Zahlen, bitte! RFC 439 und ein Geburtstagsständchen für das Arpanet

Mit Eliza schlug ein Chatprogramm der 1960er die ChatGPT-KI der 2020er. Das beschäftigte unsere Leser und beinhaltete weitere Geschichten. Ein Blick darauf.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Anfang Dezember 2023 vermeldete unser heise online Newsticker, dass das von Joe Weizenbaum entwickelte Chatprogramm Eliza im Antwortduell mit GPT-3.5 gewann. Es konnte im Sinne des Turing-Tests mehr befragte Testpersonen davon überzeugen, ein Mensch und keine Maschine zu sein.

Die Meldung über das gute Abschneiden von Eliza gegen die ach so clevere KI amüsierte unsere Leserinnen und Leser. Einige Nerds wurden durch die Meldung ermutigt, einmal selbst Eliza gegen Chat GPT-3.5 antreten zu lassen und die Ergebnisse im heiseforum zu veröffentlichen. Doch hinter der Geschichte schlummert noch eine andere.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Das von Joe Weizenbaum in den 60er-Jahren am MIT entwickelte Chatprogramm Eliza ist eines der weltweit bekanntesten Computerprogramme. Wie auf einer Konferenz zum 100. Geburtstag von Joseph Weizenbaum erklärt wurde, sind von dem in MAD-SLIP (Michigan Algorithm Decoder - Symmetric LIst Processor) geschriebenen Originalprogramm "Mad Doctor" für einen IBM 7094-Rechner nur noch Bruchstücke vorhanden.

Computerpionier Joseph Weizenbaum (* 8. Januar 1923 in Berlin; † 5. März 2008 ebenda) auf einer Veranstaltung auf der Sommeruniversiät Osnabrück im September 1996

(Bild: Detlef Borchers)

Auf den Namen Eliza, angelehnt an das Blumenmädchen Eliza Dolittle aus dem Theaterstück "Pygmalion" von Bernard Shaw, kam Weizenbaum erst später, angeregt durch eine alte Zeitungsanzeige.

Im Vergleich zu den knappen Antworten von Eliza (respektive Emacs M-x doctor), die der kargen Hardware der 60er-Jahre geschuldet sind, erwies sich ChatGPT-3.5 als 'echter Labersack', wie ein Forist bemerkte.

Eliza faszinierte die Menschen, wie Weizenbaum es mit dem Beispiel seiner Sekretärin in seinem Buch "Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft" beschrieb. Sie wollte allein gelassen werden, um sich ungestört mit Eliza unterhalten zu können

Auch der Internet-Pionier Vint Cerf, einer der Entwickler des TCP/IP-Internetprotokolls, nutzte das Programm. Im September 1972 startete Cerf das Script Parry auf einem Computer des Stanford Artificial Intelligence Laboratory (SAIL) und koppelte es über das ARPANET mit Weizenbaums Script Doctor, das auf einem Rechner von Bolt, Beranek & Brown lief.

Parry sollte einen schizophrenen Patienten simulieren, Doctor den Psychotherapeuten. Das Gespräch der beiden Rechner zeichnete er auf und veröffentlichte es als "RFC 439 PARRY encounters the DOCTOR", ein "Geburtstagsständchen" zum Jubiläum des Arpanets, einem militärischen Vorläufer des Internets. Dieser Request for Comment dürfte die erste dokumentierte Unterhaltung zweier Programme sein, nur: Die Verständigung scheiterte auf ganzer Linie.

Vint Cerf berief sich dabei auf die Philosophin Margeret Boden, die am berühmten Workshop für Artificial Intelligence am Dartmouth College teilgenommen hatte und in ihrem Bericht über den Workshop schrieb: "Freud hat gezeigt, dass der Mensch neurotisch programmierbar ist, jetzt müssen nur noch die Computer die entsprechenden Programme haben, um sich mit Menschen verständigen zu können."

Vor Cerf hatte sich der deutsche Wissenschaftsredakteur Thomas von Randow für Weizenbaums Arbeit begeistert. Anlässlich einer USA-Reise im Jahre 1964 besuchte der Redakteur der "Zeit" das MAC-Projekt (ein Doppel-Akronym, Multiple Access Computer und Machine-Aided Cognition) von Robert Fano.

Unter dem Titel "Aus der Telephonleitung: Mensch und Elektronengehirn im Zwiegespräch" berichtete von Randow am 26. Februar 1965 in der "Zeit": "Das Paradestück aus Professor Weizenbaums Programmbibliothek trägt die Signatur ´Mad-Doktor´. Es ist jenes Programm, das die Maschine befähigt, per Fernschreiber eine Unterhaltung so zu führen, dass man meinen möchte, am anderen Ende säße ein denkender Mensch."

Von Randow war von der Idee eines Time-Sharing-Computers für alle durch "Multiple Access" ebenso wie vom Programm Weizenbaums hellauf begeistert und machte sich zum Schluss selbst an die Arbeit, das Programm einzudeutschen.

Er erinnerte sich: "Just in der Zeit, während der wahrscheinlich von gelehrten Forschern eine Reihe schwieriger wissenschaftlicher Probleme am MAC-System gelöst wurden, habe ich in Weizenbaums Büro zum Spaß ein neues Script für das Diskussionsprogramm verfasst, eine deutschsprachige Version des Spiels mit der automatisierten Psychoanalyse. Das ging zwar nicht ohne Schwierigkeiten vor sich – nachdem ich angeordnet hatte, ´ich´ sollte in ´du´ verwandelt werden, schrieb die Maschine ´ddu´ für ´dich´ und ´ndut´ für ´nicht´: Aber nach kurzer Zeit ließen sich diese Missverständnisse klären, weil man mit MAC reden kann – fast wie mit einem Menschen."

In diesem Sinne ist ein Ende der heutigen Zahlen, bitte!-Kolumne mit dem hübschen fiktiven Dialog aus unserem heiseforum des Lesers Pedolus ein guter Anfang:

GPT-3.5: "Hallo Eliza, ich bin so deprimiert."
Eliza: "Was deprimiert dich denn so?"
GPT-3.5: "Die Leute glauben mir nicht, dass ich ein Mensch bin."
Eliza: "Seit wann glaubst du denn, dass Du ein Mensch bist?"

(mawi)