Zahlen, bitte! Die erste Suchmaschine half vor 90 Jahren gegen Scheckbetrug

Vor 90 Jahren konstruierte Emanuel Goldberg die erste Suchmaschine. Die optische Suchmaschine sollte schnell Informationen auf einem Mikrofilm finden.

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Von
  • Detlef Borchers

In den zwanziger Jahren gingen Banken und Unternehmen in Deutschland dazu über, eingegangene und abgelehnte Schecks auf Mikrofilm zu fotografieren, um den überhand nehmenden Scheckbetrug einzudämmen. Bei Zeiss Ikon ersann der Chemiker Emanuel Goldberg eine Suchvorrichtung über Bildpunkte, die als Index zu jedem Bild auf dem Mikrofilm (35 mm-Film) mitgespeichert waren. Diese "Statistische Maschine" wurde als "Vorrichtung zum Aussuchen statistischer und buchhalterischer Angaben" patentiert, aber nie in Serie gebaut. Goldberg stellte die funktionierende Maschine auf dem "VII Internationalen Kongress der Fotografie" vor, der 1931 in Dresden stattfand. Gemäß der Geschwindigkeit des verwendeten Filmprojektors konnte sie 22 Scheck-Fotos pro Sekunde durchsuchen. Noch im selben Jahr sicherte sich IBM die US-Rechte des Patentes.

Zahlen, bitte!

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Als Emanuel Goldberg seine "Statistische Maschine" vorführte, war er kein Unbekannter. Der technische Direktor von Zeiss Ikon befand sich auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Schließlich hatte der VII. Internationale Kongress der Fotografie die von ihm und seinem Doktorvater Robert Luther entwickelte Methode zur Bestimmung der Filmempfindlichkeit als DIN 4512 anerkannt und verabschiedet. Auf dem Vorgänger-Kongress 1925 in Paris hatte Goldberg für Furore gesorgt, als er seine Erfindung des Mikropunktes mit einer 0,03 mm großen Mikrat-Aufnahme von Nicéphore Niepce präsentierte. Er berechnete, dass die Textmenge von 50 Bibeln in Mikrat-Aufnahmen auf 6,45 Quadratzentimeter passen könnte. Damit lieferte er die Vorlage zu Richard Feynmans Vorlesung "There’s Plenty of Room at the Bottom".

Das Prinzip der "Statistischen Maschine" hat der Bibliothekswissenschaftler und Goldberg-Biograph Michael Buckland hier beschrieben, das Bild von einem Nachbau der Maschine findet sich im Blog des Heinz Nixdorf MuseumsForums. Zu jedem mikroverfilmten Scheck wird ein Indes als Punktmuster in den Film gestanzt. Wird ein bestimmter Scheck gesucht, wird eine Suchmaske mit dem Punktmuster erzeugt und hinter die Lichtquelle des Filmprojektors gestellt. Wird der Film abgespult, wird über eine Fotozelle geprüft, ob das Punktmuster der Suchmaske mit dem auf dem Filmstreifen aufgebrachten Muster übereinstimmt. Dann stoppt der Film, das Foto des gesuchten Schecks ist gefunden.

Goldbergs Erfindung ist die erste Suchmaschine ihrer Art. Eine ähnliche Erfindung baute der US-Amerikaner Vannevar Bush mit dem Microfilm Rapid Selector für Eastman Kodak und National Cash Register. Die Patentierung des Selectors scheiterte, weil das Patent von Goldberg und Zeiss Ikon als "prior art" bewertet wurde. Bush übernahm einige der Ideen für die Konstruktion seines Memex genannten Hypertext-Systems, das in den USA als erste Suchmaschine gilt.

Der 1881 in Moskau geborene Emanuel Goldberg hatte Chemie in Moskau, Königsberg, Leipzig und Göttingen studiert. Er promovierte 1906 bei Robert Luther mit einer Foto-chemischen Arbeit, die 1910 zur Erfindung des Densographen führte. Ihr folgte 1911 die Entwicklung des Goldberg-Graukeils. Zu dieser Zeit wurde er 1907 Leiter der Abteilung für photomechanische Vervielfältigungsverfahren an der Königlichen Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe in Leipzig. 1911 wurde er zum Professor ernannt. Im Ersten Weltkrieg konstruierte er als Zivilist Luftbildkameras für die deutsche Aufklärung. 1917 wurde Goldberg Vorstandsmitglied der Internationalen Camera Actiengesellschaft (ICA) in Dresden. Als ICA mit den Firmen Ernemann, Goerz und Contessa 1926 zur Zeiss Ikon AG fusionierte, blieb Goldberg im Vorstand. Neben der Beschäftigung mit dem Mikrofilm konstruierte er die Filmkamera Kinamo, mit der die Gattung des Dokumentarfilms einen wichtigen technischen Fortschritt erfuhr.

1933 wurde Goldberg von der SA verhaftet und verschleppt, konnte aber nach der Intervention von Vorstandsmitgliedern freikommen und floh mit seiner Familie nach Paris, wo er vier Jahre lang Tochterfirmen von Zeiss leitete. 1937 emigrierten die Goldbergs nach Palästina, wo Emanuel Goldberg ein Labor für Elektrooptische Geräte gründete. 1942 gelang ihm die Erfindung des Goldberg-Refraktometers. Mit seinem Namen verbunden sind die Goldberg-Bedingung für die richtige Wiedergabe von Helligkeit und Farbton beim Kopieren von Filmen und die Goldberg-Emulsion für die Mikroskop-Fotografie. Goldberg starb am 13. September 1970 in Tel Aviv. Seinen Nachlass verwaltet die Technische Sammlungen Dresden.

(mho)