Zahlen, bitte: Jean-Philippe Baratier – das kurze Leben eines "Wunderkinds"
Vor 300 Jahren wurde das Universalgenie Jean-Philippe Baratier geboren. Er sollte nur 19 Jahre alt werden – in denen war er aber außergewöhnlich fleißig.
Auf den Tag genau vor 300 Jahren wurde der Hugenottensohn Jean-Philippe Baratier in Schwabach geboren. Er war das erste "Wunderkind" der Aufklärung. Mit drei Jahren konnte er lesen, als Sechsjähriger disputierte er in den Sprachen Deutsch, Französisch, Latein, Griechisch und Hebräisch. Später kamen Chaldäisch, Syrisch und Arabisch hinzu. Bis zu seinem 11. Lebensjahr beschäftigte er sich mit der Exegese biblischer Fragen, danach widmete er sich der Mathematik und Astronomie. Auf der Durchreise von Schwabach nach Berlin wurde Baratier an der Universität Halle geprüft und erhielt prompt den Magister Artium.
In Berlin wurde er im Alter von 14 Jahren in die königliche Akademie der Wissenschaften aufgenommen und mit gut dotierter Förderung zurück zum Jura-Studium nach Halle geschickt, wo er das königliche Privileg hatte, alle Bücher ausleihen oder kaufen zu können, die er wollte. Dort starb er mit 19 Jahren an einem Krebsgeschwür. Er hinterließ 11 gedruckte Abhandlungen und über 50 Entwürfe zu umfassend geplanten Werken, von der Theologie über eine griechische Grammatik bis zur Ägyptologie, die sein Biograf Jean Henri Samuel Formey zu ordnen versuchte.
Buchstaben statt Murmeln
Im Haus einer hugenottischen Pfarrersfamilie aufgewachsen, besuchte Jean Phlippe Baratier niemals eine Schule, sondern wurde ausschließlich von seinem Vater unterrichtet. Statt mit Murmeln zu spielen, gab der Vater ihm in frühester Kindheit bunte Buchstaben, später mit Bildern beklebte Bücher und unterrichtete ihn neben der Muttersprache Französisch in Latein. Mit jedem Fortschritt des Wissens ermutigte ihn sein Vater, kleine Abhandlungen zu schreiben. Zudem öffnete er im früh die Tür für die Korrespondenz mit hugenottischen Gelehrten in ganz Europa. Dieses Netzwerk begleitete die Fortschritte des Wunderkindes mit Interesse und Zuspruch. Sein erstes Werk war die Übersetzung eines hebräischen Reiseberichtes, sein bekanntestes der 1735 erschienene Anti-Artemonius nach dem Johannes-Evangelium: Hier setzte sich Baratier mit den Ideen des Theologen Samuel Crell (Pseudonym Artemonius) auseinander, einem Anhänger des Sozianismus.
Im Jahre 1734 erweckte das Studium eines Globus "schlagartig" sein Interesse an Astronomie und Mathematik, wie es in der Biografie von Formey beschrieben wird. Baratier beschäftigte sich mit dem Bau von astronomischen Messinstrumenten, versuchte die Mondbahn zu berechnen und war schnell vertraut mit dem berühmtesten wissenschaftlichen Problem seiner Zeit, dem 1714 von der britischen Royal Society ausgelobten Längenproblem. Seinen Lösungsansatz schickte er am 10. Dezember 1737 auf Lateinisch an die Royal Society und auf Französisch an die königliche Akademie der Wissenschaften zu Paris. Sein Vorschlag war es, den Mond in Verbindung zu einem Fixstern für die Berechnung des Längengrades heranzuziehen.
Dazu wollte er umfangreiche Ephemeriden-Tafeln entwickeln lassen oder diejenigen benutzen, die an der königlichen Sternwarte von Greenwich von "Computern" berechnet wurden, also Menschen, die die vom königlichen Hofastronomen Flamsteed gemessenen Winkel umrechneten. Ohne es zu wissen, nahm Baratier mit der Nutzung von Fixsternen als globale Markierungspunkte einen Vorschlag von Galileo Galilei auf, der die exakten Bahnen der regelmäßig erscheinenden Jupitermonde nutzen wollte. Galileis Vorschlag war nicht praktikabel, da Fixsterne mit den damaligen Fernrohren auf schwankenden Schiffen nicht ausreichend genau gemessen werden konnten.
Vorschlag abgelehnt
Ähnlich erging es dem Vorschlag von Baratier, der von einem erfahrenden Navigator und einem Astronomen beurteilt und am 26. Januar 1738 von der Royal Society diskutiert wurde. "But as the ingenious Youth seems not to have a clear notion of the motion of a ship at sea, as it is really, nor ist well aquainted with the late instrumentes used for measuring distances and taking altitudes at sea, it is needless to give any further account of what he offers on his head," so das ernüchternde Fazit der Gutachter. Der an Baratier geschickte Ablehnungsbrief war wesentlich freundlicher formuliert, lobte den Ansatz und wies auf seine Jugend hin.
Wer mit 17 Jahren so weit gekommen ist, werde sicher Lösungen zu vielen großen Problemen finden, wenn er denn weiter die Natur fleißig studiere, wird Baratier ermutigt. Der freilich war mehr den Büchern zugetan, aus denen er seine Schlussfolgerungen zog. Der Wunsch der Prüfer der Royal Society sollte sich nicht erfüllen. Seit seinem 12 Lebensjahr plagte sich Baratier mit einem "schlimmen Finger", der immer wieder operiert werden musste. Es ist bezeichnend, dass das kindliche Universalgenie nach Auskunft seines Biografen Formey zwei Dinge hasste: Musik und die Medizin. Er starb am 5. Oktober 1740 in Halle.
Zum 300. Geburtstag sind in seiner Geburtsstadt Schwabach über das Jahr verteilt verschiedene Vorträge geplant, die in diesem Faltblatt zusammengefasst sind. Ein Gässchen wird zum Baratier-Weg umgetauft, ein Denkmal des lesenden Baratier wird vor der französischen Kirche aufgebaut und es wird an das Schicksal der Hugenotten erinnert. Als Baratier vor 300 Jahren in Schwabach geboren wurde, hatte die Stadt 3000 Einwohner, davon waren 500 französischer Herkunft. Baratiers Biograf Formey setzte durch, dass Französisch Latein als Wissenschaftssprache an der preußischen königlichen Akademie ablöste.
(mho)