Zahlen, bitte! 10 Sekunden bis zum Start – Der Countdown läuft

Der 10-Sekunden-Countdown bis zum Raketenstart ist unverzichtbar für die Raumfahrt. Die Idee hatte Fritz Lang, um seinem Stummfilm mehr Dramatik zu verleihen.

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Das Raumfahrtjahr 2024 wird spannend, sofern alles so eintritt wie geplant: Mit Ariane 6 will die europäische Raumfahrtagentur ESA wieder eine eigene Schwerlastrakete in Betrieb nehmen und mit Artemis 2 werden für die NASA erstmals seit 1972 wieder Menschen zum Mond geschickt, wenn auch nur in eine Umlaufbahn. Jeder dieser Starts wird mit einem Countdown begleitet. Doch woher kommt er? Wir erlaubten uns dazu ein Zahlen, bitte! – Classic von 2019 zu überarbeiten und neu zu veröffentlichen.

Ob an Silvester, zum Reinfeiern an Geburtstagen oder vor besonderen Anlässen: Um die Spannung aufzubauen und in die Höhe zu treiben ist der Countdown, also das Zählen der Sekunden bis zu einem besonderen Ereignis, ein fester Bestandteil der Gegenwartskultur. Seine Hauptaufgabe bleibt aber in der Raumfahrt, die einzelnen Phasen einer Weltraummission sekundengenau durchzutakten. Ursprung des Raumfahrtcountdowns ist allerdings ein Stummfilm: "Die Frau im Mond" von Fritz Lang.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

In diesem Film, der aufwendig in den UFA-Studios in Potsdam gedreht wurde und am 15. Oktober 1929 Premiere hatte, zelebrierte Lang den Start einer Mondrakete erstmals durch einen Countdown. Dabei waren weniger die ernsthaften Belange eines Raketenstarts Maßstab für die Idee, sondern dramaturgische Überlegungen, um einen Spannungsaufbau zu erzeugen, da in einem Stummfilm ja der Filmton als unterstützendes Element fehlt.

Fritz Lang (rechts) beim Dreh zum "die Frau im Mond".

(Bild: Bundesarchiv, Bild 102-08538, CC BY-SA 3.0)

Regisseur Lang meinte zum Countdown: "Als ich das Abheben der Rakete drehte, sagte ich: Wenn ich eins, zwei, drei, vier, zehn, fünfzig, hundert zähle, weiß das Publikum nicht, wann es losgeht. Aber wenn ich rückwärts zähle: Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins, NULL! – dann verstehen sie.“

Beim Dreh machte er sich Expertenwissen zunutze: Raumfahrtpionier Hermann Oberth sowie Rudolf Nebel unterstützten und berieten Lang insbesondere in physikalischen Aspekten des Films und beim Bau der Film-Rakete. Die Darstellung des Raumfahrzeugs war so realistisch, dass sie der späteren V2-Rakete der Nazis in vielen Aspekten ähnelte, die Oberth im Zweiten Weltkrieg zusammen mit Wernher von Braun fertig entwickelte. Möglicherweise war es diese realistische Darstellung, die die Nazis dazu brachte, 1937 den Film zu verbieten, um keine Rückschlüsse auf die Raketenforschung zu geben.

Alleiniger und erster Erfinder des Countdowns war Lang aber nicht. Bereits in Kapitel 19 von Jule Vernes Buch "Der Schuss am Kilimandscharo" oder auch "Kein Durcheinander" wird die Zeit bis zu einem Ereignis zurück gezählt. Hier ist es allerdings ein Schuss mit einer gewaltigen Kanone.

Vom Countdown bis 3 Minuten nach dem Start - Die Checks und Anweisungen laut Apollo 11 - Flugplan.

