Zahlen, bitte! Die 25 als unterschiedlicher Wert in Ost und West
Die Wiedervereinigung wurde im enormen Tempo vollzogen. Die praktische Umsetzung war wesentlich schwerer: Ein Blick zurĂĽck auf verbindende und trennende Zahlen.
Vor 33 Jahren trat die Deutsche Demokratische Republik mit ihren 108.875 km² der 248.717 km² großen Bundesrepublik Deutschland bei. Zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik beschäftigt sich die Wissenschaft mit vielen Fragen: zur Sozial- und Währungsunion, ökonomische Fragen oder die der politischen Rahmenbedingungen.
Die Welt der Zahlen, Normen und Definitionen spielen da bis heute eher eine randständige Rolle. So war die eingeleitete Normenunion ein wenig beachtetes Gebiet, zumal die Technischen Normen, Gütevorschriften und Lieferbedingungen (TGL) der DDR in vielen Gebieten den DIN-Normen entsprachen, etwa beim Papierformat. Das System der SI-Einheiten von Meter (Länge), Kilogramm (Gewicht), Sekunde (Zeit), Ampere (Stromstärke), Kelvin (Temperatur) und Candela (Lichtstärke) wurde durch durch das Mol für die Stoffmenge ergänzt. Nach dem Vorbild der Sowjetunion führte die DDR 1971 die Einheit Millimol (mmol) über ihre TGL ein, während die Bundesrepublik selbst dann noch bei Milligramm (mg) blieb, als die Weltgesundheitsorganisation im Jahre 1977 eine Empfehlung für die Angabe von mmol/l ausgab.
FĂĽr Diabetiker lebenswichtiger Ost-West-Unterschied
Die Zahleneinheiten zweier Staaten mussten trotzdem zusammenfinden. Dabei blieb der DDR wenig übrig, doch mindestens ein Unterschied hat sich bis heute erhalten: Im Osten wird in Arztpraxen und Krankenhäusern der Blutzucker weiterhin in Millimol pro Liter gemessen, im Westen dagegen in Milligramm pro Deziliter. Die Angabe der richtigen Bezugsgröße ist für Diabetiker lebenswichtig, weil die Ost-West-Einheiten fundamental unterschiedlich sind: 25 mg/dl (West) stehen für eine schwere Unterzuckerung, 25 mmol/l (Ost) stehen für eine schwere Überzuckerung mit der Gefahr einer Ketoazidose (Stoffwechselübersäuerung) oder einem diabetischen Koma. Im Netz sind Orientierungstabellen, welche Länder welche Einheit verwenden sowie Umrechnungsrechner zu finden.
In Berlin gab es doch eine große Umstellung: Nach einem Bericht des Spiegels mussten sich die Ostärzte der großen Charité 1997 umstellen, als das kleinere West-Berliner Rudolf-Virchow-Klinikum in den Klinikverbund kam, weil der Chef der westdeutschen Labormedizin die Ost-Einheit ablehnte.
An dieser Trennung zwischen Ost und West änderte sich bis heute wenig, auch wenn die Deutsche Diabetes Gesellschaft im Jahre 2008 eine klare Empfehlung für Millimol und die Messung der Stoffmenge aussprach. Im Jahre 2019 wurde bei der Neudefinition der SI-Einheiten mittels bekannten Naturkonstanten für das Mol die Avogadro-Konstante herangezogen und die Definition der Stoffmenge auf eine neue, sichere Basis gestellt. Für das Kilogramm bzw. das Milligramm und die Definition der Stoffmasse wurde mit der Planck-Konstante ebenfalls eine sichere Grundlage gefunden.
Um die durchaus gefährliche Differenz in der Bestimmung der Messgrößen Millimol und Milligramm gab es keine größere Diskussion. Folge: Im internationalen Vergleich sind Deutschland und Oman die einzigen Länder, in denen beide Maßeinheiten genutzt werden.
