Zahlen, bitte! Die meistgehasste Schriftart der Welt: Comic Sans

Von einem Font fĂĽr Sprechblasen zur meistgehassten Schriftart der Welt mit Anti-Petition und 5117 Unterschriften.

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2024 feierte der Zeichensatz "Comic Sans MS" (zumeist nur Comic Sans genannt) seinen 30. Geburtstag. Was Microsoft eine "groovige Schriftart" nennt, hat bis heute zahlreiche Gegner auf den Plan gerufen: Sie schufen Petitionen und Gegen-Aktionen und verpassten ihr den wenig schmeichelhaften Titel "meistgehasste Schriftart der Welt".

Dabei fing es ganz harmlos an: Zunächst wurde Comic Sans von Microsoft für das Lettering in Sprechblasen einer Hilfs-Software für Windows entwickelt, gehörte mit der Zeit dann aber zur Standardausstattung von Windows und macOS. Der Schriftsatz wurde mit Zeit so oft zweckentfremdet, dass nicht nur Schrift- und Webdesigner die Augen verdrehten. In den Pioniertagen des Internets war Comic Sans überall: im Baustellen-Gif oder dem Real-Player.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblĂĽffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natĂĽrlich der Mathematik vor.

Die größten Kämpfe sind mittlerweile ausgefochten und längst ist die Schriftart in der Popkultur angekommen. Sie hat sogar Fürsprecher: Die Schrift gilt als gut lesbar für Menschen mit Legasthenie. Und selbst Apple schien von ihr fasziniert zu sein.

Den Anfang nahm die Entwicklung, als der Schriftentwickler Vincent Connare bei Microsoft eine Beta-Version des Softwarepakets BOB erhielt: Das Programm hatte eine Social Interface genannte Menüführung: Mit vielen grafischen Elementen sowie Comicfiguren dem Hund "Rover" sollten mit dem PC weniger vertraute Menschen spielerisch an die Bedienung herangeführt werden. Connare störte sich beim Testen an den Sprechblasen, mit denen die Nutzer angesprochen wurden: Die Schriftart Times New Roman empfand er als zu förmlich für den lockeren Kontext.

Vincent Connare, Geboren am 26. September 1960 in Boston, Massachusetts. Er studierte Malerei und Fotografie im New Yorker Institute of Technology und erwarb einen Master in Schriftdesign an der britischen University of Reading. 1993 bis 1999 arbeitete er als Schriftdesigner bei Microsoft und schuf neben der Schriftart Comic Sans auch Trebuchet MS. Außerdem war er beteiligt an den Webdings-Symbolen sowie später an der Schriftart Marlett. Das Bild wurde 2012 aufgenommen.

(Bild: CC BY-SA 3.0, Vincent Connare)

Im Oktober 1994 entwickelte Connare in drei Tagen eine Schriftart, die eigentlich nur für die Sprechblasen in BOB gedacht war. Er orientierte sich dabei an Graphic Novels wie "Batman: The Dark Knight Returns" von John Costanza oder "Watchmen" von Alan Moore und Dave Gibbons. Mit Comic Sans schuf Connare eine Schriftart, die sich an diesen Comic-Bänden orientierte: "In den Comics wurde ein einheitlicher Stil verwendet, der sich von dem in Zeitungscomics üblichen Schriftstil deutlich unterschied. Mir ist auch aufgefallen, dass viele Leute in Comic-Sprechblasen eine unangemessene Zeichensetzung verwenden."

Comic Sans ist eine Schrift ohne ("sans") Serifen, die durch asymmetrische und uneinheitliche Buchstabenformen eine Handschriftlichkeit vorgaukelt. Da die Schrift aber nicht in das knapp bemessene Raster der Sprechblasen passte, wurde nichts aus dem Einsatz in dem Software-Paket. Was auch nicht schlimm war: MS Bob entwickelte sich zu einem Flop. Das Programm zeigte einige strukturelle Schwächen und verkaufte sich nur rund 58.000 Mal. Als Nächstes war die Verwendung in Microsofts 3D Moviemaker geplant, was sich auch zerschlug. Stattdessen war sie erstmals im Windows 95 Plus-Pack enthalten und wanderte darüber in die Systemschriftsätze des Betriebssystems und dessen Nachfolger.

