Zahlen, bitte! Das Element 32 bestätigt das Periodensystem
Die Entdeckung des Elements Germanium bestätigte 1886 das Vorhandensein des Periodensystems. Später war es Treiber der Halbleiterentwicklung.
Am 6. Februar 1886 konnte der Freiberger Chemiker Clemens Winkel nach vielen Versuchen ein neues Element isolieren. Er hatte über Wochen hinweg eine Gesteinsprobe von Argyrodit nach allen Regeln der Kunst analysiert, doch dabei immer einen Verlust von sechs bis sieben Prozent Masse ermittelt, den er nicht erklären konnte. Erst mit dem Verfahren des "Freiberger Aufschlusses" gelang ihm die Isolierung eines Sulfid-Niederschlages, der sich zu einem metallischen Pulver reduzieren ließ.
Winkler kam so dem Element auf die Spur, dem er in Anlehnung an die zuvor entdeckten Elemente Gallium und Scandium den Namen Germanium gab. Als Halbleiter gehört Germanium heute zu den kritischen Rohstoffen und zu den Metallen, die den technologischen Fortschritt vorantreiben.
Unmittelbar nach seiner Entdeckung schrieb Clemens Winkler eine erste Zusammenfassung fĂĽr die "Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft":
"So oft und so sorgfältig die Analyse aber auch durchgeführt werden mochte, immer schloss sie mit einem etwa 6 bis 7 Prozent betragenden Verluste ab, ohne dass es nach dem üblichen Gange der qualitativen Untersuchung möglich gewesen wäre, den fehlenden Körper zu entdecken. Nach mehrwöchentlichen, mühevollen Suchen kann ich heute mit Bestimmtheit aussprechen, dass der Argyrodit ein neues, dem Antimon fast identisches, aber von diesem doch scharf unterschiedenes Element enthält, welchem der Name »Germanium« beigelegt werden möge." Das geschah denn auch.
Mendelejew sagt die Existenz verschiedener Elemente voraus
Die Nachricht vom Element Germanium mit der (später ermittelten) Ordnungszahl 32 schlug in der Wissenschaft ein, wie eine Bombe ein: Mit ihr bestätigte sich die Existenz eines Periodensystems, an dem unabhängig voneinander der deutsche Chemiker Lothar Meyer und der Russe Dmitri Iwanowitsch Mendelejew gearbeitet hatten. Beide schufen eine Klassifikation chemischer Elemente, die noch etliche Leerstellen enthielt. Im Unterschied zu Meyer wagte es Mendelejew, die Existenz einiger Elemente vorherzusagen. 1871 prognostizierte er auf der Basis seines Periodensystems die Existenz der Elemente Eka-Aluminium, Eka-Bor und Eka-Silizium (Eka = Eins in Sanskrit), wobei er ihre chemischen Eigenschaften beschrieb.
Sowohl Meyer wie Mendelejew erkannten sofort, dass es sich bei Winklers Germanium um das vorhergesagte Eka-Silizium handeln muss und schrieben ihm am 26. Februar 1886 entsprechende Briefe. Bereits am 12. Februar hatte Winkler eine Notiz des Chemikers Viktor von Richter erhalten, der ihn auf die Arbeiten von Meyer und Mendelejew hinwies – die Winkler kannte. Er nahm umgehend einen Briefwechsel mit Mendelejew auf, für den Winklers Arbeit die größte Bestätigung seines Periodensystems war. Die Entdeckung des Germaniums überzeugte die meisten Chemiker von der Richtigkeit des Periodensystems. Zu Ehren von Mendelejew heißt das Element mit der Ordnungszahl 101 Mendelevium.
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Das der chemischen Analyse zugrundeliegende Argyrodit wurde Mitte September 1885 in der Grube Himmelsfürst auf der Suche nach Silberkies geborgen und vom Betriebsdirektor Eduard Neubert als eigenständiges Gestein klassifiziert. Er schickte Proben zur Begutachtung an die bergakademische Mineralienniederlage in Freiberg, wo der Professor für Mineralogie, Albin Weisbach, in ihnen ein neues Mineral erkannte:
"Ich wurde so in den Stand gesetzt, in der Sitzung unseres hiesigen Bergmännischen Vereins vom 1. October eine kurze Characteristik des neuen in einigen Exemplaren in Umlauf gesetzten Minerals, welchem meinerseits der Name Argyrodit beigelegt ward, geben, sowie am 15. October den Vereinsmitgliedern ein die Krystallform des Argyrodit darstellendes Holzmodell vorzeigen zu können."
Fast ebenso schnell wie Weisbach arbeitete sein Kollege Clemens Winkler, dem Weisbach rund 5 Kilo des Gesteins zur Erforschung überließ. Er benötigte vier Monate, bis er das Germanium isolieren konnte.
Argyrodit war schon vorher bekannt
Im Jahre 1900 stellte sich heraus, dass das Erz bereits 1820 als Plusinglanz [PDF] von August Breithaupt beschrieben worden war -- des Onkels von Clemens Winkler. Spätere Berichte über Argyrodit brachten den Mineralogen Samuel Penfield dazu, den von ihm bei Potosi entdeckten Canfieldit als Argyrodit richtig einzuordnen.
Nach Winklers Beschreibung entwickelte sich eine bizarre Kontroverse um die Namensgebung. Im Juni 1886 warf der Herausgeber der Zeitschrift Monitor Scientifique dem deutschen Chemiker vor, mit dem Namen Germanium den Nationalismus in die Wissenschaft zu tragen und forderte die Umbenennung in Eka-Silizium zu Ehren von Mendelejew. Dass das von Mendelejew vorhergesagte Eka-Aluminium bei seinem Nachweis durch Boisbaudran im Jahre 1875 den Namen Gallium bekam, störte ihn offenbar nicht. Lothar Meyer mokierte sich in einem Brief an Winkler über die Forderung und machte den Vorschlag, das neue Element Angularium zu nennen, in Anlehnung an das Lateinische Angulus für den Winkel. Die Kontroverse wurde von Mendelejew beendet. Dieser schrieb der Zeitschrift, dass seine Namen für Eka-Silizium oder Eka-Cadmium von Anfang an nur als Platzhalter gedacht waren und er stolz darauf sei, dass die neu entdeckten Elemente dem Land zur Ehre gereichen, in dem sie entdeckt wurden.
Heute wird Germanium als strategisches Metall eingestuft und von der EU als höchst kritischer Rohstoff für die technologische Entwicklung angesehen. In den USA ist es ein Staatsgeheimnis, wie viel Germanium gefördert wird, in China, dem weltgrößten Produzenten, muss man spezielle Exportlizenzen haben. In Deutschland setzen Wissenschaftler der Bergakademie Freiberg auf die Erschließung des Abraums älterer Förderstätten. Andere Methoden setzen auf das Phytomining, dem Bergbau mit Pflanzen. In der Computergeschichte wurde Germanium für die Produktion der ersten Transistoren eingesetzt, ehe das Silizium-Zeitalter begann. In der Solarindustrie wird Germanium auch als Wafer-Trägermatial eingesetzt. In Nachtsichtgeräten werden Germanium-Linsen eingesetzt. Außerdem ist es nicht auszuschließen, dass mit Silizium-Germanium eine Renaissance des Elements bevorsteht, wie seinerzeit bei den Halbleitern.
(mawi)