Windkraft: Ansturm aufs Meer

Schwimmende Windräder haben das Zeug, zur günstigsten Energiequelle überhaupt zu werden.

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Insgesamt 80 Windkraft-Anlagen sollen in Bard Offshore 1 Strom liefern

(Bild: Bard-Gruppe)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Daniel Hautmann
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Schwimmende Windparks könnten die konventionelle Offshore-Windkraft ablösen und zum Standard in der Branche werden, berichtet das Magazin Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe 3/2021 (jetzt am Kiosk oder online zu bestellen).

Rund 80 Prozent der weltweiten Windressourcen liegen über Gewässern, die tiefer als 60 Meter sind – und damit zu tief für herkömmliche Fundamente. „Indem man in tiefere Gewässer vorstößt und größere Windressourcen erschließt, könnten schwimmende Windräder eine signifikante Expansion der Windkraft erlauben – und das konkurrenzfähig“, sagt etwa Francisco Boshell, Analyst bei der Internationalen Erneuerbare Energien Agentur (IRENA).

In vielen Gegenden, vor allem in Amerika und Europa, ist Windkraft laut den Marktforschern von BloombergNEF schon heute die günstigste Energiequelle überhaupt. Und Windfarmen auf dem Meer rücken nun in die Leistungsklasse von Kern- und Kohlekraftwerken auf. An guten Standorten liefern sie jährlich verlässlich rund 4500 Volllaststunden, während es an Land nur rund 2000 sind.

Trotzdem wurden in deutschen Gewässern zuletzt kaum noch Anlagen errichtet. Im vergangenen Jahr gingen nur noch 32 Maschinen mit 220 MW ans Netz. Und derzeit ist kein einziger Offshore-Windpark in Deutschland im Bau. Dabei sehen die Ausbaupfade der Bundesregierung 20 GW bis 2030 und 40 GW bis 2040 vor.

Immerhin: International wird offshore gebaut, was das Zeug hält. Entfiel 2009 nur ein Prozent der global errichteten Windkraft-Kapazität auf die See, waren es 2019 bereits zehn Prozent. Bis 2050, schätzen Fachleute der Ocean Renewable Energy Action Coalition (OREAC), könnten weltweit bis zu 1400 Gigawatt realisiert werden.

Schwimmende Windräder sind ein wesentlicher Teil dieser Entwicklung. Was sie so attraktiv macht: „Die Lasten müssen nicht mehr alle in den Meeresgrund abgeleitet werden, sondern die Plattformen lassen sich durch Hydrodynamik, Ballast und Vertäuungssysteme stabilisieren“, sagt Po Wen Cheng, Professor für Windenergie an der Uni Stuttgart. „Das macht die schwimmenden Fundamente bei wachsender Anlagengröße und Wassertiefe gegenüber festen Fundamenten immer günstiger.“

Seit rund zehn Jahren werden schwimmende Windturbinen getestet. Aktuell gibt es weltweit rund 50 Projekte mit insgesamt rund 85 MW. Bis zum Ende des Jahrzehnts könnten es laut Global Offshore Wind Report weltweit rund 6,2 GW sein. Führend dabei ist Europa. Kein Wunder, meint Kimon Argyriadis vom Beratungsunternehmen DNV GL: „Europas Westküste und das Mittelmeer sind tiefe Gewässer mit guten Windbedingungen, nahe an großen Verbrauchern.“

Die Turbinen selbst unterscheiden sich nur marginal von solchen mit festem Fundament. Meist wird lediglich die Anlagensteuerung modifiziert. Bei den Türmen und Schwimmern gibt es hingegen eine Vielzahl von Lösungen. Hier greift man hauptsächlich auf Erfahrungen aus dem Öl- und Gasbereich zurück. Knackpunkt scheint vor allem noch die Wartung zu sein. Wie gelangen Techniker von schwankenden Schiffen auf wankende Turbinen? Wie und wo sollen tonnenschwere Flügel oder Generatoren getauscht werden, auf See oder im Hafen? „Ich habe noch keine allgemeingültige Antwort gesehen“, sagt Argyriadis.

Noch ist die Schwimmwindkraft rund doppelt so teuer wie gewöhnliche Offshore-Anlagen. Doch das wird sich ändern. Denn während bei den fest installierten Offshore-Windrädern das Kostensenkungspotenzial nahezu ausgeschöpft ist – aktuell kostet die Megawattstunde rund 65 Euro – haben die Schwimmer die Preiskur erst noch vor sich. Bis 2030 sollen die Kosten auf 40 bis 60 Euro je Megawattstunde sinken, prognostiziert der Branchenverband WindEurope.

Eine besonders innovative Maschine hat das Rendsburger Unternehmen Aerodyn konstruiert. Nezzy2 besteht aus zwei Windrädern, deren Masten V-förmig auseinanderstehen. Die Leistung beträgt zusammen 15 MW.

Die beiden Rotoren rotieren gegenläufig und werden so gesteuert, dass sie sich nicht gegenseitig den Wind wegnehmen. Ein Prototyp im Maßstab 1:10 wurde vergangenen Herbst auf dem Greifswalder Bodden getestet. Nun soll eine Anlage in Originalgröße in China errichtet werden. (grh)