Zahlen, bitte! 300 D-Mark für den ersten Datenreisen-Netzzugang

Das Datenklo war ein Selbstbaumodem des Computerclubs CCC: Viel billiger als damalige Post-Geräte, aber illegal. Ein Blick zurück in die Frühzeit des Hackens.

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Von
  • Detlef Borchers
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"Stell dir vor, wir haben eine Regierung und die hört dir zu!" steht stilecht auf dem Tastentelefon, das in einem Glaskasten zusammen mit einer Platine im Heinz Nixdorf MuseumsForum zu Paderborn zu sehen ist. Der Telefonhörer ist abgenommen und beide Ecken stecken in Gummikapseln, die der Sanitärhandel unter dem Namen Spülbeckenverbinder führte. Über dem Schaukasten hängt eine blaue Tafel, auf ihr ist die Kurzfassung der Hackerethik des Chaos Computer Clubs abgedruckt: Mit dem 40 Jahre alten "Datenklo" des Chaos Computer Clubs (CCC) ist die Hackerkultur im Museum angekommen.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Das Datenklo, auch CCC-Modem oder MUPIM ("mein unglaublich prima intelligentes Modem", eine Anspielung an den Btx-Decoder MUPID) war ein erfolgreiches Bastelprojekt in der Frühzeit des Chaos Computer Clubs. Wer um 1983 190 D-Mark zum CCC nach Hamburg schickte, bekam die Bauanleitung (PDF-Datei), eine Euro-Platine, die berühmten "Klomuffen" – die dem Gerät dessen Namen einbrachten – ein Gehäuse und den Modem-Chip AM7910 von AMD, der Rest musste beim örtlichen Elektronikhandel besorgt werden. Laut CCC kostete der Bau eines solchen Modems insgesamt etwa 300 D-Mark.

Wie viele Enthusiasten den kompletten Bausatz bestellten, ist nicht bekannt, nur die Stückzahl von 100 im Auftrag des CCC produzierten Platinen. Da sicher einige besonders motivierte Bastler sich wie heute auch eigene Platinen ätzten, kann man davon ausgehen, dass zwischen 1983 und 1988 mindestens 300 Datenklos gebaut und genutzt wurden. Die Wikipedia nennt die Gesamtzahl von 25.000 Exemplaren – dabei bezieht sich die Zahl in der genannten Originalquelle nur auf die Auflage der Hackerbibel, eine Textsammlung des CCC, indem die Bauanleitung auch abgedruckt war. Im Heinz Nixdorf MuseumsForum kann die Originalplatine und ein Telefon besichtigt werden, wie in der Original-Bauanleitung abgebildet.

Datenklo-Modem, angeschlossen an ein Telefon: Die Verbindung von Akkustik-Kopplern mit dem normalen Telefon war in den 1980er-Jahren eine durchaus normale Konfiguration.

(Bild: Detlef Borchers)

Technisch war das Datenklo ein Modem für den Vollduplex-Betrieb mit 300 oder 1200 Baud, das direkt verbotenerweise an ein Telefon anschließbar war. Ohne technischen Eingriff konnte es als Akustikkoppler über den Telefonhörer mit den besagten Spülbeckenverbindern die Zirptöne senden und empfangen bzw. modulieren und demodulieren. Strafbar war das trotzdem, denn die kleine Bastelei hatte keine FTZ-Nummer der Deutschen Bundespost. FTZ steht dabei für Fernmeldetechnisches Zentralamt, es vergab die Zulassungen für Telekommunikationsgeräte.

Zum Vergleich: ein vom FTZ-zugelassener Akustikkoppler wie der Speedy 1200+ der Firma CTK Systeme kostete damals schlappe 1150 D-Mark und war damit für die meisten jugendlichen Hacker schlicht unbezahlbar. Sie wollten sich dennoch mit all den tollen Sachen der reizvollen "Computerkupplung" befassen, die die Bauanleitung anführte, freilich ohne die erklecklichen Kosten für Telefonate zu erwähnen: "Abfrage von Datenbanken, Terminalbetrieb an Großrechnern, Austausch von Programmen und Texten mit anderen Computerbesitzern, elektronischer Postverkehr mit e-Mailboxen (Bulletin-Board-Systems), Computerkonferenzen."

Wenn man sich vergegenwärtigt, was etwa "Terminalbetrieb an Großrechnern" sein könnte, wird klar, warum über der Datenklo-Installation im Museum die Hackerethik des CCC prangt. Denn so ein unschuldig daherkommender Terminalbetrieb kann auch das Eindringen in fremde Rechnersysteme, das Austauschen von Programmen und das Absaugen von persönlichen Informationen umfassen. Die Hackerethik ist da kurz und bündig: "Mülle nicht in den Daten anderer Leute."

