WirVsVirus: Beatmungsgerät im Eigenbau

Helfer gesucht: Maker entwickeln seit dem #WirVsVirus-Hackathon ein Beatmungsgerät, das man mit einfachen Mitteln nachbauen können soll.

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WirVsVirus: Beatmungsgerät im Eigenbau
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Sebastian Müller
  • Guido Burger
Inhaltsverzeichnis

Wie kann man mit einfachen Mitteln ein Beatmungsgerät bauen? Das versucht derzeit eine Gruppe von Makern rund um Guido Burger herauszufinden. Angesichts der COVID-19 Pandemie werden medizinische Produkt wie Masken, Schutzkleidung, Beatmungsmaschinen und passendes Zubehör in hohen Stückzahlen benötigt. Zur Zeit fehlt es vor allem an Beatmungsgeräten. Warum nicht medizinische Geräte mithilfe von 3D-Druckern herstellen?

“Wir haben uns über den #WirVsVirus Hackathon der Bundesregierung am letzten Wochenende zum Thema “DIY-Beatmungsgerät” gefunden. Das Team besteht aus Fachleuten verschiedener Richtungen, wie Rettungswesen, Medizintechnik, Makern*innen, Programmierern*innen, Grafikdesignern*innen und aus Studierenden. Alle haben das Ziel, mit der Entwicklung eines Beatmungsgeräts Menschen in Not zu helfen”, erklärt Benedikt Schmitt, der auch Teil des Teams ist. Über 40.000 Teilnehmende haben während des Hackathons in 48 Stunden an über 1.500 Projekten gegen den COVID-19 Virus in Teams gearbeitet.

“Jeder im Team DIY-Beatmungsgerät hat sich mit viel Leidenschaft dafür eingesetzt, das Unmachbare machbar zu machen – das ist Maker-Spirit pur!”, so Schmitt weiter. Auch für die Maker Community sei so ein Projekt wichtig – stünde man doch oft im Verdacht, zwar schöne, aber letztlich unnütze Dinge herzustellen. Wichtig sei den Makern in der Gruppe, dass verantwortungsvoll und bedacht mit ihren Konstruktionen umgegangen werde. “Wenn diese Produkte zum Einsatz kommen, dann nur unter fachgerechter Aufsicht mit Training und in einem entsprechendem Umfeld. Man sollte damit nicht zuhause alleine experimentieren!”, so Gerlinde Michel.

Videokurs: Blender für Maker

Im Make-Videokurs zeigt der bekannte Buchautor und Blender-Tutor Carsten Wartmann anhand verschiedener kleiner Maker-Projekte, wie man das Open-Source-3D-Softwarepaket Blender für CAD-Aufgaben wie das Konstruieren eigener Vorlagen etwa für den 3D-Druck oder das CNC-Fräsen produktiv nutzen kann.

Nach intensiven Gesprächen mit Experten aus der Medizintechnik und dem Rettungsdienst definierte das Team ihr DIY-Beatmungsgerät: Wir versuchen, aus im Handel gut verfügbaren Teilen und einer vom Team weiterentwickelten Mechanik zur automatischen Kompression des Beutels – auf der Basis des Projektes Open Source Ventilator (OSV) – sowie einer einfachen Sensorik und einer Zeit/Volumen Steuerung zur Atmungsunterstützung ein Gerät zur Beatmung zu konstruieren. Die nötigen Teile sind zum Beispiel Beatmungsmasken und ein manueller Beatmungsbeutel (sogenannte Ambu-Beutel). Eine Abdeckung soll zur verbesserten Sauberkeit und Sicherheit dienen.

Blockschaltbild

(Bild: Bastian Neumann)

“Jeder soll es nachbauen können – die Daten sind frei zugänglich und die Elektronikkomponenten weltweit kostengünstig und in hohen Stückzahlen verfügbar. Die mechanischen Teile kann man traditionell oder mit 3D-Druck anfertigen”, sagt Gerlinde Michel, Medizintechnikerin.

