Windows 8 Apps benötigen neue Windows Runtime

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Vieles in der Windows Runtime erinnert an Silverlight: die Auswahl der Klassen, der eingeschränkte Ressourcenzugriff und die Verbreitung. Aber anders als bisher basiert XAML hier nicht auf Managed Code, sondern auf Native Code und hat damit das Potenzial, viel schneller als Silverlight und WPF zu sein. Außerdem wird HTML als Alternative zu XAML und JavaScript sowie C/C++ als Alternative zu C# und Visual Basic unterstützt. Das alles ist positiv zu verbuchen.

Allerdings lässt sich die neue Windows-Runtime-Bibliothek auch durchaus kritisch sehen. Microsoft ändert einmal mehr bereits etablierte Programmierschnittstellen und schafft eine dritte, nicht ganz kompatible Variante von XAML. Der Konzern hat leider völlig offen gelassen, warum es diese Änderungen in der Programmierschnittstelle gibt und warum überhaupt eine neue Bibliothek geschaffen wurde. Dass man nun alles im Untergrund in nativen Code implementiert, ist keine Begründung für eine Änderung der Schnittstelle nach oben. Allenfalls die Fälle der Einführung asynchroner Methoden könnten eine API-Änderung rechtfertigen.

Das ist schon die dritte Kehrtwende bei Windows-Anwendungen in den letzten zehn Jahren. 2002 wurde Windows Forms eingeführt, 2006 die Windows Presentation Foundation, jetzt die WinRT. Dabei haben gerade viele Unternehmen erst begonnen, ihre Windows-Anwendungen auf .NET umzustellen. Andere kürzlich von Windows Forms auf WPF oder Silverlight. Selbst wenn der Umstellungsaufwand von WPF/Silverlight zu WinRT weitaus geringer ist als von Windows Forms zu WPF, wird dennoch wieder ein Umstellungsaufwand für den bestehenden Programmcode und Schulungsaufwand für die Entwickler entstehen. Das wird viele Entscheider und Entwickler stark verärgern. Die Neuausrichtung bestärkt Zweifler an Microsoft darin, dass die Redmonder ständig die Richtung ändern – zu Lasten der Unternehmen, die Microsofts Techniken in der Softwareentwicklung einsetzen.

Es gilt aber auch, sich zu erinnern, dass Microsoft 2004 bei der Erstvorstellung von Longhorn (später Windows Vista und Windows Server 2008) schon einmal eine neue Bibliothek vorstellte, die eine neue universelle Programmierschnittstelle für Windows als Ablösung für die veraltete Windows-32-API darstellte: Windows Framework (WinFX). Mit WinFX und einer .NET-Windows-Oberfläche ist Microsoft damals gescheitert. In Windows Vista war mit Ausnahme des Media-Centers kein einziger Teil in .NET geschrieben. Auch in Windows 7 gibt es darüber hinaus nur kleinere .NET-Werkzeuge wie die PowerShell.

Neben der Frage, ob sich die Softwareentwickler für WinRT begeistern können, steht und fällt der Erfolg von WinRT natürlich damit, ob Konsumenten überhaupt die neue Metro-Oberfläche annehmen werden. Man kann sich sicherlich vorstellen, dass in Zukunft Tablets mit Windows-Betriebssystem besser über die Theke gehen als bisher. Aber werden auch viele Konsumenten sich ein neues Betriebssystem für ihren PC kaufen, nachdem doch jetzt alle gerade mit Windows 7 zufrieden sind?

Auch ist zweifelhaft, ob sich typische Geschäftsanwendungen komplett in Metro abbilden lassen. Auf den ersten Blick wird man eher vermuten, dass Geschäftsanwendungen weiterhin auf dem klassischen Desktop laufen (und daher in .NET oder C++ erstellt werden) und nur eine kleine zusätzliche Windows App für wenige ausgewählten Informationen und Funktionen im Metro-Stil als Zusatz angeboten wird.

Es gibt also durchaus berechtigte Zweifel daran, dass die neue Windows Runtime in der derzeitigen Form ein Erfolg werden wird. Microsoft hat in der Vergangenheit schon mehrfach gezeigt, dass man das Feedback der Entwicklergemeinde ernst nimmt und nach einer Erstvorstellung noch deutliche Strategieänderungen vornimmt. Neben WinFX erinnert man sich der Autor dieses Beitrags da gut an ObjectSpaces, WinFS und vor allem MyServices alias Hailstorm.

Dr. Holger Schwichtenberg
leitet das Expertennetzwerk www.IT-Visions.de, das Beratung, Schulungen und Softwareentwicklung im .NET-Umfeld anbietet. Er hält Vorträge auf Fachkonferenzen und ist Autor zahlreicher Fachbücher. (ane)