Zahlen, bitte! 23478120 Zollbürger förderten Deutschlands Industialisierung
Der deutsche Zollverein vereinte nicht nur die Kleinstaaten zu einem gemeinsamen Markt, sondern führte auch erste Volkszählungen in den Mitgliedsstaaten durch.
Vor 190 Jahren begann die erste statistische Großzählung auf deutschem Boden. Am 3. Dezember 1834 startete der Deutsche Zollverein die Ermittlung der "Zollabrechnungsbevölkerung". Jedes Land des Zollvereins musste seine Bevölkerungszahl veröffentlichen, weil sie als Schlüssel zur Verteilung der Einnahmen aus der Zollunion diente. Der dritte Dezember wurde als Fixtag vom Zollparlament festgelegt, da man – christlich gesittet – erwartete, dass vor Weihnachten die meisten Bürgerinnen und Bürger zu Hause waren.
Die erste Zählung des Zollvereins ermittelte eine Bevölkerung von 23,5 Millionen Menschen, die in den 18 Staaten des Zollvereins lebten. Die Zählung dauerte vier Wochen und wurde danach von 1834 bis 1867 alle drei Jahre durchgeführt. 1870 verhinderte der Deutsch-Französische Krieg die Zählung, danach entstand das Deutsche Reich.
Die erste Großzählung war notwendig geworden, weil am 1. Januar 1834 die Zollvereinsverträge in Kraft getreten waren. Treibende Kraft bei diesem großen ökonomischen Vereinheitlichungsprojekt war Preußen, das versuchte, seine östlichen Provinzen mit der Rheinprovinz zu verbinden. Bereits 1829 hatte Preußen einen Zollvertrag mit dem Bayrisch-Württembergischen Zollverein abgeschlossen, der den zollfreien Verkehr zum Ziel hatte.
Abgabenfreiheit als Ziel
Danach ersuchte Preußen um die Erlaubnis, durch Sachsen-Coburg und Sachsen-Coburg-Gotha eigene Straßen zu bauen, auf denen der Verkehr abgabenfrei fahren konnte. Als das gelang, konnte Preußen durch den Anschluss von Hessen-Kassel eine wirtschaftliche Einheit bilden. Das preußische Staatsstraßennetz wuchs von 3261 km im Jahre 1816 auf 6392 km im Jahre 1830 und schließlich im Zollverein auf 12789 km anno 1850.
In den Zollvereinsverträgen setzte sich der preußische Zolltarif durch, dessen Details alle zwei Jahre auf einer "Generalzollkonferenz" verhandelt wurden. Dieser kannte Einfuhr- und Ausfuhrzölle auf alle Waren ohne Rücksicht auf Herkunft und Ziel der Waren, wobei Grundnahrungsmittel und Rohstoffe frei waren. Hohe Zölle wurden auf Kolonialwaren und Luxusgüter erhoben, ansonsten lagen die Tarife unter denen der Nachbarländer Frankreich und Österreich. Von der Verteilung der Zolleinnahmen auf Basis der Bevölkerungsdaten profitierten zunächst die kleineren Staaten.
Bevölkerungsentwicklung laut Volkszählung jeweils im Dezember
1834: 23 478 120
1837: 26 008 973
1840: 27 142 116
1843: 28 498 136
1846: 29 461 381
1849: 29 800 063
1852: 30 492 792
1855: 32 721 344
1858: 33 542 352
1861: 34 670 277
1864: 35 886 302
1867: a) 37 512 005 b) 37 426 291 (Verschiedene Zählungsarten Norddeutscher Bund und Zollverein)
1870: Unterbrechung durch Deutsch-Französischen Krieg
1871: 39 127 976
1875: 42 337 974
1880: 44 766 183
1885: 46 314 494
Quelle: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 1887, Seite 13 [PDF]
Die erste Zählung der "Zollberechnungsbevölkerung" war umständlich und zog sich zum Ärger der Statistiker über vier Wochen hin: In den meisten Staaten wurde die Zählung von der Polizei durchgeführt, die sich Zeit ließ. Überdies gab es Unstimmigkeiten unter den Fachleuten, etwa in der Frage, ob Kinder unter 14 Jahren gezählt werden müssten. Erst bei der dritten Zählung im Jahre 1840 schaffte man es, die Daten an drei aufeinanderfolgenden Tagen von den "Hausvorständen" einzusammeln. Der nächste Fortschritt kam 1843, als Zähler von Haus zu Haus zogen und die Daten vor Ort ermitteln.
Erfasste Bevölkerung steigt mit Zollvereins-Expansion
Es dauerte weitere 18 Jahre, bis es 1858 gelang, nur am Stichtag zum 3. Dezember die komplette Zählung durchzuführen und die Zahl von 33.542.352 Zollbürgern zu ermitteln. Zu diesem Zeitpunkt waren das Herzogtum Braunschweig, das Königreich Hannover und die Großherzogtümer Oldenburg, Schaumburg-Lippe und Luxemburg dem Zollverein beigetreten.
Eine Zählung im modernen Sinne, bei der die Zähler auf einem Fragebogen eine Vielzahl von Daten erhoben (etwa Konfession, Alter oder Geschlecht) gelang 1867, als Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz dem Zollverein beigetreten waren. In dieser letzten Zählung für die Verteilung der Zollgebühren kam man auf 37.512.005 Zollbürger. Der Freihandels-Zusammenschluss war damit nach Großbritannien und den USA die drittgrößte Wirtschaftszone.
Der Schritt, die Daten auf Zählkarten zu übertragen, um mit ihnen unterschiedliche Fragen zur Bevölkerungsstatistik beantworten zu können, wurde an anderen Orten vorangetrieben: am 3. Dezember 1896 gründete der bei der US-Zensusbehörde angestellte Hermann Hollerith in den USA die Tabulating Machine Company, um seine in den Jahren 1886–1889 erfundene elektromechanische Tabelliermaschine zu vermarkten.
Zollverein schafft innerdeutschen Binnenmarkt
In seinem Standardwerk über den deutschen Zollverein erklärt der britische Historiker und Friedrich Engels-Biograph William Otto Henderson, wie die Gründung des Zollvereins und der Bau von Eisenbahnverbindungen die Industrialisierung in den deutschen Staaten förderten. Auch die Kommunikationsleistungen des preußischen Staates zählten dazu. Der Zollverein beendete die ökonomische Kleinstaaterei, nicht die politische. In seinem Gedicht "Deutschland. Ein Wintermärchen" schrieb Heinrich Heine über eine Reise nach Deutschland im Jahre 1843 und überließ einem Mitreisenden beim Grenzübertritt nach Preußen das Wort:
"Der Zollverein", bemerkte er,
"Wird unser Volkstum begründen,
Er wird das zersplitterte Vaterland
Zu einem Ganzen verbinden.
Er gibt die äußere Einheit uns,
Die sogenannt materielle;
Die geistige Einheit gibt uns die Zensur,
Die wahrhaft ideelle."
Das Volkszählungen heute kritisch beäugt werden und in den 1980er sogar Proteststürme verursachten, hat seine Gründe im Dritten Reich. Die Erfassung der Bevölkerung vereinfachte das systematische, brutale Unrecht gegen Minderheiten.
(mawi)