Bei den Normen war es einfacher: Für eine TGL mit der Kennung 0- gab es immer eine entsprechende DIN. Dass die DDR im Jahre 1955 nach dem Vorbild der Sowjetunion eine TGL einführte, hatte damit zu tun, dass in einer staatlich gelenkten Volkswirtschaft die Normen Gesetzeskraft haben sollten und keine Empfehlungen darstellten. Was das 1954 gegründete Amt für Standardisierung veröffentlichte, musste umgesetzt werden. Das galt nicht nur für Papierformate, sondern auch für die Größe von Handtüchern oder für das Gewicht von Lebensmitteln. Das L in der Abkürzung weist darauf hin, dass auch die Lieferfristen Bestandteil einer Norm waren.
Gerätehaltbarkeit war im Osten genormt
Gesetzlich festgelegt war auch die Lebensdauer von Elektrogeräten, etwa die Bestimmung, dass Kühlschränke zunächst 10 Jahre, dann 12 Jahre lang funktionieren mussten, bei einer Ausfallquote von nur einem Prozent. "Nur das Beste für die Werktätigen", so galt die Parole. Wo es dennoch bis heute Unterschiede in den beiden deutschen Normsystemen gibt, müssen sie weiterhin beachtet werden, etwa bei dem Abriss oder dem Umbau von DDR-Gebäuden. Auch Stauanlagen wurden nach unterschiedlichen Bestimmungen konstruiert.
HeiĂźere Diskussionen fanden um das DDR-Tempolimit von 50 (innerorts), 80 (LandstraĂźe) und 100 (Autobahn) fĂĽr Pkw statt, das die DDR 1956 in ihrer StraĂźenverkehrsordnung einfĂĽhrt hatte, zusammen mit einem absoluten Alkoholverbot am Steuer. Es reduzierte die steigende Zahl von Verkehrstoten drastisch. Beim Beitritt wurde sehr heftig diskutiert, ob die Tempolimits beibehalten werden sollten.
Der damalige westdeutsche Innenminister Friedrich Zimmermann (CSU) polterte, er werde "Schluss machen mit sozialistischen Straßenverkehrs-Ideologien", ganz im Sinne der westdeutschen Kampagne "Freie Fahrt für Freie Bürger" von 1985. Die Bundesanstalt für Straßenwesen führte eigens zum Beitritt eine große Umfrage durch, bei der sich 89 Prozent der Bürger aus den neuen Bundesländern für eine Beibehaltung des Tempolimits aussprachen. So blieb das Tempolimit, doch nicht lange. Anfang 1992 wurde es dennoch abgeschafft. Die Zahl der Toten auf dem Gebiet der ehemaligen DDR verdreifachte sich innerhalb eines Jahres.
Geschichtsträchtige Feiertage
Mit dem 3. Oktober entstand ein neuer gesamtdeutscher Feiertag, dafür fiel in der DDR der 7. Oktober als "Tag der Republik" weg. Der letzte Tag der Republik war 1989 geschichtsträchtig, als "40 Jahre DDR" gefeiert wurden. Zwar war bereits mit den Montagsprotesten ein Wind der Veränderung zu spüren, aber wohl niemand hätte geahnt, dass schon ein Jahr später die Wiedervereinigung vollzogen wurde.
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Prominentester Gast war damals Michail Gorbatschow, als Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU oberster Führer der Sowjetunion. Er wies mit Blick auf die verknöcherten DDR-Staatsführung darauf hin, dass sich in der Sowjetunion gerade viel verändere und die DDR nicht untätig bleiben kann: "Ich glaube, Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren." Aus diesem Satz wurde später der Satz: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben." Er stammte aber nicht von Gorbatschow, sondern von seinem außenpolitischen Sprecher Gennadi Gerassimow, der auf einer Pressekonferenz zum Besuch von Gorbatschow auf Englisch erklärte: "Those who are late will be punished by life itself."
(mawi)