Comic Sans erschien genau zu der Zeit, in der Computer mehr kreative Arbeiten ermöglichten. War es vorher oft so, dass Drucker und Betriebssystem die kreativen Stilmittel für Drucksachen limitierten, konnte man nun mit neuen Techniken wie True-Type-Fonts der Kreativität freien Lauf lassen. Das führte auch dazu, dass Comic Sans nicht nur für Einladungen, Flyer, Kindergedichte oder Schulaufgaben genutzt wurde, sondern für alle möglichen und unmöglichen Verwendungszwecke.

Ob auf Hinweisschildern, Firmenlogos, Gedenksteinen oder gar Nachrufen – die Kreativität, eine verspielte Schriftart für ernsthafte Anliegen zu verwenden, kannte in der Phase der höchsten Popularität keine Grenzen. Viele Dozenten hielten es für eine gute Idee, einen langweiligen Vortrag mit einer "frechen" Schrift aufzupeppen. Das machte den Vortrag nicht weniger langweilig, aber immerhin mit nerviger Schrift. Das rief Gegenbewegungen hervor, die die Schriftart am liebsten komplett gebannt hätten.

Comic Sans und Comic Sans Bold in Beispielen.

Und selbst Apple konnte sich dem Hype nicht entziehen: Der Hersteller sorgte beim Entwickler der Schrift fĂĽr Verdruss, weil er im Jahr 2000 ohne zu fragen Comic Sans fĂĽr seinen Online-Postkartenservice iCard nutzte. Mit der Schriftart Chalkboard wurde vom Konzern aus Cupertino zudem eine erkennbar an Comic Sans angelehnte Schrift entwickelt.

Dan Gilbert, Boss des Basketball-NBA-Teams Cleveland Cavaliers war 2010 not amused, dass NBA-Star LeBron James seinen Wechsel zu Miami Heat bekanntgab. Er schrieb einen wütenden, offenen Brief über James, sorgte aber für unfreiwillige Komik, da er ihn in Comic Sans veröffentlichte. Das Memephänomen ist eng verbunden mit Comic Sans als Schriftart.

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Dave Gibbons, dessen Schrift eine der Inspirationsquellen für Comic Sans war, scheint unglücklich mit seiner unfreiwilligen Rolle zu sein. Er sagte 2009 gegenüber dem Guardian: "Es ist beschämend, dass sie nicht einfach die Originalschrift verwendeten, denn Comic Sans ist ein echtes Chaos. Ich denke, es ist eine besonders hässliche Schriftartenform. Die andere Sache, die mich wirklich stört, ist, dass sie ein großes I mit Balken darauf verwendet haben: Das sieht für das Auge völlig falsch aus. Und wenn man es auf Ladenfronten in sieht, ist das furchtbar."

Die Designer Dave und Holly Combs schufen 1999 die Ban-Comic-Sans-Initiative. Und noch 2015 war eine Petition dazu online, die immerhin 5117 Unterzeichner aufwies. André Kramer nannte die Schrift im c't-Magazin ein "Verunstaltungsmittel".

All das war nicht vom Erfinder geplant. Eigentlich sollte es ja nur eine Schrift fĂĽr ein paar Sprechblasen werden. Deswegen reagiert der Erfinder auch zwischen belustigt und genervt auf den Negativ-Hype. "Wenn du Comic Sans liebst, weiĂźt du nichts ĂĽber Typografie. Aber wenn du Comic Sans hasst, dann weiĂźt du auch nichts ĂĽber Typografie und du solltest dir ein anderes Hobby suchen."

Selbst die Wissenschaft beschäftigte sich mit dem Hype zu Comic Sans [PDF]. Fürsprecher sehen auch darin eine Schrift, die Menschen mit Legasthenie hilft,
Heute existiert eine augenzwinkernde Beratungs-Website, auf die verwiesen werden kann, wenn jemand wieder unangemessen Comic Sans verwendet hat. Und selbst auf eine Kanadische 25-Cents-Münze hat es Comic Sans geschafft. Der Name Comic Sans stand sogar Pate für einen kanadischen Kurzfilm, sowie einer kroatischen Komödie. Und 2011 entstand mit Comic Sans Pro eine aktualisierte Fassung der Schrift.

Auch LeBron James hat Sinn für Humor: In seinen Instagram-Storys verwendet er Comic Sans auch mal selbst. Ganz schön viel Hype um eine Schriftart für Sprechblasen.

(mawi)