Missing Link: Joe Weizenbaum und die vergifteten Früchte des Wahnsinns

Er gilt als Pionier der kritischen Informatik, die das Denken nicht den Computern überlassen will. Joseph Weizenbaum ist vor 100 Jahren in Berlin geboren.

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Joseph Weizenbaum – vor 100 Jahren in Berlin geboren

(Bild: Detlef Borchers)

Lesezeit: 15 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Heute vor 100 Jahren wurde Joseph Weizenbaum in Berlin geboren. Mit seinen Büchern und Aufsätzen gilt er als Pionier der kritischen Informatik, die das Denken nicht den Computern überlassen will. Mit seinem Programm ELIZA deckte er auf, wie schnell Computer vermenschlicht werden. Als Professor für Computer Science am MIT beschäftigte er sich mit der "Macht der Computer und der Ohnmacht der Vernunft." Unter dem Titel "Computer Power and Human Reason. From Judgement to Calculation" erschien 1976 sein Hauptwerk, in dem er sich kritisch mit der künstlichen Intelligenz, mit Hackern (zwanghaften Programmierern) und der Idee des Menschen als informationsverabeitendes System auseinandersetzte.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Während Weizenbaum an seiner Wirkungsstätte in den USA eher vergessen ist, wird sein Vermächtnis in Deutschland gepflegt. Es gibt den Weizenbaum-Preis des von ihm mit gegründeten "Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung" (FIfF), der zuletzt an Julian Assange verliehen wurde, es gibt das Weizenbaum-Institut in Berlin, das die Wechselwirkung von Computern und Gesellschaft untersucht.

Joe Weizenbaum wurde am 8. Januar 1923 als zweiter Sohn des Kürschnermeisters Jechiel (Harry) Weizenbaum und der Pelzverkäuferin Henriette Weizenbaum in Berlin geboren. Die Familie war wohlhabend. Joseph und sein Bruder Heinrich (Henry Sherwood) wurden durchweg von Kindermädchen erzogen. 1936 musste die Familie emigrieren, weil der Vater eine Affäre mit einem Kindermädchen hatte, was nach den Rassegesetzen verboten war. Die Familie emigrierte in die USA, wo Weizenbaum erst Mathematik studierte und sich frühzeitig an der Wayne University Detroit mit dem Bau von Computern beschäftigte. Sein "Lehrvater" war Harry Douglas Huskey, der den Standards Western Automatic Computer (SWAC) konstruierte, der zeitweilig der schnellste Computer der Welt war.

1950 war Weizenbaum an der Konstruktion eines Computers beteiligt, der für den Test von Raketen-Waffensystemen der U.S. Navy bestimmt war. "Der Computer gehörte der Marine und stand auf einem Vorfeld der Marine. Zweck des Vorhabens war, Raketen abzuschießen und zu testen. Ich machte Berechnungen, die mit der Prüfung dieser Waffen zu tun hatten, und war mir der moralischen Dimension meiner Arbeit nicht bewusst."

Erst die Bürgerrechtsbewegung, der Vietnamkrieg und die Rolle des MIT in der Waffenentwicklung weckten den Widerspruchsgeist von Weizenbaum. Zunächst arbeitete er jedoch bei der bei Bendix Aviation und General Electric, wo Weizenbaum von 1955 bis 1963 ERMA entwickelte, das erste Computer-Banksystem seiner Zeit. 1963 erhielt er einen Ruf an das Massachusetts Institute of Technology (MIT), wo er als Associate Professor für Applied Science und Political Science anfing.

1970 wurde er zum ordentlichen Professor für Computer Science berufen, als sich die junge Wissenschaft der Computer Science (in Deutschland Informatik) zu etablieren begann. Bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1985 beschäftigte sich Weizenbaum mit Programmiertechniken; wissenschaftliche Meriten erwarb er sich mit Studien zu einem Symmetric List Processor (SLIP) oder mit Forschungen zu Referenzzählern (Knotted list structures and garbage collection schemes). Mit dieser Leistung wird Weizenbaum in der "Geschichte der Informatik" von Friedrich L. Bauer erwähnt.

Einem breiten Publikum wurde Weizenbaum durch die Programmierung von Eliza bekannt, einem rudimentären Dialogsystem auf Basis des List Processors, das er unter dem Titel "A Computer Program for the Study of Natural Language Communication Between Man and Machine" der Fachwelt vorstellte. Weizenbaum machte eines Tages die Entdeckung, dass selbst seine Sekretärin, die doch sein Programmierprojekt kannte, sich mit dem Computer unterhielt und Weizenbaum bat, das Zimmer zu verlassen, weil sie Intimes mit dem Rechner besprechen wollte.

"Eliza ist als Programm incredibly simple, wirklich, hat aber im Herzen einen Punkt getroffen, das macht es bisschen kompliziert, nicht der einfache Code. Eliza wurde missverstanden, als intelligentes System, das aber ist ein Fehler, der genau in unsere Zeit passt", so Weizenbaum zu seinem 80. Geburtstag. Das Blumenmädchen Eliza Doolittle aus Shaws "Pygmalion" ist die Namensgeberin. Sie wird von einem Linguisten in der Sprache der Oberschicht trainiert und ist dann die Oberschicht.

Eliza ist ein einfaches Programm, das auf eine kleine Anzahl von Schlüsselwörtern reagiert, die in den meisten Gesprächen vorkommen. So reagiert es auf "my" (im Deutschen auf meine/meines/meiner):
Mensch: Ich habe Probleme mit meiner Schwester.
Eliza: Erzähle mir mehr von deiner Schwester.
Ein weiteres Schlüsselwort ist "Computer". Sobald es auftaucht, fragt Eliza stets, ob Computer den Menschen beunruhigen. Außerdem kennt Eliza eine einfache Art der Verzweigung: Wenn sich der Mensch mit dem Wort "my" auf etwas anderes als ein Familienmitglied bezieht, speichert Eliza die Wortfolge nach "mein" und vertauscht die Personal- und Possessivpronomina der ersten mit denen der zweiten Person.

So kommt ein "Gespräch" zustande, das Fachleute eine "nichtdirektive Gesprächsführung" nennen – der "Psychologe" fragt immer wieder nach. Begeistert schrieb der Psychoanalytiker Kenneth Mark Colby 1966: "Wenn sich die (Eliza-)Methode bewähren sollte, so hätten wir damit ein therapeutisches Werkzeug, das man all den Nervenkliniken und psychiatrischen Zentren an die Hand geben könnte, die über zu wenig Therapeuten verfügen... in einer Stunde können mehrere hundert Patienten von einem Computersystem behandelt werden."