Zutatenliste mit Zielkosten von unter 300€
  • Rahmen aus 3D-Druck (GitHub)
  • Gehäuse aus Plexiglas oder besser PE (GitHub)
  • Schrittmotor mit Aufnehmer zum Antrieb eines Gurtes
  • Beatmungsbeutel mit O2 Anschluss (Medizinprodukt, ca. 15€)
  • Atemluftfilter (wichtig!), Atemschlauch und Maske (Medizinprodukt, ca. 10€)
  • IoT Octopus (oder ESP8266) mit Arduino Bootloader
  • Sensor BME680 zur Atempuls Überwachung (eCO2, VOC, Humidity)
  • Encoder für die Schrittmotorenüberwachung
  • Encoder für die Parametereinstellung, wichtig mit “Drück”-Funktion
  • Adafruit Featherwing Motor Treiber zur Ansteuerung des Schrittmotors

Optional:

  • LiPO Akku mit Ladeschaltung zur gepufferten Stromversorgung
  • Sparkfun SPO2 Sensor zur Messung des Blutsauerstoffgehaltes und Herzfrequenz
  • Luftmassesensoren zur Messung des Luftvolumens für den Einatem- und den Ausatem-Zyklus

Der Ambu-Beutel, nach der Firma benannt, die in den 1950er Jahren dieses Gerät erfunden hat, ist ein handelsüblicher Beatmungsbeutel. Diese sind sowohl als Einmalprodukt als auch in mehrfach verwendbaren Versionen erhältlich. Je nach Materialeigenschaften könnten die Einmalprodukte auch limitiert aufbereitet und wiederverwendet werden. Sie sind weltweit in ausreichender Zahl vorhanden.

Das händische Zusammenpressen zum Erzeugen des notwendigen Luftdrucks wird hier von einem Schrittmotor ausgeführt, welcher über ein Band die Luft aus dem Beutel in die Lungenflügel drückt. Dieser Beutel wird durch ein Programm so angesteuert, dass eine regelmäßige, unterstützende Beatmung erfolgen kann. Alle weiteren Komponenten wie Schläuche, Filter für die Atemluft und die Atemmaske sind medizinische Produkte.

3D-Modell basierend auf einem Open-Source-Vorschlag

(Bild: Jonas Ohnemus)

Dabei ist die Herausforderung, die Risiken der mechanischen Beatmung soweit zu kontrollieren, dass keine zusätzlichen Schäden am Patienten entstehen. Ist etwa der Luftdruck zu hoch, kann der Lungenflügel reißen, ein sogenannter Pneumothorax entsteht. Auch die Lungenbläschen (Alveolen) können durch Überdruck oder zu rasche Druckveränderungen geschädigt werden.

Ist das Beatmungsgerät nicht sauber, besteht die Gefahr, dass dadurch weitere Keime tief in die Lunge eingetragen werden. Daneben sorgt auch eine längere Beatmung für Veränderungen im Körper. Er gewöhnt sich daran, dass er das nicht mehr selber machen muß. Der eigene Atemantrieb muss in der Folge wieder mühsam erlernt werden.

Basierend auf dem IoT Octopus, der speziell für Hackathons mit Schüler*Innen von Guido Burger entwickelt wurde, hat das Team eine prototypische Steuerung entwickelt. Hierbei kam die Arduino IDE und die grafischen Erweiterung von Ardublock mit Blöcken der IoT-Werkstatt zum Einsatz. Im späteren Entwicklungsprozess werden die Blöcke durch ein C++ Programm ersetzt, wobei die vom IoT-Ardublock generierten Patterns als Ausgangsbasis dienen.

Aber zunächst ein paar Grundlagen über die Atmung: Ein Erwachsener atmet zwischen 12 und 18 mal pro Minute. Das Lungenvolumen liegt bei circa sechs Litern, während der Luftaustausch pro Atemzug bei nur etwa einem halben Liter liegt. Es wird also bei jedem Atemzug nur etwa ein halber Liter Luft ausgetauscht. Hierbei handelt es sich um Richtwerte. Das tatsächliche Lungenvolumen hängt vom Body-Mass-Index und der Größe jedes einzelnen ab.

Braucht der Mensch nun mehr Sauerstoff, etwa weil er sich anstrengt, dann atmet er schneller und tiefer. Das gleiche macht der Körper, wenn nur noch Teile der Lunge für den Gasaustausch zur Verfügung stehen, weil etwa die Lungenbläschen kaputt sind, oder Wasser in der Lunge ist. In diesem Fall kann es sinnvoll sein, Unterstützung in Form von Sauerstoff oder einem zusätzlichen Druck zur Verfügung zu stellen.