(Bild: NASA)

Wernher von Braun war später der Konstrukteur der Saturn-V-Rakete des Apollo-Programms. Und hier bekam der Countdown eine zentrale Bedeutung. Durch das Planen eines Zeitablaufs um einen festgelegten Startpunkt konnte das Apollo-Team hochkomplexe Startvorbereitungen, Startabläufe sowie Steuer- und Überwachungsschritte nach dem Start sekundengenau zeitlich aufeinander abstimmen, ohne dass es bei einem möglichen Startabbruch oder einer Verschiebung des Starts zu Ablaufschwierigkeiten gekommen wäre.

Und das gilt in der Weltraumfahrt bis heute, auch wenn die Countdown-Abläufe mit den Raumfahrtorganisationen im Detail variieren können. So steht etwa bei der NASA die 0 bei Artemis für den Lift off, das Abheben der Rakete, während bei der ESA während der 0 erst das Haupttriebwerk zündete und die Ariane 5 erst einige Sekunden später abhob.

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Als "the father of the rocket science" wurde Lang zu Ehren seiner Idee 1964 von der NASA zu einem Space-Science-Seminar eingeladen. Und wahrscheinlich nicht ganz zufällig hatte "Die Frau im Mond" seine deutsche Fernsehpremiere am 12. und 13. Juli 1969 im ZDF, wenige Tage vor Beginn des Countdowns zu Apollo 11.

In der Popkultur nahm dadurch der Countdown auch seinen festen Platz ein. Wenn beispielsweise die "Raumpatrouille Orion" den Frogs einen Besuch abstattet, darf die verzerrte Countdownstimme natürlich nicht fehlen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist darin besonders vernarrt: Der DLR-Newsletter nennt sich Countdown. Mit Alexander Gersts Start zur zweiten ISS-Mission starteten sie einen ganz besonderen Countdown: Eine Zeitkapsel, die mit Gerst die Erde umrundet hat, soll genau 50 Jahre später im Haus der Geschichte in Bonn wieder geöffnet werden. Der Countdown dazu ist auf der DLR-Website zu sehen.

Und nicht nur in Fritz Langs Klassiker, sondern auch in unzähligen weiteren Filmen sind Countdowns ein dramaturgisches Element. Einer der eindrücklichsten ist sicherlich in Wargames zu sehen: Hier handelt der Countdown nicht von einem Raketenstart, sondern von scheinbaren Raketeneinschlägen im Kalten Krieg, die beinahe einen Atomkrieg auslösen, die allerdings nur im Speicher des verrückt spielenden NORAD-Computers existieren.

Auch in der Musik ist der Countdown ein wichtiges Stilelement. Der wohl meist besungene Astronaut darf natürlich nicht fehlen: Major Tom, den David Bowie einst 1969 in den seltsamen Weltraum brachte, der 1983 laut Peter Schilling trotz Countdown noch Fragen hatte und den der kanadische ISS-Kommandant Chris Hadfield 2013 in einer Sojuz-Raumkapsel zurück zur Erde schickte. Von Bowies Meisterwerk war das Stück the Final Countdown der schwedischen Hard-Rock-Band Europe ebenfalls inspiriert, welcher Anfang 1986 veröffentlicht wurde und zum größten Hit avancierte. Eigentlich war der Song nur als Eröffnungsstück für Konzerte geplant, zumal die Band ihn nicht mochte und er mit über 6 Minuten eigentlich zu lang fürs Radio war. Sie waren völlig überrascht, dass er ein Welterfolg wurde.

Dass nicht jede mit Countdown beworbene Ankündigung glückt, musste die US-amerikanische Metalband Metallica erfahren. Der nicht weiter erklärte Countdown auf der eigens dafür geschalteten Website Metallica.xx brachte die Fans weltweit zum Frohlocken: Welttournee? Neues Album? Die Erwartungen wurden aber enttäuscht: Lediglich fünf Festivalauftritte in den USA wurden angekündigt.

Auch wenn der Countdown dramaturgisch nicht für jede Situation geeignet ist – Für die Raumfahrt bleibt er ein unverzichtbares Mittel, um eine Weltraummission bis auf die Sekunde genau durchzuplanen.

(mawi)