Zahlen, bitte! 3,14159 Shades of Pi

Am Pi-Day würdigt Zahlen, bitte! eine irrationale, aber dennoch kreisrunde Zahl: Ein paar Nerdfakten zu Pi, einer der Lieblinge der Mathematik.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Die Mathematiker feiern heute wieder einmal den Pi-Day. Möglich macht dies das US-amerikanische Datumsformat, denn der 14. März wird dort 3.14 geschrieben. Da auch die Zeit in den USA etwas anders notiert wird, beginnt die Feier um 1:59 p. m., womit Pi mit 3,14159 schon beachtlich genau notiert ist. Doch Pi hat abseits der mathematischen Relevanz als Zahl noch ganz andere Geschichten zu bieten.

Rein rechnerisch war die Kreiszahl π schon zweimal bei Zahlen, bitte! zu Gast. Einmal ging es um ihre mathematischen Eigenschaften, das andere Mal um die Arbeiten von Gottfried Wilhelm Leibniz zu dieser sagenhaften Zahl. Hier soll es um die vielen Geschichten gehen, die in Pi noch so stecken. Denn Pi ist nicht nur genial, sondern auch der Geburtstag eines Genies: Albert Einstein wurde am Pi-Day 1879 geboren.

Bisher sind mittlerweile über 200 Millionen Nachkommastellen bekannt, die keinerlei nachvollziehbares Muster aufweisen.

Ein ebenso großes Genie war Archimedes von Syrakus, der sich Pi mit dem ältesten numerischen Verfahren näherte. Archimedes' Beschäftigung mit der Kreiszahl ging nach Darstellung von Plutarch im Jahre 212 v. Chr. tödlich aus. Als römische Soldaten in die Stadt eindrangen, störten sie ihn beim Berechnen von Kreisen. "Noli turbare circulos meos" (Störe meine Kreise nicht) soll er gesagt haben, bevor er erschlagen wurde. Das soll sein Biograph Heracleides aufgezeichnet haben, doch dessen Buch ist verschollen, der Wortlaut mit ziemlicher Sicherheit eine hübsche Erfindung.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

"Eternal God—for whom who ever dare
Seek new expressions, do the circle square,
And thrust into straight corners of poor wit Thee,
who art cornerless and infinite —
I would but bless Thy name, not name Thee now"

Grabstein mit Kreiszahl: Die Nachbildung des Grabsteins von Ludolph van Ceulen (* 28. Januar 1540 in Hildesheim; † 31. Dezember 1610 in Leiden).

(Bild: CC BY-SA 3.0, A.L. Boon - Stichting Pieterskerk Leiden)

Der 1572 geborene Dichter John Donne war sicher nicht der Erste, der sich mit der Frage beschäftigte, ob Pi eine göttliche Zahl ist. Sein Gedicht Divine Poems Upon the Translation of the Psalms by Sir Philip Sidney and the Countess of Pembroke, His Sister gehört zu den Zeiten, als die Mathematik aus ihrem Tiefschlaf erwachte.

30 Jahre lang beschäftigte sich der 1540 in Hildesheim geborene Mathematiker und Fechtmeister Ludolph van Ceulen mit der Methode des Archimedes zu Pi und rechnete Pi auf 35 Dezimalstellen genau aus. Die Zahl soll auf seinem Grabstein gestanden haben, der verschollen ist und durch eine Nachbildung ersetzt wurde. Seine 3,14159265358979323846264338327950288 wurden als "ludolphinische Zahl" bekannt, bevor das Kürzel π populär wurde. Als solche fand sie Eingang in die berühmte "Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers" von d’Alembert und Diderot.

Konnte besser Philosophie als Mathematik: Thomas Hobbes (* 5. April 1588 in Westport, Wiltshire † 4. Dezember 1679 in Hardwick Hall, Derbyshire)

Immer wieder versuchten sich mathematische Dilettanten an der Kreiszahl und glaubten, geniale Wege zur Berechnung gefunden zu haben. Einer der berühmtesten war der Philosoph Thomas Hobbes, der Autor des Leviathan. Er gab 1655 seine Abhandlung De Corpore heraus. Sie enthielt ein Kapitel zur Quadratur des Kreises. Noch während die Schrift im Druck ist, wird Hobbes auf einen Fehler aufmerksam gemacht. Pragmatisch veränderte er schnell die Überschrift des Kapitels "Über eine falsche Hypothese, eine falsche Quadratur". Hastig fügte er dem Kapitel noch zwei weitere, ebenfalls falsche Beweise an. Hobbes Schrift wird von John Wallis auseinandergenommen, dem damals besten britischen Mathematiker. Beide lieferten sich bis zu Hobbes Tod einen erbitterten Disput, im Zuge dessen Hobbes weitere fünf Bücher veröffentlichte, die der Philosoph Otfried Höffe lakonisch so zusammenfasste: "Er war ein lausiger Mathematiker."

