobald der Stress nachlässt. Wenn das Leben zur Normalität zurückkehrt, kann dies auch für unser Gehirn gelten. "In vielen Fällen lassen die Veränderungen, die bei chronischem Stress auftreten, mit der Zeit tatsächlich nach", sagt James Herman, Professor für Psychiatrie und Verhaltensneurowissenschaften an der Universität von Cincinnati. "Auf der Ebene des Gehirns kann man eine Umkehrung vieler dieser negativen Auswirkungen beobachten."

Mit anderen Worten: Wenn die Routine in den Zustand von vor der Pandemie zurückkehrt, sollte dies auch für Ihr Gehirn gelten. Die Stresshormone werden zurückgehen, wenn die Impfkampagne fortgesetzt werden und die Angst, an einem neuen Virus zu sterben (oder jemand anderen anzustecken), nachlässt.

Wenn wir uns wieder in die Welt hinauswagen, werden all die kleinen Dinge, die uns früher glücklich gemacht haben, dies wieder tun. Damit kann man dem Gehirn helfen, verödete Verbindungen wiederaufzubauen. So wie zum Beispiel soziale Isolation schlecht für das Gehirn ist, ist soziale Interaktion besonders gut für es. Bekannt ist: Menschen mit größeren sozialen Netzwerken verfügen über mehr Volumen und Verbindungen im präfrontalen Kortex, in der Amygdala und in anderen Gehirnregionen.

Auch wenn wir noch keine Lust haben, wieder soziale Kontakte zu knüpfen, sollten wir uns trotzdem ein wenig anstrengen. Tun wir dennoch nichts, was sich "unsicher" anfühlt. Doch bei der Behandlung einiger psychischer Erkrankungen gibt es einen Aspekt des "fake it till you make it": Im klinischen Sprachgebrauch wird dies als Verhaltensaktivierung bezeichnet, bei der es darum geht, Dinge zu tun, auch wenn man sie nicht tun möchte.

Anfangs werden wir vielleicht nicht die gleichen Gefühle der Freude oder des Spaßes empfinden wie früher, wenn wir in eine Bar gehen oder im Garten grillen. Aber wenn wir dabei bleiben, fallen uns diese Aktivitäten oft leichter – und sie können dazu beitragen, depressive Gefühle zu überwinden.

Rebecca Price, außerordentliche Professorin für Psychiatrie und Psychologie an der Universität von Pittsburgh, sagt, dass eine Verhaltensaktivierung durch externen Input funktionieren kann. Die Forschung wisse, dass das zum Wachstum neuer Gehirnzellen führt, zumindest in Tiermodellen. "Ihr Gehirn reagiert auf die Umgebung, die Sie ihm bieten. Wenn Sie sich also in einer entbehrungsreichen Umgebung befinden, weil Sie allein zu Hause festsitzen, wird dies wahrscheinlich zu einer Verringerung der verfügbaren Signalwege im Hirn führen", sagt sie. Wenn man sich hingegen eine geistig-herausfordernde Umgebung erschafft, in der man mehr Möglichkeiten des Inputs, der Interaktion und der Stimuli hat, dann werde das Gehirn darauf reagieren. Erheben wir uns also vom Sofa. Ein Besuch im Museum, im botanischen Garten oder ein Live-Konzert im Freien sind mögliche Ideen. Ihr Gehirn wird es Ihnen danken.

(bsc)