Zahlen, bitte! Letztes Bild der Erde aus 6 Milliarden Kilometern Entfernung
"Pale Blue Dot" – eines der letzten Fotos von Voyager 1 – ist bis heute das am entferntesten aufgenommene Bild der Erde. Astronom Carl Sagan lieferte die Idee.

(Bild: heise online)
Auf den ersten Blick wirkt das Foto unspektakulär, welches Voyager 1 vor 35 Jahren schoss: Die Erde ist als winziger Lichtpunkt aus 6,055 Milliarden Kilometern Entfernung zu sehen. Und doch zeigte dieses Bild wie kaum ein Zweites auf, wie klein und zerbrechlich der bisher einzige Lebensraum des Menschen vom All aus wirkt.
Das "Pale Blue Dot" (Englisch fĂĽr blasser blauer Punkt) genannte Bild war Bestandteil einer am 14. Februar 1990 geschossenen Serie aus 60 Fotos, mit denen die 1977 gestartete Raumsonde verschiedene Planeten in ihrem Lauf um die Sonne fotografierte. Die Idee zu diesem "Familienportrait" kam vom US-Astronom Carl Sagan.
Sagan war seit den 1950ern Berater der US-Raumfahrtbehörde NASA. Unter anderem bereitete er die Apollo-Astronauten auf ihre Flüge zum Mond vor. Als Gastwissenschaftler des Jet Propulsion Laboratory, die Satelliten und Raumsonden für die NASA bauen und betreiben, war Sagan an verschiedenen Mariner- und Viking-Missionen beteiligt. Auch bei Voyager 1 und Voyager 2, die einige äußere Planeten des Sonnensystems besuchten, war er ein wichtiger Berater.
(Bild: NASA/JPL-Caltech)
Mit den letzten Bildern die Planetenfamilie aufnehmen
Als Mitglied des Voyager Image Teams – das die Bilder der beiden Raumsonden auswertete und veröffentlichte – kam ihm 1981 die Idee, dass einer der beiden Voyager-Sonden die Erde ablichten könnte. Er ahnte, dass die Erde als winziger Punkt vielleicht nicht so spektakulär wie andere Voyager-Aufnahmen sei, aber diese Winzigkeit unseres Heimatplaneten umso eindrücklicher auf die Betrachter wirken könnte.
Die Voyager-Missionen nutzten eine günstige Planetenkonstellation, die nur alle 176 Jahre auftritt und es einer Raumsonde ermöglichte, die vier äußeren Gasriesen nacheinander zu besuchen. Während Voyager 2 alle Gasriesen besuchte, lenkte das Team Voyager 1 an Saturnmond Titan vorbei, weil der Mond bei der Suche nach außerirdischen Leben ein interessantes Ziel darstellte. Dafür konnte Voyager 1 nicht mehr wie Voyager 2 in der "Grand Tour" noch Uranus und Neptun erreichen.
(Bild: NASA/JPL)
Daher entfernte sich Voyager 1 nach dem Vorbeiflug von der Ekliptikebene (der scheinbaren Bahn der Planeten um die Sonne) und eignete sich damit ideal für die Fotoreihe der Planeten. Vom Standpunkt von Voyager 2 aus, dessen Flugbahn viel näher an den Planetenbahnen blieb, war der Jupiter der Sonne zu nahe, sodass die Gefahr bestand, dass beim Ablichten mit falschen Belichtungen empfindliche Instrumente beschädigt werden könnten.
Letzte Voyager-Bildserie in 32 Minuten
Am 14. Februar 1990 befand sich Voyager 1 in einer Entfernung von 45,5 astronomischen Einheiten (etwa 6,055 Milliarden Kilometer) und in 32 Grad über der Ekliptik. Die Sonde drehte sich um 180 Grad und wärmte die Kameras etwa drei Stunden auf. Das Voyager-Team ließ die Kameras um 04:48 Uhr (GMT) auf Neptun richten und nahm in 34 Minuten eine Bilderserie mit weiteren Himmelskörpern wie Uranus, Saturn, Mars, Sonne sowie Jupiter, Erde und Venus. Nach 39 Weitwinkelmotiven sowie 21 Bildern mit schmaleren Winkeln war die Aufgabe erledigt.