Immerhin studierte der junge Gottfried Wilhelm Leibniz, der zunächst ein Fan von Hobbes war, die Auseinandersetzung und gab 1682 wie oben erwähnt eine einflussreiche Abhandlung zur arithmetischen Quadratur des Kreises heraus. Sie sorgte wiederum dafür, dass 1768 der Mathematiker Johann Heinrich Lambert den Beweis veröffentlichen konnte, dass die nunmehr sogenannte Zahl Pi eine irrationale ist.

Ein wirklich bemerkenswerter Dilettant war der amerikanische Arzt Edward Johnston Goodwin. Er behauptete, während einer spiritistischen Sitzung von einem Wesen in der vierten Dimension im Jahre 1882 die Lösung der Quadratur des Kreises bekommen zu haben. Damit nicht genug, denn Goodwin beantragte darum 1897 ein Copyright auf seine falsche übernatürliche Erkenntnis und schlug gleichzeitig seinem US-Bundesstaat Indiana vor, ein Gesetz einzuführen, nachdem seine Lösung in Indiana kostenlos gelehrt werden darf. Ansonsten wollte Goodwin für jede Nutzung von diesem urheberrechtlich geschützten Pi Geld kassieren. Der Mathematiker Clarence Abiathar Waldo war zufällig dabei, als das künftige Gesetz von den Politikern im Senat besprochen wurde. Er setzte alle Hebel in Bewegung, den Unsinn zu beenden.

Simmels Gedankenexperiment mit drei Rädern von 1906.

Der nächste Fachfremde, der sich mit Pi beschäftigte, war der deutsche Philosoph und Soziologe Georg Simmel. Er interessierte sich jedoch nicht die Bohne für den Wert von Pi, sondern nahm die Zahl, um gegen einen anderen Philosophen zu argumentieren: Sein Zeitgenosse Friedrich Nietzsche hatte nämlich die "ewige Wiederkunft des Gleichen" postuliert. Simmel schlug in seiner Vortragsreihe über "Schopenhauer und Nietzsche" 1906 das Gedankenexperiment vor, drei gleich große Räder auf einer Achse zu installieren. Eines sollte mit ganzzahligem Umlauf drehen, das zweite mit doppelter Geschwindigkeit des ersten Rades und das dritte mit der Umdrehungsgeschwindigkeit von 1/π des ersten Rades. Auf allen drei Rädern sollte ein Markierungspunkt angebracht werden, auf das man den vollen Umlauf messen kann. Die Markierungspunkte kommen aufgrund der Inkommensurabilität von ganzen Zahlen und der irrationalen Zahl π nie wieder exakt zur Deckung. Eine Wiederkunft des Gleichen ist also unmöglich. Nietzsche lost!

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Simmels Überlegungen war Nietzsche indes bereits tot. Der Physiker Klaus Reitberger, der Simmels Beweisführung kritisiert, da sie ein abgeschlossenes System voraussetzt, sieht auch Nietzsches ewige Wiederkunft skeptisch: "Zum Unglück Nietzsches sieht es in der Astrophysik momentan aber so aus, als käme es niemals dazu, dass das All sich wieder zusammenzieht. Nach modernsten Erkenntnissen wird sich alles immer weiter ausdehnen und wir kehren nie mehr zum Ausgangspunkt zurück."

Die Rolle von Computern bei der Berechnung von Pi ist bekannt. Inzwischen haben sie so viele Dezimalstellen gefunden, dass das Pi Phone Project von Christopher Poole unter der US-amerikanischen Telefonnummer (253)-243-3116 auf Jahrhunderte hinaus Zahlen aufsagen kann. Niemand anderes als der große Donald Knuth schrieb in seinem Buch über die Kunst des Programmierens, dass die Zahl der bekannten Dezimalstellen in einer Kultur eine direkte Auskunft über ihre Rechenfähigkeiten gibt. Aber es geht auch anders, in weit entfernten Zukünften.

Im Jahre 1967 erschien die Star-Trek-Episode Der Wolf im Schafpelz, eine etwas wirre Krimi-Episode der Serie. In ihr hat es der Serienmörder Jack the Ripper in die Zukunft geschafft und flüchtet, als er entdeckt wird, in einen Computer. Um ihn dort festzusetzen, befiehlt Spock dem Computer, die letzte Stelle von Pi auszurechnen. So zieht Jack the Ripper gegen Pi den Kürzeren.

Wie ansteckend die Beschäftigung mit Pi sein kann, zeigt ein kleines Gedicht von Eugen Roth:

Ein Mensch, der gerne Zahlen lernt,
trifft einen, der von Pi sehr schwärmt,
und hört von ihm, wie rein und klar,
wie schön, phantastisch, wunderbar,
wie herrlich dieses Pi doch sei –
und schon sind der Verehrer zwei.....

