Zahlen, bitte! – Saturn-Hexagon: 29.000 Kilometer breites mysteriöses Sechseck
Seit den Voyager-Missionen fasziniert ein riesiger, hexagonförmiger Wirbelsturm auf Saturn die Forscher. Doch was ist die Ursache?
Die Daten und Bilder der Voyager-Sonden liefern bis heute viele Erkenntnisse, aber sie warfen gerade zur Anfangszeit noch mehr Fragen auf. Eine davon enthüllte Voyager 2 beim Vorbeiflug am Saturn im Jahr 1981: Als NASA-Wissenschaftler David Godfrey 1987 die Fotos auswertete, fiel ihm am Nordpol des Planeten ein riesiger Polarwirbel auf – mit einer gleichmäßigen sechseckigen Struktur.
Polarwirbel sind im Sonnensystem eigentlich keine Seltenheit – ein Wirbel mit symmetrischer, sechseckiger Struktur hingegen schon. War das etwa eine Postkarte der Aliens, wie Verschwörungstheoretiker frohlockten, oder steckt doch nur ein natürliches Phänomen dahinter? Das Rätsel des Saturn-Hexagon war geboren.
Fast 30.000 Kilometer breit
Der Polarwirbel ist gleichmäßig und geometrisch ziemlich genau mit sechs etwa 14.500 Kilometer langen Seiten. Mit einem Durchmesser von 29.000 Kilometern ist er mehr als doppelt so groß wie der Erddurchmesser. Das Wolkenmuster hat es in sich: Mit etwa 320 km/h bewegt es sich, sodass sich in 10 Stunden, 39 Minuten und 24 Sekunden eine Drehung vollendet.
In der Mitte ist eine Art Auge des Sturms, welches etwa 50-mal größer ist, als im Schnitt die ebenfalls bereits nicht gerade kleinen Erdwirbelstürme, die ansonsten nur optisch vergleichbar sind. Die Ursache für diese geometrische Form war zunächst völlig unklar und faszinierte die Wissenschaftler. Da die Voyagersonden allerdings nur auf der Durchreise waren, ließ sich das Phänomen nicht näher untersuchen.
Cassini-Sonde liefert weitere Bilder
Im Jahr 1997 startete die Saturn-Raumsonde Cassini-Huygens, die den Saturn und unter anderem das Nordpol-Sechseck weiter erforschen sollte. Im Jahr 2004 schwenkte die NASA-Sonde in die Umlaufbahn des Saturn ein und begann mit ihrer Arbeit, konnte aber noch nicht das Hexagon erforschen: Es lag zu dem Zeitpunkt auf der sonnenabgewandten Saturn-Seite im Schatten und konnte daher nur eingeschränkt erforscht werden.
Da der Saturn viel weiter von der Sonne entfernt ist als die Erde, dauert ein Saturnjahr 29 Erdenjahre. Ein Saturn-Winter, in dem sich das Hexagon befand, dauert somit etwa sieben Jahre. Im August 2009 war es so weit: Mit Beginn des Frühlings auf der Nordseite konnte Cassini nun endlich auch den Nordpol optisch untersuchen.
Die Forscher stellten sich nach knapp 20 Jahren folgende Fragen: Was ist die Ursache für das riesige Hexagon? Ist das Hexagon noch so wie zu Zeiten Voyagers? Der Polarsturm ähnelt, abgesehen von der hexagonalen Form, von der Struktur her Erdwirbelstürmen, auch wenn diese ganz anders entstehen. Ist dann ein solcher hexagonaler Wirbelsturm auch nicht bei uns möglich?
Ähnliche Struktur wie irdische Hurrikans
Kevin Baines, als Wissenschaftler am Jet Propulsion Laboratory der NASA am Cassini-Programm beteiligt, beschrieb, der Polarwirbel habe "zumindest die Struktur eines Hurrikans – es ist das, was wir die klassische Wirbelstruktur nennen." Allerdings gibt es entscheidende Unterschiede. Erd-Wirbelstürme benötigen zur Entstehung das Wasser und die Wärme der Erdoberfläche, was bei einem Gasplaneten wie dem Saturn nicht möglich sei. Auch empfange die Erde aufgrund der geringeren Entfernung etwa 100-mal mehr Sonnenlicht als der Saturn.
Weitere Unterschiede wie die gänzlich andere Tag-Nacht-Struktur, die im Vergleich flache Atmosphäre sowie die Oberflächenbeschaffenheit verhindern womöglich ein ähnliches Phänomen auf der Erde. Allerdings weisen die Jetstreams, die dynamischen Starkwindfelder der oberen Troposphäre, ein ähnliches hexagonalartiges Muster auf, wenn auch nicht so gleichmäßig. Auf dem Saturn gibt es diese Oberflächen-Hindernisse nicht, was eine solch perfekte Symmetrie ermögliche. Und doch seien noch viele Fragen offen. Für Baines sei der Polarwirbel "eines der größten Rätsel der Dynamik des Saturns".
Weiteres Mini-Hexagon entdeckt
Als wäre das nicht schon Rätsel genug, entdeckte der Wissenschaftler Leigh Fletcher der University of Leicester im Jahr 2018 in den Cassini-Daten noch einen zweiten hexagonalen Wirbel, der sich ab 2014 hunderte Kilometer oberhalb des altbekannten Wirbels bildete. Die Forscher rätseln, ob er möglicherweise wegen des Saturn-Sommers entstand. Außerdem stellte sich ihnen die Frage, ob er sich unabhängig von dem ursprünglichen hexagonalen Polarsturm formte, oder es eine Verbindung besteht, was eigentlich kaum möglich zu sein scheint. Auch veränderte sich mit der Zeit die Farbgebung des Sturms.
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Eine Erklärung für hexagonale Wirbel lieferte ein Forscherteam bereits im Jahr 2010, indem sie im Labor ein solches Naturphänomen nachstellten. Rakesh Yadav und Jeremy Bloxham von der Harvard-Universität in Cambridge lieferten 2020 in Simulationen eine Erklärung für Wirbel am Saturn-Nordpol. Dadurch, dass der Planet am Pol langsamer dreht, als am planetaren Äquator, entstehen Jetstreams, die sich zu den Polen bewegen. Die müssen sich die Oberfläche mit Stürmen teilen. "Wir haben diese kleineren Stürme, die im Grunde die größeren Stürme in der Polarregion bedrängen, und da sie nebeneinander existieren müssen, müssen sie irgendwie einen Platz finden, um jedes System unterzubringen. Auf diese Weise entsteht diese polygonale Form.", so Yadaf.
Somit ist das doch nicht so ganz einzigartige Saturn-Hexagon weniger mysteriös, aber gewiss nicht weniger faszinierend anzuschauen.
(mawi)