Zahlen, bitte! Mysteriöses Nichts mit 1,8 Milliarden Lichtjahren Durchmesser

Ein mysteriöser, massiver kalter Fleck in der kosmologischen Mikrowellenstrahlung lässt die Forscher rätseln: Er ist größer und kälter als alles andere im All.

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Der riesige kalte Fleck in den Daten der kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung verblüfft die Wissenschaft: Er gilt als wesentlich größer und kälter, als es in den Standardmodellen erwartbar ist, und es gibt nichts Vergleichbares. Manche Forscher sehen in dem riesigen kosmischen Nichts mit einem Durchmesser von 1,8 Milliarden Lichtjahren sogar das größte zusammenhängende Gebilde, was die Menschheit je entdeckt hat.

Die kosmische Mikrowellenhintergrundstrahlung (englisch cosmic microwave background = CMB) ist eine Hinterlassenschaft des noch jungen Universums. Sie entstand rund 380.000 Jahre nach dem Urknall, als die Rekombination der Atome begann, sich die Galaxien und Galaxienhaufen bildeten und die kosmische Strahlung im Universum freisetzte.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblĂĽffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natĂĽrlich der Mathematik vor.

Sie ist im ganzen uns bekanntem Universum messbar. Das Nachleuchten dieses Prozesses ist fĂĽr das menschliche Auge unsichtbar, aber kann mit speziellen Teleskopen im Mikrowellenbereich gemessen werden.

Dieses älteste Licht wurde Anfang der 2000er systematisch durch die NASA-Raumsonde WMAP (Wilkinson Microwave Anisotropy Probe) erforscht. Die gemessenen Regionen waren übersät von warmen und kalten Flecken aus Hintergrundstrahlung, aber eine Region stach ungewöhnlich hervor: Der Bereich ist etwa 70 Mikrokelvin kälter als der Durchschnitt von 2,3 Kelvin. Er befindet sich im Bereich des Eridanus-Sternbilds südlich des Himmelsäquators.

Der sogenannte CMB Cold Spot in der Darstellung der Plank-Visualisierung.

(Bild: ESA/ Durham University)

Da nicht gänzlich auszuschließen war, ob Messfehler für die Anomalie verantwortlich sind, hat man dem bemerkenswerten kalten Fleck wenig Beachtung geschenkt. Das änderte sich, als die wesentlich leistungsfähigere ESA-Raumsonde Planck ab 2009 ihre Arbeit aufnahm. Die Messung von WMAP wurde bestätigt: Der Fleck war also real.

Der Forscher Istvan Szapudi von der University of Hawaii in Manoa sagte 2015 über den kalten Fleck: „Das ist möglicherweise die größte Einzelstruktur, die die Menschheit jemals entdeckt hat. Die Erklärungen dafür reichen von einem statistischen Fehler bis hin zu bisher unentdeckter Physik.“

Ein Teil des kalten Flecks hängt möglicherweise damit zusammen, dass sich darin auch einen Leerraum befindet. Wobei "Leere" in diesem Falle relativ ist: Es ist etwa 30 % weniger Materie vorhanden als in den Regionen, die voller Galaxienhaufen sind. Diese Leerräume werden auch Supervoids (void – englisch für "Leere" oder "Lücke") genannt. Der Eridiani-Supervoid im kalten Fleck ist rund 2 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt.

Der Eridiani-Supervoid könnte einen Teil der Temperaturanomalie erklären. Das liegt am sogenannten Sachs-Wolfe-Effekt, der 1967 von den amerikanischen Astronomen Rainer Sachs und Arthur Wolfe entdeckt wurde: Gravitation übt einen Einfluss auf die Energie von Lichtteilchen aus.

In dem frühen Universum war die Materie enger zusammen, somit auch die Wirkung der Gravitationskraft, die auf die einzelnen Lichtteilchen (Photonen) wirkte: Es erhielt Energie. Erreichte es jedoch eine Region, die weniger Gravitationskraft ausübte, dann verlor es Energie und wurde kälter.

Der Coldspot, in der Messung der WMAP-Raumsonde.

(Bild: NASA)

Prof. Carlos Frenk, Kosmologe an der Universität Durham, beschrieb 2015, wie beeindruckt er von der Entdeckung war: „Über die Lücke selbst bin ich nicht so unglücklich. Es ist wie der Everest der Leerräume - es muss einen geben, der größer ist als die anderen. Aber es erklärt nicht den ganzen kalten Fleck, über den wir immer noch im Dunkeln tappen.“ Der Eridanus-Supervoid kann wohl nur etwa 10 bis 20 % der Abkühlung des Bereichs erklären.

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Die Anomalie widersprach so einige Erklärungsmodelle, die eine Ähnlichkeit des Universums voraussagte, egal welche Region erforscht werde. In einer Untersuchung im Jahr 2022 kamen Forschende zum Schluss, dass die Anomalie möglicherweise durch eine Begebenheit im früheren Universum hervorgerufen wurde, oder das Standard-Modell unvollständig ist. Manche Theorien vermuten, dass es sich um eine Folge einer Wechselwirkung unter Einfluss eines Paralleluniversums handeln könnte.

Wie dem auch sei – die Ursache bleibt im Dunkeln und ist weiter Teil der kosmologischen Erforschung. So lange bleibt der riesige kalte Fleck ein Mysterium, das zu Spekulationen anregt.

(mawi)