(Bild: Nagualdesign:Joe Haythornthwaite and Tom Ruen, CC BY-SA 4.0)
Die Bilder fürs "Familienportrait" waren die letzten Fotos, die Voyager 1 aufnahm: Die Kameras wurden danach für immer abgeschaltet. Die primären Aufgaben hatte Voyager 1 erledigt und fortan sollte die Sonde wie auch Voyager 2 keine Objekte mehr anfliegen. Ab jetzt ging es darum, Energie zu sparen, damit die Sonden so lang wie möglich betrieben werden konnten. Die Bilder wurden auf ein 328 m langem Magnetband gespeichert. In vier Phasen übermittelte Voyager die Bilderserie zur Erde. Am 1. Mai 1990 waren alle 60 Bilder übertragen.
Die Wissenschaftler des JPL bearbeiteten die Bilder zu einer Collage unseres Sonnensystems zusammen. Vor allem das "Pale Blue Dot" genannte Bild der Erde sorgte für viel Aufmerksamkeit. Es ist bis heute das Bild der Erde, das aus der größten Distanz aufgenommen wurde. Jurrie van der Woude, der 37 Jahre am JPL arbeitete, sagte einmal zum Stellenwert von Pale Blue Dot: "Wissenschaftlich hat es uns nichts zur Sache gebracht. Aber historisch gesehen ist es unbezahlbar. Es war das erste Mal, dass unsere Spezies so weit weg von zu Hause war und sich umdrehen konnte, um auf unsere eigene Nachbarschaft zurückzublicken." Von den über 67000 Bildern, die die beiden Voyager-Sonden zur Erde übermittelten, war Pale Blue Dot ideell eines der wichtigsten.
FĂĽr Sagan Inspiration zu seinem letzten Buch
Carl Sagan veröffentlichte 1994 das Buch "Pale Blue Dot: A Vision of the Human Future in Space". Für ihn zeigte dieses Bild, wie sich die Menschheit zu sehr selbst überschätzt: "Von diesem entfernten Standpunkt aus mag die Erde nicht besonders interessant erscheinen. Aber für uns ist das anders. Betrachten Sie noch einmal diesen Punkt. Das ist hier. Das ist unser Zuhause. Das sind wir. Auf ihm haben alle, die Sie lieben, alle, die Sie kennen, alle, von denen Sie je gehört haben, alle Menschen, die es je gab, ihr Leben verbracht."
"Unsere Haltung, unsere eingebildete Selbstherrlichkeit, der Wahn, dass wir eine privilegierte Stellung im Universum einnehmen, wird durch diesen blassen Lichtpunkt infrage gestellt. Unser Planet ist ein einsamer Fleck in der großen, alles umhüllenden kosmischen Dunkelheit. In unserer Dunkelheit, in all dieser Weite, gibt es keinen Hinweis darauf, dass Hilfe von anderswo kommen wird, um uns vor uns selbst zu retten. Die Erde ist die einzige Welt, von der bisher bekannt ist, dass sie Leben beherbergt. Es gibt, zumindest in naher Zukunft, keinen anderen Ort, an den unsere Spezies auswandern könnte."
Das Bild inspirierte die Macher der Cassini-Huygens-Saturnmission im Jahr 2013 ein Bild der Erde neben dem Saturn als "Cassini's Pale Blue Dot" zu nennen. Zum 30. Jubiläum veröffentlichte die NASA im Jahr 2020 eine mit modernen Bildbearbeitungen editierte Version des Blue-Pale-Dot-Bildes, was einerseits die Erde besser sichtbar machen, andererseits die Arbeit der ursprünglichen Bearbeiter respektieren sollte.
Zwei Sätze von Carl Sagan zum Pale Blue Dot wirken aktueller denn je: "Es ist gesagt worden, dass Astronomie eine demütigende und charakterbildende Erfahrung ist. Es gibt vielleicht keinen besseren Beweis für die Torheit menschlicher Einbildungen als dieses ferne Bild unserer winzigen Welt. Für mich unterstreicht es unsere Verantwortung, freundlicher miteinander umzugehen und den blassblauen Punkt, die einzige Heimat, die wir je gekannt haben, zu bewahren und zu pflegen."
(mawi)