Ob sie noch zeitgemäß ist, ist eine ganz andere Frage. Reinhard Schrutzki, der 1988 die deutsche Fassung der Hackerethik besorgte, hatte schon im Jahre 2010 sein Zweifel, ob sie trägt. Zuletzt gab CCC-Sprecher Frank Rieger im Jahr 2018 auf dem Chaos Communication Congress einen Grundkurs in Sachen Hackerethik. Halten wir uns darum an diese schöne Passage der Hackerethik: "Man kann mit einem Computer Kunst und Schönheit schaffen. Der Computer hat der Musik, Architektur, Malerei und Literatur neue Impulse gegeben. Erstaunlich, was zeitgenössische Musiker alles mit ihren computerisierten Synthesizern, Samplern, Emulatoren und Keyboards machen."

Die CCC-Hackerethik, zu sehen auf einem Schild über dem ausgestellten Datenklo.

(Bild: Detlef Borchers)

Noch komplizierter wird es für Besucher ohne Hintergrundwissen, wenn es um die Frühgeschichte des Hackens geht. Auch sie ist in Paderborn in Auszügen ausgestellt. Vor dem Schaukasten mit dem Datenklo steht am Anfang der dem Thema Hacken gewidmeten neuen Ausstellungsfläche ein Kasten mit Teilen einer Modelleisenbahn in einem Glaskasten. Sie verweisen auf den Tech Model Railroad Club am MIT, dem US-amerikanischen Ursprung der Hackerkultur, hier beschrieben von dem famosen Peter Glaser. Ein weiterer Glaskasten mit einer Packung Cornflakes und einer Trillerpfeife verweist auf die Geschichte von John T. Draper a.k.a. Cap'n Crunch, mit dem das Telefon-Phreaking begann, die Suche nach Schwachstellen in den Systemen der Telefongesellschaften.

Im Zeitalter von Flatrates und Smartphones dürfte es schwer sein, diese besondere Spielart des Hackens zu vermitteln. Da hat es Spacewar! besser. Das legendäre Computerspiel der MIT-Hacker kann im Paderborner Museum von den Besuchern gespielt werden. Es wurde auf einer PDP-1 von Digital Equipment entwickelt. Passend zum Spiel zeigt das Museum eine weitere neue Anschaffung, eine komplette PDP-8E als Beispiel für einen damals populären Minicomputer, an dem viele Hacker das Laufen lernten.

Legendär wurde Spacewar! nicht allein durch die Hacker, sondern durch eine lange Reportage über die "First Intergalactic Spacewar Olympics" und die Hackerkultur am MIT, die Stewart Brand im Dezember 1972 im Rolling Stone veröffentlichte. Das Bild des jubelnden Bruce Baumgart (weit runter scrollen), Gewinner des "Five-Man Free for All", prägte lange Zeit das Bild vom langhaarigen Hacker. Es war übrigens die erste Auftragsarbeit der später weltbekannten Fotografin Annie Leibovitz. Sie fotografierte 4 Stunden lang am MIT und später die Hacker am PARC von Xerox.

Black Jack ist ein Karten-Glücksspiel, das in vielen Casinos gespielt wird. Zu den Hacker-Exponaten im Museum gehört die "Maschine 1", die die Bonner Studenten Rudolf Schönhardt und Hermann Krause im Jahre 1972 bauten. Der Minicomputer wurde in einer rechten Jacketttasche getragen, in der linken befand sich die Tastatur, mit der die gezogenen Karten eingetippt wurden. Der Computer errechnete alsdann die Reihenfolge der nächsten Karten. Die Ausgabe erfolgte in einem Pfeifenetui. Das Ganze geschah in französischen Casinos, weil dort die sogenannte Bogenmischtechnik zum Einsatz kam, bei der Kartenstapel einfach nur ineinander geschoben werden.

Mit der Maschine 1 gewannen die Tüftler Abend für Abend viele tausend Franc. Sie sahen sich damals freilich nicht als Hacker. "Es gab damals keine Verbote für technische Hilfsmittel, die hatte noch niemand auf der Rechnung", erinnerte sich der emeritierte Astrophysiker Schönhardt gegenüber dem "Spiegel". Die Kosten der Maschine 1, die ausschließlich aus integrierten Schaltkreisen bestand, lagen in etwa bei denen für das Datenklo, das 10 Jahre später gebaut wurde. Es soll noch eine verbesserte Version, die "Maschine 2" gebaut worden sein. Nach ihr suchen jetzt die Restauratoren des Museums. Komplettiert wird diese Art des Hackens durch einen Schuhcomputer, mit dem Physiker in Spielcasinos versuchten, den Lauf einer Roulettekugel zu berechnen.

Zum Abschluss der Geschichten rund um das Hacken kann man an einem Monitor sich mit einem ganz besonderen Spiel versuchen, dem 1990 entstandenen Casino-Virus. Der Virus, der die File Allocation Table (FAT) von DOS zerstörte, war mit einem kleinen Glücksspiel gekoppelt. Bei diesem betrug die Gewinnchance 17,2 Prozent. Wer verlor, dem wurde die FAT des Rechners zerstört.

Anders als bei der heute grassierenden Ransomware gab es keinen Versuch, den Nutzer mit einer Lösegeldforderung zu erpressen. Viele DOS-Benutzer nahmen regelmäßige Backups noch ernst.

(mawi)