Dabei gibt es unterschiedliche Methoden, einen Menschen künstlich zu beatmen. Die technisch einfachste Methode ist es, die eigene Atmung auszuschalten, etwa durch ein Narkosemittel, um dem Patienten dann einen Schlauch in die Luftröhre zu legen (Intubation), um alle paar Sekunden ein bestimmtes Volumen Luft in die Lunge zu blasen. Das kann die Menschheit bereits seit über hundert Jahren. Sehr einfache Beatmungsgeräte waren früher rein mechanisch. Allerdings ist diese Form der Beatmung langfristig auch schädlich.

Daher haben Intensivmediziner und Forscher die sogenannte CPAP (continuous positive airway pressure) Beatmung entwickelt. Dabei erkennt das Gerät, ob der Patient selbst atmen will und unterstützt die eigene Atmung, indem es dann Luft in die Lunge drückt. Gleichzeitig sorgt ein Druckventil dafür, dass immer etwas mehr Druck auf der Lunge bleibt, als es bei der natürlichen Atmung der Fall ist, um auch bisher nicht genutzte Lungenteile gut zu belüften.

Diese Steuerung nach dem CPAP Standard ist ziemlich aufwändig. Der Atemimpuls wird erkannt, um ein kontrolliertes Luftvolumen in die Lunge des Patienten zuzuführen und dieses auch wieder kontrolliert künstlich auszuatmen. Bei Bedarf kann eine genau dosierte Sauerstoffanreicherung eingestellt werden. Diese müssen auf den Zustand des Patienten (Alter, Geschlecht, Gewicht, Fitness etc.) und seinen Gesundheitszustand (einseitiger oder zweiseitiger Befall der Lunge) angepasst werden.

Erster Entwurf - Aktuelle Version auf GitHub

(Bild: Guido Burger)

Erster Entwurf – Check für Alarmierung

(Bild: Guido Burger)

Erster Entwurf - Sensoren einlesen, SPO2 simuliert

(Bild: Guido Burger)

Erster Entwurf – Bedieninterface auf dem Smartphone

(Bild: Guido Burger)

Konzept zur Überwachung von mehreren Betten

(Bild: Guido Burger)

Die Konstruktion von Beatmungsgeräten ist also kompliziert. Hersteller haben oft jahrzehntelange Erfahrungen und Expertise in Software- und Hardware-Entwicklung. “Wir sind für jede Hilfe dankbar!”, sagt Simon Gölzhäuser. “Wir suchen Menschen, die bei der Zertifizierung helfen können, Intensivmediziner und Menschen mit Ahnung von Beatmung und Beatmungsgeräten”.

Die experimentelle Verifikation und umfangreiche Tests des Beatmungsgeräts sollen mithilfe des Lungensimulators der Technischen Hochschule Ulm durchgeführt werden. Als Ergänzung zur Luftmengensteuerung der Atemluft über den Schrittmotor (kontrolliert mit einem Encoder) arbeitet das Team um Matthias Weber gerade an einem günstigen Luftmengensensor. Auch dazu entsteht ein Open Hardware Projekt.

Make 1/20

Das Team ist unter Hochdruck dabei, erste Prototypen zu bauen und die ersten Tests im Labor zu ermöglichen. “Wir möchten gerne eine Diskussion starten: Wo macht es Sinn, Medizintechnik insbesondere in Krisen durch Maker- Ansätze schnell vielen Menschen zur Verfügung zu stellen? Das kann ein 3D-gedrucktes Ersatzteil bis hin zu einer unterstützenden Maschine sein”, sagt Simon Gölzhäuser.

Derzeit laufen eine Reihe von Wettbewerben durch staatliche Organisationen, die den Einsatz von 3D-Druck bei explizit nicht zertifizierten Maschinen erproben. Ein Beispiel ist die “Trigger”- basierte Steuerung. Hier wird mit dem Bosch BME680 Luftsensor gearbeitet um die Atemkurve zu ermitteln, also auch den CO2-Gehalt in der Ausatemluft.

Erster Prototyp für den Luftmengensensor – Entwurf

(Bild: Matthias Weber)

Erster Prototyp für den Luftmengensensor

(Bild: Matthias Weber)

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Mehr Informationen und aktuelle Entwicklung gibt es auf unserer DIY-Beatmungsgerät-Projektseite, im #WirvsVirusHack Pitch - Video und im Software Repository auf GitHub. Entwicklungstools für das Rapid Prototyping gibt es in der IoT Werkstatt.

Ausgangspunkt der Entwicklung war ein Projekt der Rice University. (rehu)