Das Arecibo-Teleskop war ein wichtiger Schauplatz des Romans "Contact", in dem auch Pi als Türöffner zum Gottesbeweis einen wichtigen Platz einnimmt. Im gleichnamigen Film mit Jodie Foster fehlt die Pi-Handlung.

(Bild: CC BY-SA 3.0, Kevin McCoy)

Der Astronom und Schriftsteller Carl Sagan war definitiv ein Verehrer von Pi. Im Jahre 1985 veröffentlichte er den Roman Contact, in dem die Wissenschaftlerin Eleanor Arroway (Ellie) beim SETI-Project am Arecibo-Observatorium in Kontakt mit Außerirdischen kommt, die ihr den Bauplan für einen Transporter schickt, mit dem es dann auf die interstellare Reise geht, von Wurmloch zu Wurmloch hüpfend. Ellie lernt einen Außerirdischen namens Ted kennen, der ihr erklärt, dass tief in den Dezimalstellen von Pi eine verschlüsselte Botschaft stecken soll, die auf die Existenz eines Gottes hinweist. Heimgekehrt macht sich Ellie an die Arbeit, diesen Gottesbeweis zu finden. Sie findet schließlich in der Basis 11-Darstellung von Pi einen Kreis von Nullen und Einsen, die nur ein übermächtiger Gott eingefügt haben kann. Contact war ursprünglich ein Drehbuch für den gleichnamigen Film, in dem der Erstkontakt mit Außerirdischen durchgespielt wird. Im Film fehlt übrigens dieser Gottesbeweis durch Pi, der seinerseits Mathematiker wie Science-Fiction Fans zur Frage führte, wo in Pi die Botschaft stehen könnte oder ob selbst ein übermächtiger Gott nicht die Macht hat, so einfach über Pi und die Naturgesetze zu bestimmen.

Als Larry Shaw 1988 am Exploratorium in San Francisco den Pi Day kreierte und zum Prince of Pi ausgerufen wurde, wuchs der kreative Blödsinn rund um Pi. Die Sprache Pilish entstand, in der ein britischer Physiker den hübschen Satz "How I need a drink, alcoholic in nature, after the heavy lectures involving quantum mechanics!" prägte und der Sprachkünstler Mike Keith ein Piem (statt Poem) über das berühmteste Gedicht von Edgar Allen Poe verfasste, Near a Raven.

Der beim FBI arbeitende Wissenschaftler Roger Martz dürfte jedenfalls kein Verehrer von Pi gewesen sein. Martz wurde im Jahr 1995 als Experte für die Analyse von Blutspuren im Mordprozess gegen den Football-Spieler O.J. Simpson zur Echtheit der Blutspuren befragt, die am Tatort gefunden worden waren. Simpsons Verteidiger fragten ihn nach dem Wert von Pi und erhielten eine falsche Antwort. Ein Wissenschaftler, der Pi nicht wenigstens als 3,14159 nennen kann, erschien den Verteidigern unglaubwürdig. Sie lehnten seine Aussage ab. Auch das FBI selbst war damit unzufrieden und kritisierte in einem internen Paper seine Unbeholfenheit (maladroitness) bei der Antwort auf die Pi-Frage.

In jüngster Zeit gibt es einige hübsche Beispiele für Pi wie den Film Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger, in dem der kleine Pi Patel mit einem Tiger genau 227 Tage im Meer herumtreibt. Das entspricht dem Bruch 22/7, mit dem arabische Mathematiker rechneten. Erwähnenswert ist auch das hübsche Gedicht Der Pirat, der von Pi den Wert nicht kennt (PDF-Datei) des russisch-amerikanischen Dichters Eugene Ostashevsky. Unübertroffen aber bleibt das Lob, das Umberto Eco zu Beginn des "Foucaultschen Pendels" für Pi bereit hält: "Die Kugel, frei schwebend am Ende eines langen metallischen Fadens, der hoch in der Wölbung des Chores befestigt war, beschrieb ihre weiten konstanten Schwingungen mit majestätischer Isochronie. Ich wusste -- doch jeder hätte es spüren müssen im Zauber dieses ruhigen Atems – dass die Periode geregelt wurde durch das Verhältnis der Quadratwurzel aus der Länge des Fadens zu jener Zahl π, die, irrational für die irdischen Geister, in göttlicher Ratio unweigerlich den Umfang mit einem Durchmesser eines jeden möglichen Kreises verbindet, dergestalt, dass die Zeit dieses Schweifens einer Kugel von einem Pol zum anderen das Ergebnis einer geheimen Verschwörung der zeitlosesten aller Maße war, der Einheit des Aufhängepunktes, der Zweiheit einer abstrakten Dimension, der Dreizahl von π, des geheimen Vierecks der Wurzel und der Perfektion des Kreises."

(mawi)